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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zarten Fingern, er hatte die Hand mit dem großen blitzenden Siegelring um den Fuß seines Pokals gelegt. Nur eine rasche Röthe, die über beider Antlitz jagte, verrieth, daß sie den Scherz gehört und verstanden hatten.

Albrechts Blick glitt nach seiner schönen Nachbarin hinüber. Wie sie ein paar Athemzüge lang mit gesenkten Wimpern verharrte, trat ein weicher Zug in sein Antlitz; es war, als schwebe ein leises Wort auf seinen Lippen.

Aber im nächsten Augenblick schon durchbrach sie den Bann, hob das Köpfchen und sah ihn neckisch an.

„Den Cupido werden Eure Liebden ablehnen,“ sprach sie mit ihrer hellen Stimme; „denn er ist uns fremdländischer Gott.“

Er hielt ihren schillernden Blick mit den Augen fest. „Eure Gnaden haben das Rechte errathen. Das leichte Liebesgeplänkel, zu welchem der kleine griechische Gott verlockt, ist nicht nach meinem Geschmack. Ich halte es mit einer ernsten deutschen Liebe.“

Er sprach die letzten Worte, für sie allein hörbar, in einem innigen Ton. Ihr aber war zu Muthe, als solle sie mit Sanftmuth eingemauert werden. Fast ungestüm rief sie: „Das Deutsche und immer nur das Deutsche heischen Sie und können doch das Schöne nicht entbehren, das aus der Fremde kommt. Sie trinken den feurigen Malvasier, obwohl die Sonne Griechenlands ihn gezeitigt hat.“ Und indem sie die Steinrosen in ihren Locken nach dem Licht drehte, daß sie Strahlen sprühten, fuhr sie fort: „Fühlen sich Ihre Augen offendiret durch diese Diamanten, weil selbige nicht in deutschen Bergwerken gebrochen wurden? Erscheinen Ihnen die sanft leuchtenden Perlen dieses Halsbandes odios, weil nicht biedere Alemannen sie aus dem Schwäbischen Meer fischten? Die herrlichen Tulipanen, die Sie mir ohne Gewissenspein geschenkt haben, entstammen den Niederlanden. Und diese goldigen Orangen wurden aus Welschland eingeführt.“ Sie zog das Majolikakörbchen, das mit dem Nachtisch aufgesetzt worden war, heran. „Welch ein Sprüchlein ziert das Geräth? ‚Nicht mir und nicht Dir, sondern es sei zwischen uns getheilt.‘ Wie plaisant! Thun wir nach dem Wort.“ Sie entnahm dem Körbchen eine überzuckerte Pomeranze und theilte dieselbe. „Warum sollen wir auch nicht von einander annehmen? Sind wir nicht Kinder einer Erde?“

Und mit einem lieblichen Lächeln bot sie ihm die Hälfte der Frucht.

Er empfing sie auf seinem Silberteller mit tiefer Neigung.

Aber sein Blick war bei ihrem lieblichen Gaukelspiel immer ernster geworden. „Sie verwechseln äußere Dinge mit innersten Eigenschaften,“ sagte er, leise den Kopf schüttelnd.

„O, auch in Bezug auf unsere Sentiments können wir von den Fremden lernen,“ rief sie. „Wie verstehen es die Franzosen, jeder Regung der Seele nachzugehen, jede Empfindung des Herzens zu zerlegen! Hoch zu loben ist ihr Brauch, die Gefühle in zarten Diskursen zu ergründen, zu klären, zu veredeln, bis jeder Zwiespalt sich ausgeglichen hat.“

„Ein wahres Gefühl läßt sich so wenig zerlegen wie der Sonnenstrahl,“ entgegnete Herzog Albrecht. Jedoch in verändertem entschiedenen Tone, als schiebe er plötzlich alle Disputationen bei Seite, fuhr er fort: „Darin aber stimme ich Ihnen zu, daß eine wahrhaftige ehrliche Aussprache hoch vonnöthen ist zwischen Menschen, die ihre Herzen sich gegenseitig in Verwahrung geben wollen. Wenn Eure Gnaden derselben guten Meinung sind, so bitte ich Sie, huldvoll den Ort dazu küren zu wollen.“

Sie neigte das Haupt, daß der seidige Schleier von Locken einen Augenblick ihre Züge verhüllte. Dann sprach sie leise: „Wenn morgen die Sitzungen unserer Gesellschaften im welschen Garten zu Ende sind –“ sie breitete den Fächer vor ihr Gesicht, sah ihn mit muthwilligen Augen darüber hinweg an und flüsterte: „Wenn Luna lächelt und Philomele klagt, dann harrt Astrea ihres Celadon.“

Und sie lachte wie ein Silberglöckchen.

Er neigte sich tief; aber er lachte nicht mit. In Sinnen verloren blickte er vor sich hin.

Die Tafel neigte sich ihrem Ende zu. Immer lauteres Summen erfüllte den Bankettsaal, je öfter sich die Spitz-, Zucker- und Tellerbärtchen in Flügelgläser und Silberbecher versenkten.

