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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ein venetianisches Glas umstieß, brachten diese die Scherben unbemerkt bei Seite.

Es wurde ihm siedend heiß als Vorleger heim Mahl. Was thut ein Mann mit geronnener Milch über Reiskörnlein? Wie traktirt man die riesige Papierkrause am gebratenen Hahn?

Als er nach gethanem Dienst mit dem väterlichen Freund an der Tafel der Hofleute Platz nahm, war ihm der Hunger gänzlich vergangen.

„So ist’s recht,“ raunte der Schloßhauptmann ihm zu, „ein Hofmann wird von der Gnade satt.“

Und welche wunderliche Gespräche wurden geführt! Zuerst begriff er alles ganz gut. Die Damen unterhielten sich von der Sorge, daß der Kaiser alle eingezogenen geistlichen Güter wieder zurück verlangen wolle. Es war glaublich, daß die Frau Gräfin von Rudolstadt nicht schlafen konnte wegen des gefährdeten Klostergutes Paulinzelle, und die Herzöge von Altenburg sich wehrten, Heusdorf und Bürgel wieder herzugeben. Ein wie kitzliger Punkt der Geldkasten überall und allezeit gewesen ist, wußte Utz. Auch was sie von der wieder näher drohenden Kriegsgefahr flüsterten, verstand er. Er hatte schon längst der Sache nicht mehr getraut. Der Platz in seinem Keller war ausersehen, wohin er seine besten Schätze vergraben wollte, und ein Augsburger Feuerrohr von ihm gekauft worden, um Haus und Herd vertheidigen zu können gegen eindringendes Kriegsvolk.

Aber was die Schäferei damit zu schaffen haben sollte, blieb ihm unbegreiflich. Die gräflichen Gnaden erklärten ganz ernsthaft, daß man nicht darauf rechnen dürfe, Schäfer zu finden in diesen schlimmen Zeiten. Nun ja! Es war ja ein verantwortlicher Dienst; die Thiere durften nicht an Stellen geführt werden, wo giftiges Gekräut wuchs. Jedoch für so hochwichtige Leute erachtete er die Schäfer nicht und hatte nie Mangel an solchen verspürt.

Und nun vollends die Schäferinnen!

Welch eine verwahrloste Wirtschaft war das, wo die Weiber hüteten! Denen gehorchte ja nimmer ein richtiger Schäferhund. Er vertraute nur seine Gänse einer Hirtin an. Und welches Wesen machten sie davon! Die Gräfin von Mansfeld meinte seufzend, daß der Schäferbund auf der langen Bank einschlafen müsse, darauf der Rath vom Schöppenstuhl in Jena ihn geschoben habe.

Dummes Zeug! Der Schöppenstuhl verurtheilte Hexen und Mörder; aber er schor sich nicht um widerspenstige Schäfer. Denen ließ ein adeliger Herr selbst die gebührenden Hiebe aufzählen.

Aber war der Herzogin Dorothea ein Knöchlein von den gebratenen Finken in den Hals gekommen, daß sie so purpurroth wurde? Und niemand klopfte ihr hilfreich in den Rücken. Die Damen schienen es in der Ordnung zu finden, daß das fürstliche Fräulein erstickte.

Dann brach der Besuch wieder auf. Abermals bückte sich Junker Utz; wieder zog er vorwärts und rückwärts, und wieder vollbrachte er eine That: er stieß mit seiner Hutfeder die langnasige Hofjungfrau in das Auge, daß sie an dem Tag nichts mehr zu erschauen vermochte.

Gottlob! Da ritten die gräflichen Gnaden ab. Das letzte wappengestickte Fähnlein, das die Pferde der Damen auf den Schweifen trugen, verschwand in der Thorwölbung.

Nachträglich schob Utz vorsichtig mit den Fußspitzen die langen Röcke aus dem Wege, drückte die Ellbogen an und hielt den Hut gesenkt. Der Schloßhauptmann nickte wohlgefällig. Das Unheil, das Utz über andere gebracht, hatte ihm genützt.

„Wollt Ihr bei meiner Hausehre einen Trunk auf den Schrecken thun?“ fragte er gemächlich, da sie entlassen waren.

„Ich danke Euch,“ erwiderte Utz. „Aber mein erstes Werk ist, daß ich den engen Halskragen ablege. Er hätte mich traun erwürgen können.“ Er drückte dem Schloßhauptmann kräftig die Hand und begab sich spornstreichs heim.

Pfiffig vor sich hinblinzelnd, ging auch Herr von Tautenburg nach Haus.

Die Abendtafel war gedeckt. In der Küche sotten Karauschen aus der Saale. Frau und Tochter trugen Essigflasche und Pfefferbüchse herbei und zeigten Gesichter, die mit dem Inhalt der Gefäße wetteiferten. Aber er war zu vergnügt, um sich von der schlechten Laune anstecken zu lassen. Er schob Käthchen den Canarizucker in den Mund, den er wie üblich von der fürstlichen Tafel mitgebracht hatte, hüllte sich in sein Hauskleid und nahm Platz vor seinen tellerrunden Karauschen.

