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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Sie muthen meinem Gedächtniß wirklich sehr viel zu, Herr Gronau. Ich kann unmöglich noch jede einzelne Jugendbekanntschaft im Kopfe haben, und in diesem Falle erinnere ich mich nicht einmal mehr des Namens.“

„Nicht? Nun, dann muß ich Ihrem Gedächtnisse zu Hilfe kommen, Herr Präsident. Ich spreche von dem Ingenieur Benno Reinsfeld. dem Erfinder der ersten Berglokomotive.“

Die Augen der beiden Männer begegneten sich, und in dem Augenblick wußte der Präsident, daß es sich hier um keinen Zufall handelte, sondern daß ein Feind vor ihm stand, und daß in jenen anscheinend so harmlosen Worten eine Drohung lag. Es kam nur darauf an, zu erfahren, ob dieser Mensch, der so urplötzlich aus jahrelanger Verschollenheit wieder auftauchte, in der That gefährlich war, oder ob das Ganze nur auf einen gewöhnlichen Erpressungsversuch hinauslief, der sich auf irgend eine Erinnerung aus alter Zeit stützte. Nordheim schien das letztere anzunehmen, denn er sagte eisig:

„Da sind Sie falsch berichtet, die erste Berglokomotive habe ich erfunden, wie mein Patent es ausweist.“

Gronau erhob sich plötzlich, sein dunkles Antlitz färbte sich noch tiefer, man sah es, wie ihm das Blut in die braunen Wangen stieg. Er hatte sich einen ausführlichen Feldzugsplan entworfen und genau überlegt, wie er den Gegner angreifen und in die Enge treiben wolle, bis diesem kein Ausweg mehr übrig blieb; dieser eisernen Stirn gegenüber fielen aber all die klugen Vorsätze zusammen und die Empörung des ehrlichen Mannes gewann die Oberhand.

„Und das wagen Sie mir ins Gesicht zu sagen!“ rief er heftig. „Mir, der dabei gewesen ist, als Benno uns seinen Plan vorlegte und erklärte, als Sie ihn lobten und bewunderten! Läßt Ihr Gedächtniß Sie auch da im Stich?“

Der Präsident legte ruhig die Hand an die Klingel.

„Werden Sie sich freiwillig entfernen, Herr Gronau, oder soll ich die Diener rufen? Ich bin nicht gesonnen, in meinem eigenen Hause Beschimpfungen zu dulden.“

„Ich rathe Ihnen, die Klingel in Ruhe zu lassen!“ brach Veit grimmig aus. „Sie haben die Wahl, ob das, was ich Ihnen zu sagen habe, unter vier Augen oder vor aller Welt verhandelt werden soll. Wenn Sie sich weigern – ich finde überall Gehör.“

Die Drohung blieb nicht wirkungslos, Nordheim zog langsam die Hand zurück. Er sah, daß er kein leichtes Spiel haben werde mit diesem energischen entschlossenen Manne, und zog es vor, ihn nicht weiter zu reizen, aber seine Stimme klang noch immer unbewegt:

„Nun wohl, was haben Sie mir zu sagen?“

Veit Gronau trat dicht vor den ehemaligen Jugendgenossen hin und seine Augen sprühten.

„Daß Du ein Schurke bist, Nordheim – weiter nichts.“

Der Präsident zuckte zusammen, aber schon im nächsten Augenblick fuhr er auf:

„Ah, Sie wagen es –!“

„O ja, und ich werde noch mehr wagen, denn mit dem einen Worte ist die Sache leider nicht abgethan. Der arme Benno hat sie freilich nicht durchführen können oder wollen, der beugte sein Haupt unter dem Schlage und litt vielleicht mehr durch das Bewußtsein, daß sein liebster Freund ihn verrathen hatte, als durch den Verrath selbst. Wäre ich damals hier gewesen, Du wärst nicht so leichten Kaufes fortgekommen. Gieb Dir keine Mühe mit dieser empörten Miene! Bei mir verfängt das nicht, ich weiß Bescheid und wir sind ja auch allein, Du brauchst Dich nicht zu geniren. Es kommt nur darauf an, was Du antworten wirst, wenn ich Dir die Anklage öffentlich ins Gesicht schleudere.“

Er hatte in seiner Erregung den fremden Ton fallen lassen und gebrauchte das alte Du. Nordheim machte keinen Versuch mehr, ihn zur Mäßiguttg zu zwingen, aber er mußte sich trotz alledem sicher fühlen, denn er verlor seine überlegene Haltung nicht einen Augenblick.

„Was ich antworten werde?“ sagte er achselzuckead. „Wo sind die Beweise?“

Gronau lachte bitter auf.

„Ja, das dachte ich mir, daß es so lauten würde! Darum kam ich auch nicht sofort zu Dir, als ich in Oberstein bei dem Sohne Reinsfelds die saubere Geschichte erfuhr, sondern ging der Spur nach. Ich bin in den drei Wochen überall gewesen, in der Residenz, in Bennos letztem Wohnorte, in unserer Vaterstadt sogar.“

„Und sind sie gefunden, diese Beweise?“ Die Frage klang in vernichtendem Hohne.

