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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich ernenne Euch zu meinem Schäfer Amindor!“

„Wollt Ihr nicht mein Thyrcis sein?“ „Nein, mein Lycidas!“ riefen sie durcheinander.

Auch Käthchen hatte sich dazu gesellt. Den Maßliebchenstab in der kleinen festen Hand, sah sie ihn finster an: „Gebt mein Favor wieder her! Es war eine ganz neue Schleife.“

Achatius schaute sich vergeblich nach einem Ausweg um.

Sie standen wie Wachtposten mit ihren Schäferstäben um ihn im Kreise.

Da seufzte er tief auf und sprach: „Der braune Abend ist herabgesunken und Frieden waltet auf der stillen Flur. Tugendseligste Nymphen! Hochedelgeborene Schäferinnen! Gebet auch Ihr für itzo Frieden. Und gestattet, daß ich, um Euch allen zu dienen, den Tanz aufführe, der aus Frankreich kommt und Galliarde benamset wird.“

Und er schob sie eigenhändig ein wenig zurück, indem er ihnen die zarten Finger bittend drückte.

Dann warf er sein leichtes Mäntelchen aus rother Seide von der Schulter und stand nun in ihrem Kreis, hoch, schlank und im weißen Atlas seiner Kleidung schillernd gleich der Silberpappel drüben an der murmelnden Ilm.

Mit süßem Ton sang er in das Wellenrauschen, das Flüstern der Blätter die Tanzweise und hob die künstliche Galliarde an.

„Eine Stunde lieben ist lange Frist,
Ein Augenblick genugsamb ist,“

klang es in die Ohren der Frauen. Aber sie ließen sich nicht bange machen. Es bebte etwas in der Stimme, was den leichtfertigen Worten widersprach und was jede auf sich bezog.

Wie zierlich waren die Pas, welche die feinen Füße des Tänzers auf dem Rasen ausführten!

Triumphirend lächelte Benigna, als er ihr voll Zierd und Wohlanständigkeit eine Capriola darbrachte. Aber da war er schon wieder vor der rundlichen Hofmeisterin, warf ihr einen kecken Kußfinger zu, und nun sang er aufmunternd vor dem verdrießlichen Käthchen: „Sa! sa!“

Wem galt der Blick, der so sehnsüchtig hinüberflog in den dämmerigen Buchengang? Keine dachte mehr daran, ihn mit ihrem Stab einzuhegen.

Da hob er sich plötzlich mit einem leichten Satz, flog wie eine Feder aus dem Kreis hinaus und war im nächsten Augenblick hinter der Buchenwand verschwunden.

Dort wandelte Gertrud von Hellingen dem Schloß langsam zu. Er eilte ihr nach.

Diantre! Er hatte sich also abgehetzt, daß ihm das Herz bis in den Hals schlug. Er mußte erst Athem schöpfen; sonst versagte ihm die Stimme. Aber wie die stille Gestalt näher und näher kam, wurde es immer toller mit dem Herzschlag. Es blieb ihm nichts übrig, als fast athemlos sie zu begrüßen.

„Wer ist würdig genug von Euch befunden worden, um Euer Schäfer zu sein?“ fragte er mit stockender Stimme, und seine Augen suchten unruhig hinter allen Büschen.

Sie erwiderte leise: „Ihr seht, daß ich keinen Schäferstab trage; ich gehöre nicht zu den Hirtinnen und habe derohalb den Dienst meiner Gefährtin Benigna übernommen, in der Apotheke das Magenwasser für die morgen wieder Abreisenden bereit zu stellen.“

Sie ging dabei ruhig weiter; sie war blaß wie immer, nur die sinkende Sonne hauchte eine zarte Röthe über ihr stilles Gesichtchen. Sie war also noch frei, und sie sprach auch milder zu ihm denn sonst. Er hätte sich ihr so gern als Schäfer angetragen; aber sie wollte keine Hirtin sein.

„Ach!“ rief er schmerzlich, „Ihr verschmäht auch diesen anmuthigen Zeitvertreib! Ihr seid so kalt wie die steinernen Würmlein in Eurem Halsband.“

Da sah sie zu ihm auf mit ihren großen dunklen Augen. „Scheltet die steinernen Würmlein nicht,“ sagte sie mit trauriger Stimme. „Sie hatten auch ein Recht, sich im Sonnenschein ihres Lebens zu freuen wie Ihr. Aber ihr Schicksal war, abgeschlossen zu werden im durchsichtigen Kerker von allem, was Lust und Freude heißt. Da sind sie starr und kalt geworden.“

Sie neigte das Haupt gegen ihn, und er schmiegte sich in die grüne Wand, daß sie ungehindert vorüber gehen konnte.

Er folgte ihr nur mit dem Blick, wie sie still dahin schritt.