„Nun,“ plauderte er, das Fleisch von den Gräten lösend, „der Utz macht sich ganz gut als Hofjunker. Er hat auch der Hofjungfrau, die so hübsch mit ihm auf seinem Rothschimmel saß, gehörig in die Augen gestochen.“ Er lachte wie ein Kobold.

Seiner Ehehälfte fiel die Gabel aus der Hand. Er wollte sie über seinen Witz aufklären – da zog Käthe seinen Blick auf sich.

Mit offenstehendem Mündchen und großen Augen starrte sie ihn schier entsetzt an. Botz Wetter!

Mit verzweifelt pfiffigem Augenblinzeln fuhr er fort: „Schade, Käthe, daß Du ihn mit einem Korbe heimschicken willst. Das schöne Sprüchlein über seiner Hauspforte, das den Ein- und Ausgehenden Glück und auch den Vorüberwandelnden Gottes Geleit wünscht, wird sich anders an Dir erfüllen, als wir verhofften. Die Hofjungfrau wird die Einziehende, Du wirst die Vorüberwandelnde sein und zusehen, wie sie den Kühen die Glocken anhängt, die Utz Deinetwegen angeschafft hat. Sie wird ihr scharfkantiges Näschen, an welchem bishero jeglicher Ehering vorüber gezogen ist, hoch in die Luft recken, wenn sie aus dem Thurm des stattlichen Schlößchens auf Dich herabsieht.“

Er hatte den Fisch aufgespeist, unbekümmert darum, daß Frau und Kind keinen Bissen hinab gebracht hatten. Nun sprach er geruhig sein Tischgebet und schickte sein Töchterlein mit einer Gutenacht zu Bett. Der Herr Vater hatte gut reden, Käthe konnte nicht schlafen. Unaufhörlich warf sie den blonden Kopf auf dem Kissen hin und her. Zu schwere Gedanken mußte er verarbeiten. O, wie wahr sprach der alte Schloßvogt: es gab keine Gerechtigkeit in der Welt. Sie sollte den Vetter Achatius nicht heirathen, und die Hofjungfrau sollte den Junker Utz bekommen, das schöne Gut, den Hühnerhof und die weißen Kühe mit den Glocken. Die Hoffärtige sollte ernten, was für sie gesät war. Ach, wer doch sterben könnte und in einem weißen Kleide daliegen! Dann käme der Junker Utz herüber mit seiner verwelkten Braut und bereute, daß er die Hochmüthige genommen, welche die kleine Käthe immer über die Achsel ansah. Aber nun half es nichts, Käthe war mausetodt. Und bei dieser friedlichen Vorstellung sanken ihr die Augen zu, und sie schlief wie ein Rätzchen in die schwüle Nacht hinein.

Tiefes Dünkel umhüllte die Dornburg. Nur die Fenster der Herzogin Dorothea schauten hell gleich schlaflosen Augen in die Nacht hinaus. Nicht schnell genug hatten die Kammermägde den duftigen Talatharock, die Schmuckzierden abstreifen können. Dann winkte Dorothea ihnen ungeduldig Entlassung. Mit vor Eile zitternden Fingern rafften sie die schweren Bettvorhänge, zündeten die Kerzen auf dem Betpult an und verschwanden.

Dorothea beachtete die Vorbereitungen zu ihrer Abendandacht gar nicht. Ihre Gedanken jagten durch ihr glühendes Haupt, während sie sonder Ruhe und Rast im Gemach auf und ab wandelte.

Welch ein qualvoller Tag lag hinter ihr!

Nicht die Gleichgültigkeit, mit welcher die Gäste das Schäferspiel hatten fallen lassen wie einen Mummenschanz, war es gewesen, die ihr Herz zuschnürte. Das bedauernde Achselzucken der Gräfinnen über den zu so ungelegener Zeit gestifteten Bund, die bedeutungsvollen Blicke ihrer Mutter sah sie kaum. Was wog das alles gegen die furchtbare Erkenntniß, die sich ihr aufdrängte, nicht mehr zurückweisen ließ: für werthlosen Flitter, für Lustgebilde, inhaltlos wie bunte Seifenblasen, hatte sie ihr Lebensglück aufs Spiel gesetzt und – verloren!

Ach, schon lange dämmerte diese Einsicht in ihr. Schon damals, als des Kaisers Eingriff in die Rechte der evangelischen Fürsten wie ein drohender Windstoß vor dem Gewitter in die trügerische Ruhe hinein fuhr, dann bei der Nachricht, daß Gott im hohen Norden der lutherischen Sache einen Kämpen erweckt habe und leises Waffenklirren an den verwandten Höfen der Botschaft antwortete.

Die sächsischen Fürsten standen auf der Wacht gegen den Papst und den hispanisch gesinnten Kaiser. Sie waren bereit, zu sterben für Glauben und Vaterland.

So hatte er gesprochen im welschen Garten; sie meinte die ernste Stimme noch zu hören. Jetzt verstand sie seine Strenge. Aber eine heiße Gluth stieg in ihre Wangen bei dem Gedanken, daß die kurz geschürzte, bebänderte Schäferin, die damals den Antheil an der Sorge der harten Zeit so leichtfertig abwies – sie gewesen war, die deutsche Fürstin.

Und was half es ihr, daß sie sich sagte, auch sie habe für eine gute Sache gekämpft, für einen würdigeren Platz der Frau?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_794.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)