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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Sieh! Da kamen Leute mit einem Tragstuhl herbei. Der gehörte niemand als dem alamoden Hofherrn. Wer hätte sonst solche Federbüsche auf dem Stuhlhimmel angebracht?

Ah so! Er ließ galant eine Dame nach Hause tragen, während ihr Mütterlein geduldig warten und dann heimgehen mußte.

Da führte er das Frauenzimmer heran.

Ein halb erstickter Schrei drang über ihre Lippen.

Das war die Fischotterschaube. Er führte ihre Mutter an die Thür des Tragstuhles und half ihr sorgfältig hinein.

Dann trat er mit ehrerbietiger Reverenz zurück.

Voll wohlwollender Würde neigte sich die steife Haube, und mit vornehmer Anmuth winkte das kleine alte Fähnlein heraus.

Dann ging er zurück, und das Zöpflein an der Seite schwenkte sich lustig.

Aber Achatius behielt recht. Gertrud lachte nicht über ihn. Ein heiße Thräne fiel auf das Bernsteinhalsband und glitzerte in dem Mondlicht, daß es schien, als bewege das versteinerte Mücklein die Flügel.


Warm strahlte die Sonne am andern Tag auf den welschen Garten herab. Auch dieses Stückchen Erde beseelte der Lenz, obgleich es anzusehen war, als sei es von einem Baumeister mit Richtscheit und Winkelmaß geschaffen. Auf einem großen Beet am Eingang bildeten Melissen, Salbei und Rautenstauden das sächsische Wappen; ein würziger Duft stieg von den Pflänzlein auf. Die Fichtenpyramiden, deren verfilztes Gezweig dem stachligen Fell eines Igels glich, waren mit maigrünen Tüpflein gesprenkelt. Das aus einem Maßholder gezogene Einhorn hatte ein unziemlich langes, von zarten Fächerblättchen umkräuseltes Horn getrieben; auf seiner Spitze wiegte sich eine Nachtigall und flötete und flötete. Leises Plätschern und Murmeln begleitete den süßen Gesang; das Wasser des Bassins, in die vieleckige Steineinfassung gezwängt wie Spiegelglas in den Rahmen, hatte seine muntere natürliche Sprache nicht verlernt.

Das schmiedeeiserne Thor war weit aufgethan. Unaufhörlich strömten die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft von allen Seiten herzu. Sie trugen um den Hals das Palmgeschmeide, eine am papageigrünen Band hängende, in Gold getriebene Medaille, die den Palmbaum zeigte mit der Inschrift: „Alles zum Nutzen.“

In dem Tempel der Flora, wie ein von glattgeschorenen Hainbuchenhecken umzirkelter Kiesplatz genannt wurde, fand sich ein Trupp junger Edelleute zusammen.

„Ob der Verspruch zwischen dem Unansehnlichen und der Freudigen wohl stattgefunden hat?“’ fragte der eine, aus dessen Wams die Ecke eines Papieres herausschaute.

„Habt Ihr Euch auch mit einem Gedicht zum Verlöbniß gequält?“ seufzte ein anderer, der den Fuß der steinernen Göttin als Schreibpult benutzte.

„Wenn nur der Name Albrecht sich gefügiger erweisen wollte in dem neuen heroischen Vers, den der Dichter Opitz den Franzosen abgelernt hat.“

„Ich finde auf Dorothee keinen andern Reim als, o weh!’“ klagte ein würdiger Rath, den Stift kummervoll hinter das Ohr steckend.

Der Herzog von Eisenach, der mit seinem Bruder, dem Koburger Herrn, vorüberging, schüttelte den Kopf, „Sie werden dem jungen Paar noch einen Weidmann setzen. Wahrlich, es ist gerathen, jegliches bevorstehende Ereigniß vor den Palmgenossen geheim zu halten, damit sie nicht einen Ueberfall machen mit einem Lobgedicht oder einer Denksäule.“

Der Koburger nickte. „Jetzt schreibt jeder, der Hände hat, und wer lügen kann, hält sich für einen Dichter. Von rechtswegen sollten sie alle eingesperrt werden.“

Der Eisenacher Herzog lachte. Das war seines Bruders Allheilmittel.

Auf dem breiten, von Schwibbogen überwölbten Hauptweg wandelte eine Schar Herren heran, in echter Thüringer Art nach je drei Schritten stehen bleibend. Sie hatten den Hofmeister von Krombsdorff in ihre Mitte genommen.