Wie klagend war der Ton ihrer Stimme gewesen! Noch nie hatte sie ihn einer so sanften Rede gewürdigt. Es dünkte ihm, als sei er ihr plötzlich nahe gekommen.

Ein leiser Wind flüsterte durch die Gänge. Den rosigen Abendhimmel, der sich darüber spannte, überwallten lichte Wölkchen wie Engelsflüglein.

Ihm war so weich, so schmerzlich selig zu Muthe. Einst, da er als Jüngling durch diese Gänge wandelte, hatte er so gefühlt. Wie lange Zeit war seitdem vergangen, wie bunt waren die Erlebnisse, die sie ihm ausgefüllt hatten!

Und nun kamen ihm, dem Vielerfahrenenn diese längst vergessenen Empfindungen des jungen Pagen wieder.

Der kühle Kopf versank in Träumerei und vergaß, das junge warme Herz im Zügel zu halten. –

Auch um die schöne Schäferin Astrea spann der Maiabend seinen Zauber, während sie die einsamen Wege an der Ilm suchte.

Die Sonne ging zu Gnaden. Noch im Scheiden breitete sie ihren lichten Mantel über den Himmelsbogen aus und streute goldige Flocken durch das mattgrüne Laub der Weidenbäume, auf die leise dahin treibenden Wellen des Thüringer Flüßchens.

So ringelten sich die Bäche durch die französische Landschaft, in welcher Celadon und seine Astrea daheim waren. In solchen still hingleitenden Wellen beschaute sich der treue Schäfer und sang dazu auf seiner Pfeife:

„Hört auf einmal, mir zuwider zu sein,
Eh daß ich sterb’, zartes Jungfräulein.“

Aber nicht sehnsuchtsvolles Flötenspiel ließ sich vernehmen. Majestätische Klänge verhallten in ernstem Summen über ihrem Haupte; die Glocken der Kirche zu St. Peter und Paul, darin die jungen für den evangelischen Glauben und das Vaterland deutscher Nation gefallenen Herzöge schliefen, riefen zu einer Beichtkirche.

Nicht weiche Liebesklagen drangen an ihr Ohr. Vom steinernen Wachthäuschen herüber schallte das Kriegslied:

„Nun seid getrost, Ihr frommen Knecht,
Fürs Vaterland nur männlich fecht!“

Gestört in ihrem süßen Sinnen wandte Dorothea sich ab und den schweigenden Taxusgängen zu, die vor ihr die dunklen Pforten öffneten. Der Zephyr strich lautlos an den hohen glatt geschorenen Nadelwänden hin. Tiefe Stille umfing sie. Aber da, wo ein anderer Pfad, lauschiger noch als der, welchen sie ging, sich abzweigte, kam es her wie ein sanft ersterbender Seufzer. Ihr Herz schlug hochauf. Sie folgte dem leisen Ton. Aber sie hatte sich getäuscht. Auch dieser Weg lag wie ausgestorben vor ihr. Nirgends war Der zu erblicken, den sie im welschen Garten erwarten wollte. Sie ging immer rascher; aber sie fand kein Ende. Neue Wege durchkreuzten den ihrigen.

Wo war sie? Ueberall schlängelten sich dunkle Gänge in dämmerige Tiefen hinein. Aufs Gerathewohl eilte sie weiter, Eine unerklärliche Angst überfiel sie.

Jetzt – endlich trat sie auf einen freien Platz heraus. In der Mitte desselben erhob sich ein Obelisk aus Thüringer Schriftgranit. Seine Spitze war von der untergehenden Sonne roth angestrahlt, während die Taxuswände bereits im Schatten lagen und gleich einem schwarzen Kranz ihn umgaben. Sie war in den Irrgarten gerathen.

Wohin sollte sie sich wenden? Rathlos blieb sie stehen.

Ging da nicht jemand? Ja, es war keine Täuschung. Und sie kannte diesen festen raschen Schritt. Ihr Herz klopfte, daß sie meinte, die Schläge bis in die Spitzen ihrer Locken zu fühlen.

Um die dunkle starre Wand bog im nächsten Augenblick Herzog Albrecht.

Sie sah ihm gespannt entgegen. Wie anders erschien er ihr heute als am Tage ihrer Ankunft! Das gut gelaunte Lächeln war verschwunden; ein Zug unbeugsamer Festigkeit lag um seine Lippen. Die klaren braunen Augen glitten mit unwilligem Blick an ihrer phantastisch geschmückten Gestalt herab. Mit kurzer, förmlicher Reverenz begrüßte er sie.

„Also es ist wahr,“ sprach er, und seine Stimme bebte wie von unterdrücktem Zorn, „die deutschen Tugendlichen haben sich in französische Schäferinnen verwandelt?“

Es war, als schnüre ihr eine plötzliche Furcht das Herz zusammen. Aber sie überwand die Schwäche, lehnte ihr Köpfchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_774.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)