Die jungen Schnarcher und Pocher, die im Vorgemach saßen, fluchten lästerlich, wie es ihnen im Kriegsdienst geläufig geworden war; wohlgenährte Landjunker thaten nach dem Wort: „Wer nicht vertrucknen will, muß sich feucht halten“, und liefen fürwitzig mit ihren Humpen zum Schenktisch; selbst ehrsame Räthe speisten „alla francese“, wobei jeglicher selbst sich zulangte. Und jetzt stieg gar der Hofzwerg des Herzogs von Koburg auf den Tisch des Frauenzimmers und machte Anstalt, in der Marmelade der rundlichen Hofmeisterin sich auf den Kopf zu stellen.

Da hob die große Uhr, auf deren Zifferblatt ein kleiner Sonnengott die Zeit wies, aus und schlug die achte Stunde. Und ein Flötenspiel reihte den majestätischen Choral daran: „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“

Eine plötzliche Stille trat ein, als die ernsten Klänge verhallten. Die Tafel wurde aufgehoben. Die Fürstlichkeiten begaben sich nach ihrem Losament.

„Auf Wiedersehen im welschen Garten!“ sagte Herzog Albrecht leise, als er sich von Dorothea verabschiedete.

„Auf Wiedersehen im welschen Garten,“ flüsterte die rundliche Hofmeisterin, da sie, ihrer Herrschaft folgend, an Achatius vorüberstreifte.

Das rothe runde Gesicht des Schloßhauptmanns leuchtete gleich einem Vollmond seiner Herrschaft voraus nach den Rosenkammern. Beruhigt folgte ihm die Frau Witwe. Die Herzogin Christine hatte ihr mitgetheilt, daß sie ihrem Fräulein Dorothea das Horoskop gestellt und alle Zeichen günstig gefunden habe.

Dorothea ging wie auf Wolken. So würde sie es doch durchsetzen, daß ihr Verlöbniß nicht von einem alten Aktenwurm am grünen Tisch zusammengesponnen wurde, sondern im grünen Garten, beim säuselnden Zephyr, unter webendem Mondstrahl.

Das Köpfchen gesenkt, die letzte wie immer, seit sie in Weimar war, beschloß Käthchen den Zug.

„Auf Wiedersehen im welschen Garten!“ flüsterte es auf dem dämmerigen Korridor, allwo Achatius die Koburger und Eisenacher Herrschaften mit den letzten Reverenzen versorgte.

„Auf Wiedersehen im welschen Garten!“ wisperte es noch über das Treppengeländer, als die Hofjungfrauen der Herzogin Eleonore in ihre Wohnungen hinauf sich begaben, während Achatius in das Erdgeschoß hinab ging, wo er die Reste der Speisen an Arme zu vertheilen hatte.

Ruhig stieg Gertrud neben der zerstreut vor sich hinlächelnden Benigna die Treppe empor. Aber als sie die Thür ihres Stübchens hinter sich geschlossen hatte, da drückte sie einen Augenblick die zitternden Hände auf das beklommene Herz, und ein tiefer Seufzer kam über ihre Lippen. Dann begann sie die Hofkleider abzulegen.

Während sie ihre einzige Schmuckzierde, die Bernsteinkette, von ihrem zarten weißen Hals löste, glitt ihr Blick hinab auf den Schloßplatz. Er war taghell erleuchtet. An der Pforte loderten Pechpfannen, und der Mond stand über den spitzen Giebeln und steilen Dächern der Stadt.

Die Gäste strömten von dannen, mancher Würdenträger schwer auf seinen Knecht gestützt; in wunderlichem Zickzackgang andere. Diener mit Stablichtern leuchteten den nahe wohnenden Frauen voraus, die in zobelverbrämten Mänteln davontrippelten. Lange schwerfällige Kutschen fuhren vor und nahmen die auf, welche einen weiten Weg zu machen hatten.

Dort stand halb im Schatten zurück gedrängt eine krumme Gestalt im blau und weiß getheilten Mantel, mit einem kurzen Spieß. Das war der treue Michel, der ihre Mutter abholen wollte.

Also war sie noch nicht in ihr Heim zurückgekehrt. Gewiß wollte sie erst das Getümmel sich verlaufen lassen.

Das Herz des jungen Mädchens zog sich zusammen: wegen des Vorderstückes von Damast und der Rückseite von dünnem Zindel. Sie hatte ja auch nur eine kurze alte Schaube mit einem steifen Pelzkräglein, das wie ein Heiligenschein ihr Haupt umstarrte. Den Fischotter dazu hatte ihr Vater noch auf dem Gut erlegt in fernen schönen Zeiten. Wie war ihre Mutter damals stolz darauf gewesen! Jetzt traute sie sich nicht damit hervor unter die anderen fröhlichen geputzten Menschen, stand im zugigen Portal, wo der Hofmeister dem scheidenden Frauenzimmer Kußfinger nachwarf und die hübschesten Bettelmädchen mit guten Bissen bedachte. Die feinen Lippen zuckten unsäglich bitter.

Da war er ja. Er trat aus dem Portal heraus und winkte einem seiner Diener, die sie an den bunten Dienstkleidern erkannte.

Wie respektvoll flog der Gerufene herbei. Nun eilte er von dannen hinüber nach dem Haus des Hofmeisters. Was war wohl geschehen, daß Achatius so in Aufruhr sich befand? Er stand mit dem Hut in der Hand und redete zu einer von dem Thorpfeiler verborgenen Person.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_758.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)