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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Deutsche Art, treu gewahrt.
Eine Hofgeschichte aus dem 17. Jahrhundert von Stefanie Keyser.

(Fortsetzung.)

Käthchens Blick lief an dem schwarzbraunen rissigen Stamme der alten Ulme empor zu dem hohen Wipfel, der leise und feierlich rauschte. Einst sollten hier weise Frauen Rath ertheilt haben. Das Volk schlich noch jetzt nächtlicherweile herauf und band an seine Zweige in Leinenläppchen seine Leiden. Und es ging die Rede, daß die alte Ulme immer helfe. Konnte sie nicht auch ihr beistehen? Sie verdiente ja sonst nichts weiter, als umgehauen und zu Klaftern geschlagen zu werden.

Der Wind rauschte stärker in dem Wipfel – ein Krachen folgte und ein langer dürrer Ast fiel herab. Aber auch von der andern Seite wurde ein Rauschen und Knacken vernehmbar. Sie bog sich vor.

Da kam so der Junker Utz durch das Gebüsch geschlichen. Vorsichtig stieg er in seinen hohen Stiefeln über die Brombeerranken, leise bog er die Haselstauden aus einander und lugte hinaus nach der Dornburg, wo die Fenster von Käthchens Stübchen herabschauten. Aber es war dort gar nichts zu sehen. Da wandte er sich und kam langsam des Weges daher. Sein ehrliches Gesicht sah nachdenklich und traurig aus. Er seufzte tief auf. Dieser Seufzer kam nicht vom engen Leibgurt, sondern geradeswegs aus dem Herzen.

Und jetzt stand er vor ihr. Er schrak zusammen und starrte sie an. „Wie kommt Ihr hierher?“ fragte er.

Einen Riesen zittern zu sehen, macht kleinen Leuten allezeit Vergnügen. Käthchen lächelte unter ihrem Haarbüschchen vor und sagtet: „Das frage ich Euch. Ich wohne ja hier – gleich da oben.“ Sie deutete nach dem Fensterlein, das er eben bespäht hatte.

„Ich dachte – ich hatte – ich wollte einmal hinab und nach meinen Weinbergen sehen,“ stotterte er.

„Da reitet Ihr doch immer, Junker,“ quälte sie ihn.

Er stotterte weiter: „Ich – ich habe mein Pferd vergessen.“

„Da müßt Ihr also wieder heim,“ bedauerte sie schelmisch. Sie wandten sich zur Rückkehr. Da prasselte und rauschte es hinter ihr her im Gras.

„Ein langer Ulmenast hat sich an Euren Rock gehakt, Jungfrau Katharine,“ sagte Utz. „Man nennt das einen Freier. Wollt Ihr ihn los sein?“

„Ach ja!“ erwiderte sie. Er wurde roth. Doch bückte er sich und löste den dürren Ulmenzweig von Käthens Rocksaum. Da er sich wieder aufrichtete, schauten seine Augen sie treuherzig, aber voll tiefen Ernstes an.

Und siehe der Blick ging ihr durch und durch.

„Sagt aufrichtig,“ sprach er mit bebender

Versperrter Weg.
Originalzeichnung von Franz O’Stückenberg.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_809.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)