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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sich lösen, durch alle Kleiderstoffe dringend in die Haut bohren und hier Eiterbeulen verursachen, welche zwar an und für sich sehr klein sind, ihrer außerordentlichen Menge halber jedoch überaus lästig werden. Alle drei Pflanzen verwehren jeden längeren Aufenthalt, jedes weitere Vordringen im Grase und werden zur Qual für Menschen und Thiere, lassen auch bald begreiflich erscheinen, weshalb jeder Eingeborene eine feine Greifzange als eines seiner allerwichtigsten Werkzeuge fortwährend mit sich führt, weshalb, wie bei den Affen, der größte Liebesdienst, welchen einer dem andern erzeigen kann, darin besteht, ihm die feinen, kaum sichtbaren, aber nadelscharfen Stacheln aus der Haut zu ziehen. Daß auch die meisten übrigen Pflanzen der Steppe, insbesondere fast sämmtliche Bäume und Sträucher, mit mehr oder weniger hinderlichen Dornen und Stacheln bedeckt sind, nimmt denjenigen nicht Wunder, welcher irgendwo in Afrika ein Dickicht zu durchdringen versuchte oder nur einem Baume sich näherte.

Noch unangenehmere Erzeugnisse der Steppe bringt die Nacht zur Geltung. Auch die Nacht muß man oft zum Reisen benutzen, wenn kein Dorf zu erreichen ist, und dann im Freien lagern und nächtigen. Ein hierzu geeigneter sandiger, von jenen quälenden Pflanzen freier Platz am Wege, den man zieht, ist endlich aufgefunden, das Reitthier entbürdet und gefesselt, eine einfache Lagerstatt errichtet, das heißt der Teppich über den Boden gebreitet und ein mächtiges Feuer zum Schutze gegen Raubthiere angezündet worden. Die Sonne geht unter, die Nacht lagert wenige Minuten später über der Ebene; das Feuer beleuchtet das Lager und seine Umgebung. Da wird es hier wie im Lager selbst lebendig und rege. Angezogen durch die Strahlen der Flammen rennt und kriecht es heran, einzeln, selbander, zu zehn, zu hundert. Zunächst erscheinen riesige Spinnen, welche mit ihren acht Beinen fast ebenso viel Raum überdecken wie ein Mann mit seiner gespreizten Hand; unmittelbar darauf, unter Umständen gleichzeitig mit ihnen, finden Skorpione sich ein. Die einen wie die anderen laufen beinahe unheimlich rasch auf das Feuer zu, über Lagerteppiche und Decken hinweg, zwischen den zur einfachen Abendmahlzeit aufgestellten Tellern durch, kehren, sobald die strahlende Wärme des Feuers sie zurücktreibt, wieder um, lassen sich nochmals von der Flamme anlocken und vermehren dadurch das bedrohliche Gewimmel; denn diese Spinnen sind ihres gefährlichen oder doch sehr schmerzhaften Bisses halber kaum weniger gefürchtet als die Skorpione, auch, wie diese zum Stechen, jederzeit zum Beißen bereit.

Unmuthig greift man zu dem zweiten Werkzeuge, welches einem der kundige Geleitsmann vor der Reise als ebenfalls unentbehrlich aufgedrungen, zu einer langschenkeligen Feuerzange nämlich, packt so viele der ungebetenen Gäste, als man erlangen kann, und wirft sie ohne Gnade in das knisternde Feuer. Dank der vereinigten Anstrengungen aller Reisegenossen hat binnen kurzer Fast der größte Theil des höllischen Gezüchtes seinen Tod in der Flamme gefunden; der Zuzug wird schwächer, und so viel als möglich ebenfalls und in gleicher Weise überwältigt; man athmet auf – aber zu früh! Wiederum neue und noch unheimlichere Gäste nahen dem Feuer: Giftschlangen, welche ebenso wie jene Spinnenthiere von dem Scheine der Flammen herbeigezogen werden Der Naturforscher erkennt in ihnen, mindestens in der am zahlreichsten sich einstellende Art, höchst beachtens- und theilnahmswerthe Thiere, denn es ist die sandgelbe Hornviper, die berühmte oder berüchtigte Cerastes der Alten, die auf vielen ägyptischen Denkmälern abgebildete Fi, dieselbe Giftschlange, durch deren Giftzähne Kleopatra sich den Tod gab; der ermüdete Reisende aber verwünscht sie in den Abgrund der Hölle. Das ganze Lager wird lebendig, sobald ihr Name von einem der Reisenden genannt wird; jeder greift, bei weitem rascher und ängstlicher als früher, zur Zange, schreitet, wenn er des Giftwurmes ansichtig wird, vorsichtig an diesen heran, packt ihn hinten im Genicke, kneipt die Zunge fest zusammen, damit er nicht entrinne, wirft ihn mitten in das lodernde Feuer und verfolgt mit boshafter Freude seinen Untergang. An manchen Stellen der Steppe können diese Schlangen einen in gelinde Verzweiflung versetzen. Dank ihres dem Sande bis auf jedes Körnchen gleichenden Schuppenkleides und ihrer Gewohnheit, bei Tage oder während ihrer Ruhestunden bis auf die kurzen, als Fühler dienenden Hörner in den Sand sich einzuwühlen, sucht man in den Tagesstunden meist vergeblich nach ihnen; sobald aber die Nacht hereinbricht und das Lagerfeuer strahlt, sind sie zur Stelle und schlängeln und züngeln um einen herum.

