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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

als sie davonritten; auch der Präsident war zu Pferde, denn auf dem gänzlich aufgeweichten Wege kam der Bergwagen nicht vorwärts; selbst die Thiere arbeiteten sich nur mühsam durch den tiefen Schlamm. Die kleine Gesellschaft ritt in drückendem Schweigen dahin, nur Waltenberg machte hin und wieder eine kurze Bemerkung, die kaum beantwortet wurde. Sie nahmen ihren Weg zunächst nach der Wolkensteiner Brücke.




Der Wolkenstein hatte sein Haupt noch dichter als sonst verhüllt; schwere Wetterwolken umlagerten seinen Gipfel und zogen an seinen Wänden hin, wilde Gletscherbäche stürzten von seinen Eisfeldern nieder und die Stürme umtobten ihn Tag und Nacht. Die Alpenfee schwang das Scepter über ihrem Reiche, die wilde Herrscherin des Gebirges zeigte sich in ihrer ganzen furchtbaren Macht.

Die Herbststürme waren ja so oft verhängnißvoll geworden, mehr als einmal hatten sie Hochwasser und Lawinengefahr gebracht; manches Dorf, mancher einsame Berghof hatte das schwer empfinden müssen, aber eine solche Katastrophe war seit einem Menschenalter nicht eingetreten. Seltsamerweise verschonte sie diesmal größtentheils die Ortschaften; die Fluthen und Stürme bedrohten nur die Bahn, die sich, dem Laufe des Stromes folgend, durch das ganze Wolkensteiner Gebiet zog und mit ihren zahlreichen Brücken und Bauten nur zu viele Angriffspunkte bot.

Der Chefingenieur hatte gleich beim ersten Ausbruch der Gefahr mit gewohnter Umsicht und Energie seine Maßregeln getroffen. Die ganzen Arbeitermassen wurden aufgeboten, um die Bahn zu schützen; die Ingenieure waren Tag und Nacht auf ihrem Posten, Elmhorst selbst schien sich zu verzehnfachen und überall zugleich zu sein. Er flog von einer bedrohten Stelle zur anderen; ermuthigte, befahl, feuerte an und gab dabei rücksichtslos seine eigene Sicherheit preis. Sein Beispiel riß alle fort; was Menschenkräfte nur leisten konnten, das wurde geleistet, aber all die Menschenkraft erwies sich als ohnmächtig den entfesselten Elementen gegenüber.

Seit drei Tagen und Nächten strömte der Regen wolkenbruchartig; all die tausend Wasseradern, die sonst so harmlos und silberhell von den Höhen niederrannen, tobten und stürzten wie Wildbäche in das Thal nieder, die Bäche wurden zu reißenden Strömen, die durch die Wälder brachen und Tannen und Felstrümmer mit sich fortrissen, und alles strebte dem Bergstrome zu, dessen Fluth stieg und stieg und ihren wilden Wogenschwall immer wieder von neuem gegen die Bahndämme warf. Sie konnten diesem unaufhörlichen Ansturm endlich nicht mehr widerstehen, hier wurden sie überfluthet, dort zerrissen; das nasse, zerwühlte Erdreich hielt nirgends mehr zusammen und riß weichend das Mauerwerk mit sich.

Auch die Brücken hielten nicht mehr Stand, eine nach der anderen erlag dem Ansturm der Wogen, die man vergebens zu theilen und zu brechen versuchte. Infolge der unaufhörlichen Regengüsse gingen überall Erd- und Felsstürze nieder; eins der Stationsgebäude wurde dadurch völlig vernichtet, die anderen schwer beschädigt. Dazu tobte der Sturm in den Lüften und erschwerte das Arbeiten im Freien übermäßig. Wenn der Chefingenieur nicht an ihrer Spitze gewesen wäre, die Leute hätten längst die Arbeit aufgegeben und thatenlos dem Verderben zugeschaut, dem sie doch nicht wehren konnten.

Aber Wolfgang Elmhorst führte den Kampf durch bis aufs äußerste. Schritt für Schritt, wie er sich einst diesen Boden erobert hatte, vertheidigte er ihn jetzt. Er wollte nicht unterliegen, wollte sein Werk nicht preisgeben; aber während er mit verzweifelter Energie kämpfte und alles dransetzte, es der Vernichtung zu entreißen, klangen ihm immer Wieder die letzten Worte des alten Freiherrn von Thurgau in den Ohren:

„Nehmt Euch in Acht vor unseren Bergen, die Ihr so hochmüthig zwingen wollt, daß sie nicht herabstürzen und all Eure Bauten und Brücken wie Splitter entzweibrechen. Ich wollte, ich könnte dabei stehen und es mit ansehen, wie das ganze verfluchte Werk in Trümmer geht!“

Die düstere Prophezeiung schien sich jetzt zu erfüllen – nach Jahren. Man hatte Wälder und Felsen durchbrochen, Ströme bezwungen und das ganze weite Bergesreich unter die eiserne Fessel gebeugt, die es den Menschen dienstbar machen sollte, man hatte sich so stolz gerühmt, die Alpenfee besiegt und unterworfen zu haben, und jetzt, unmittelbar vor der Vollendung des Werkes, erhob sie sich von ihrem Wolkenthrone und schüttelte zürnend das Haupt. Jetzt kam sie hernieder in Sturm und Verderben und vor diesem Sturmesathem sank all das stolze Meuschenwerk in Trümmern zusammen. Da half kein Muth und keine Energie, kein Ringen der Verzweiflung; die wilde Elementargewalt zertrat in wenigen Tagen all die Spuren, die der Menschengeist in jahrelanger, mühevoller Arbeit geschaffen hatte, und trieb hohnlachend ihr Spiel mit denen, die geglaubt hatten, ihre Herren zu sein – ein furchtbares, todbringendes Spiel!

Freilich die Wolkensteiner Brücke stand noch fest und sicher, wo alles andere wankte und stürzte. Selbst der weiße, kochende Gischt, den die wild schäumende Ache emporschleuderte, drang nicht bis zu ihr, die sich oben in schwindelnder Höhe hinzog. Und so furchtbar es in den Lüften tobte, der Sturm brach sich an den Eisenrippen des mächtigen Baues. Auf seinem Felsengrunde ruhte er, wie für die Ewigkeit geschaffen, und bot all den Unheilsmächten Trotz.

Das Stationsgebäude, das der Chefingenieur einstweilen bewohnte, war seit dem Ausbruch der Katastrophe das Hauptquartier gewesen, wohin sich alle Berichte und Meldungen wandten, von wo all die Befehle und Maßregeln ausgingen. Man hatte diesen Theil der Bahnstrecke bisher für sicher gehalten, da sie hier eins der schmalen, tief eingeschnittenen Seitenthäler kreuzte, die Wolkensteiner Schlucht überbrückte und sich dann auf steilen, hohen Abhängen wieder dem Bergstrome zuwandte, der an dieser Stelle einen weiten Bogen machte. Das Hochwasser, das der unteren Strecke so verhängnißvoll geworden war, konnte die obere nicht erreichen; aber jetzt waren die Wildbäche vom Wolkenstein losgebrochen und die Schlamm- und Geröllmassen, welche sie mit sich führten, drangen bis zur Brücke vor. Die Gefahr mußte auch hier dringend sein, denn Elmhorst selbst war zur Stelle und leitete persönlich die Arbeiten.

(Fortsetzung folgt.)

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Königseiche bei Peisterwitz (Kreis Ohlau).
Originalzeichnung von Felix Hampel.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_805.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)