„Nein, wenigstens nichts, was Dich direkt überführt; Du hast Dich hinreichend gesichert und Reinsfeld hatte es ja versäumt, seine Erfindung unter gesetzlichen Schutz zu stellen, weil er noch nicht fertig damit zu sein glaubte. Das war damals, als ich in die weite Welt ging und Du die Stellung in der Residenz annahmst. Der gute arglose Benno änderte und besserte inzwischen an seinem Entwurfe und baute glänzende Luftschlösser darauf, bis er eines Tages erfuhr, daß der Plan längst angenommen und mit Geld aufgewogen war; aber das Patent und das Geld hatte ein anderer in der Tasche, sein bester Freund, der sich damit zum Millionär aufschwang.“

„Und dies Märchen willst Du der Welt erzählen?“ fragte der Präsident verächtlich, indem er, fast unwillkürlich, dem Beispiele Gronaus folgte und zu dem einstigen Du zurückkehrte.

„Glaubst Du denn wirklich, daß die Behauptung eines Abenteurers, wie Du es bist, einen Mann in meiner Stellung stürzen kann? Du gestehst es ja selbst ein, daß die Beweise fehlen.“

„Die direkten, ja, aber was ich erfahren habe, ist immerhin genug, Dir den Boden heiß zu machen, auf dem Du stehst. Reinsfeld hat es ja auch versucht, zu seinem Rechte zu kommen, natürlich wurde er abgewiesen, wenn man auch hier und da seinen Angaben Glauben schenkte; da verlor er den Muth und gab die Sache auf. Aber sie ist damals wenigstens zur Sprache gekommen, Du hast Dich schon einmal gegen die Anklage vertheidigen müssen, und jetzt hast Du nicht den weichen, unerfahrenen Benno, sondern mich zum Gegner; sieh zu, wie Du mit mir fertig wirst! Ich habe es mir zugeschworen, daß ich dem Sohne meines Freundes die einzige Genugthuung schaffen werde, die hier überhaupt noch zu schaffen ist, und ich pflege Wort zu halten, im Guten wie im Schlimmen. Ich habe als ‚Abenteurer‘ ja nichts zu verlieren, und ich werde rücksichtslos und erbarmungslos gegen Dich vorgehen, werde aus allem und jedem, was ich in den letzten Wochen erfahren habe, eine Waffe gegen Dich schmieden und den Verdacht, von dem damals nur die engsten Berufskreise wußten, vor aller Welt zur Sprache bringen. Wir wollen doch sehen, ob die Wahrheit so ganz ungehört verhallt, wenn ein ehrlicher Mann bereit ist, Gut und Blut dran zu setzen!“

Es lag eine eiserne Entschlossenheit in den Worten, und Nordheim mochte wohl wissen, wessen er sich von diesem Gegner zu versehen hatte. Er schien einige Minuten lang mit sich zu kämpfen, dann fragte er kurz und leise:

„Wie viel verlangst Du?“

Um Gronaus Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln:

„Ah, Du läßt Dich also auf Unterhandlungen ein?“

„Es kommt darauf an! Ich leugne nicht, daß ein Lärm, wie Du ihn zu erheben drohst, mir unangenehm sein würde, wenn ich auch weit entfernt bin, eine Gefahr darin zu erblicken. Wenn Du vernünftige Bedingungen stellst, wäre ich vielleicht bereit, ein Opfer zu bringen. Also – was forderst Du?“

„Sehr wenig für einen Mann Deines Schlages! Du zahlst dem Sohne Bennos, dem jungen Doktor Reinsfeld, die volle Summe, die Du damals für das Patent erhalten hast. Es ist sein rechtmäßiges Erbtheil und ein Vermögen für seine jetzigen Verhältnisse. Ueberdies gestehst Du ihm die Wahrheit ein, meinetwegen unter vier Augen, und giebst dem Todten die Ehre, die ihm gebührt, wenigstens vor seinem Sohne; dann wird dieser von jeder weiteren Verfolgung der Sache abstehen, dafür verbürge ich mich, und ich werde sie gleichfalls ruhen lassen.“

„Die erste Bedingung nehme ich an,“ sagte Nordheim in einem so kühlen Tone, als verhandle er über irgend eine geschäftliche Angelegenheit. „Die zweite nicht! Ihr werdet Euch mit dem Kapital begnügen, das wahrhaftig nicht unbedeutend ist; Ihr theilt es ja doch mit einander.“

„Meinst Du?“ fragte Gronau mit bitterer Verachtung. „Freilich, wie solltest Du auch an eine ehrliche, uneigennützige Freundschaft glauben! Benno Reinsfeld weiß nicht einmal, daß ich die Sache hier zur Sprache bringe, daß ich überhaupt Bedingungen stelle, und ich werde Mühe und Noth genug haben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_738.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2018)