„Was meint der hochwertheste Wohlriechende?“ fragte ihn ein wohlbeleibter Herr, behäbig lachend. „Wird wirklich das Buchstäblein ‚e‘ so viel als thunlich eingeschluckt werden?“

„Wollt Ihr noch mehr einschlucken?“ erwiderte Achatius. „Heißt Ihr doch schon ,der Dicke’ und führt einen Kürbis als Bild.“

Aber der Dicke ließ sich nicht beirren. „Ich habe vernommen,“ sprach er und machte abermals Halt, „hinfüro dürft Ihr nicht mehr langgezogen, gleich einem Sprosser, flehen: ‚Liebet mich, holde Herzenskönigin!‘ sondern müßt befehlen wie ein Rottenmeister: ,Liebt mich!“

Morbleu!“ schrie Achatius mit wildem Blick. „Laßt mich in Ruhe! Das Getändel ist mir odios.“ “

Allgemeiner Jubel erhob sich. „Er hat zwei fremde Worte gebraucht. Auf den Drehstuhl! Zur Hänselung mit ihm!“

Der Mehlreiche, wie der Hofmarschall von Teutleben hieß, glitt heran. „Hier darf kein Umstand gebildet werden,“ flüsterte er. „Die Herrschaften kommen.“

Im eifrigen Gespräch nahten die fürstlichen Herren, die heute nur mit ihren Ordensnamen genannt wurden.

„Giebt es denn kein Mittel,“ ließ sich sichtlich erregt der Unansehnliche vernehmen, „unsrer alten Heldensprache solchen Aufschwung zu verleihen, daß sie die glatten schmeichlerischen Worte der Franzosen in den Staub tritt? Vermögen wir nicht, Männer unter uns zu erziehen, die durch echte Dichtungen die gleißenden Poesien des fremden Volks überstrahlen wie Sterne die Irrlichter? Weiß unser Einrichtender keinen Rath?“ wendete er sich an den Geheimerath Hortleder.

Der ehemalige Präceptor der jungen Herzöge, welcher jetzt auf dem ersten Platz des Landes stand, schüttelte die grauen Locken. „Die Sprache wächst mit der Seele des Volkes. Wie diese sich entwickelt, so spiegelt jene es wieder. Da hilft das Schneiteln und Drechseln nicht viel. Einst hat die deutsche Sprache Kraft und Wohllaut besessen. In Jahrhunderten, in denen unser Volk daniederlag, hat sie beide verloren. Doktor Luther gab ihr die Kraft zurück, wie die streitende Zeit sie bedurfte. Ich getröste mich: einst, wenn in unsrem Vaterland Frieden geworden ist, wird auch der Wohllaut sich wieder einfinden. Und die Dichter können wir nicht erziehen, die ernennt allein Gott der Herr.“

„Aber,“ fügte der Schmackhafte, wie Herzog Wilhelm hieß, zuversichtlich hinzu, „das soll uns nicht irremachen, an unserer Stelle nach Kräften zu wirken. Der eine pflügt und säet, der andere erntet. So kann der Boden, den wir itzo bestellen, in kommenden Zeiten die Dichter tragen, die das Werk vollbringen, von dessen Herrlichkeit wir nur eine Ahnung haben.“

„Amen,“ sprach feierlich Teutleben.

„Amen,“ hallte ein Echo mit leisem Klang von der Hihe drüben zurück.

Sie waren am Ende des Bogenganges bei dem blühenden Birnbaum angelangt, unter welchem die Tafel für die Palmgenossen errichtet war; denn die von einer Wespe benagte Birne war das Sinnbild des Schmackhaften, welcher den Vorsitz führte.

Die Herren nahmen ihre Plätze ein. Trabanten und Lakaien besetzten die Zugänge, daß niemand die Sitzung störe.

Die Berathungen begannen. –

Auf dem Lusthäuschen, das in hohe Lindenbäume hineingebaut war, versammelten sich die Tugendlichen, geschmückt mit den safranfarbigen Ordensbändern. Die erhöhten Plätze nahmen die Fürstinnen ein, eine Stufe tiefer saß das adlige Frauenzimmer.

Ueber die sammetnen und brokatnen Röcke huschten die Schatten der jungen Lindenblätter, als würden sie mit Herzen bestreut.

Andern Antheil nahm das Herz nicht an ihren Berathungen. „Ich lege den Tugendlichen ein Rezept vor,“ sprach die alte Gräfin von Gleichen mit ihrer zitternden Stimme zu den Fürstinnen, „wie Löffelgänse am feinsten zu bereiten sind. Und rathe ich jeglicher Hausfrau, den leckern Braten ihrem Gemahl aufzutischen. Es ist eine alte Erfahrung, daß diejenige Frau am treusten geliebt wird, welche den Magen ihres Herrn wacker versorgt.“

„Und ich,“ sagte am Tisch des adligen Frauenzimmers die Braut des jüngsten Palmgenossen, „habe das Sinnbild gestickt, so mein Bräutigam im Orden führt. Es sind Rapunzeln,“ setzte sie kleinlaut hinzu, „und der Name lautet: ,der Faselnde am Berge’.“

Die Tugendlichen ließen die feine Arbeit stumm von Hand zu Hand gehen und verbargen hinter Windfähnlein und Faltfächern eine Anwandlung zum Gähnen.

Da wurde ein leichter schwebender Schritt auf der schraubenförmigen Treppe vernehmbar, und im nächsten Augenblick trat Dorothea in den Kreis. Sie trug den Schäferstab in der Hand, über der Schulter hing ihr das Hirtentäschlein mit dem brennenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_759.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)