Zuweilen erscheinen sie in erschreckender Anzahl und halten den ermüdeten Reisenden bis gegen Mitternacht wach; denn alle, welche im Bereiche der Strahlen des Feuers geruht haben oder bei ihren nächtlichen Streifzügen in jenen gelangen, scheinen der Flamme zuzukriechen. Und wenn man endlich, ermüdet und schlaftrunken, die Zange aus der Hand und sich selbst zur Ruhe legt, weiß man nie, wie viele von ihnen in später Nacht noch über einen hinwegkriechen, erfährt aber nicht allzuselten des Morgens beim Aufnehmen der Teppiche, daß solches der Fall gewesen, indem man eine oder ihrer mehrere unter den Falten des Teppichs versteckt und beim Abheben desselben in den Sand sich eingraben sieht. Gerade in der Steppe war es, wo sich mir die damals noch von niemand getheilte Ueberzeugung aufdrängte, daß, mit wenigen Ausnahmen, alle Giftschlangen, mindestens alle Vipern und Lochottern, Nachtthiere sind.

Mit den bisher genannten sind noch keineswegs alle belästigenden Thiere der Steppe aufgezählt. Eines von ihnen, zu den kleinsten aller zählend, erregt zwar nicht Besorgniß für das Leben, wohl aber solche für das Eigenthum des in der Steppe lebenden oder sich aufhaltenden Menschen. Dieses Thier ist die Termite, ein unserer Ameise ähnlicher Kerf, welcher trotz seiner geringen Größe mehr Unheil anrichtet als die gefräßige Heuschrecke, deren Auftreten auch heute noch zur Plage werden kann, welche empfindlicheren Schaden verursacht als eine verwüstend in die Felder einfallende Elefantenherde, denn sie gehört zu den allgegenwärtigen und ununterbrochen schadenden Thieren. Was das Pflanzenreich erzeugt, verfällt ihrem scharfen Zahne, was der Kunst- und Gewerbfleiß des Menschen aus ihm zugänglichen Stoffen schafft, nicht minder. Hoch über den Graswald der Steppe erheben sich ihre kegelförmigen Erdbauten, auf dem Boden dahin wie an den Bäumen empor verlaufen ihre Gänge und Verbindungswege. Zur Nachtzeit oder im Dunkel beginnt und vollendet sie ihr vernichtendes Werk. Zunächst überzieht sie den Stoff, welchen sie in Angriff nimmt, mit einer alles Licht abhaltenden Erdkruste, und nunmehr geht sie an ihre Arbeit, deren Zweck und Ende stets Zerstörung ist. Alle am Boden liegenden oder an Erdwänden hängenden Gegenstände sind am meisten gefährdet. Der achtlose Reisende legt, von der herrschenden Schwüle bedrückt, eines seiner Kleidungsstoffe neben sich auf den ihm als Lagerstätte dienenden Boden und findet am anderen Morgen, daß es siebartig durchlöchert, unbrauchbar gemacht, mit einem Worte vernichtet ist; der noch nicht mit dem Lande vertraute Naturforscher birgt seine mühsam gesammelten Schätze in einer Kiste, versäumt aber, diese auf Steine und dergleichen Gegenstände, welche den Boden der Kiste von dem Erdboden entfernt halten, zu stellen, und sieht sich nach wenigen Tagen seiner Sammlungen beraubt; der Jäger hängt sein Gewehr an eine Lehmmauer und bemerkt zu seinem Aerger, daß das zerstörungssüchtige Kerbthier binnen kürzester Frist in den Kolben bereits tiefe Rillen genagt hat. Der Baum, welche die Termite sich ausersieht, ist verloren, das Sparrwerk der Wohnung, in welchem sie sich eingenistet, der Vernichtung geweiht. Vom Boden bis zu den höchsten Zweigen hinauf leitet sie an jenem ihre zum Verderben führenden Wege, durchfrißt Stamm, Aeste und Zweige und giebt ihn dann dem ersten Sturme preis, welcher das ertödtete und haltlos gewordene Wabenwerk in alle Himmelsrichtungen zerstäubt; an den Erdwohnungen oder dem Pfahlwerke der Wohnungen steigt sie empor, durchlöchert alles Holzwerk und bewirkt binnen kurzem den Einsturz der Behausung; unter dem gestampften Fußboden oder Estrich der bessere Häuser gräbt sie sich tausendfach verzweigte Gänge und bricht aus ihnen gelegentlich zu Millionen hervor, um nunmehr oben verderbenbringend zu wirken. So und noch vielfach anders auftretend, wird sie zu einer der ärgsten Plage Innerafrikas, insbesondere der Steppe.

Böte diese nicht auch noch andere, anziehendere und für die Wissenschaft bedeutungsvolle Erscheinungen dar: der Naturforscher würde sie ebenso gern meiden wie der handeltreibende Reisende, welcher nur ihre abstoßenden, nicht aber auch ihre fesselnden Seiten kennen lernt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_748.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)