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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Stimme, „soll ich Euch den langen ungefügen Freier vom Hals schaffen?“

Sie griff zögernd nach dem Ulmenast. „Er gäbe doch vielleicht einen ganz guten Stab ab,“ flüsterte sie.

„Ein solcher würde er werden,“ sagte Utz warm und fest. „Ein treuer Stecken und Stab, darauf Ihr Euch Euer Leben lang stützen dürfet.“

„Dann schafft ihn nicht fort; ich will ihn lieber behalten,“ sagte Käthchen leise.

„Den Stab allein?“ sprach Utz nun lachend und bog sich herab, daß er ihr in die Augen sehen konnte.

„Nein, auch den Freier,“ hauchte sie verschämt.

Da gab er ihr einen herzlichen Kuß.

Dann gingen sie nach der Dornburg zurück. Käthchen neigte sich nicht dankend gegen die alte Ulme, die ihr helfend den langen Freier angehangen hatte. Die Jugend hat viel zu viel mit sich selbst zu schaffen, als daß sie Zeit hätte, an Erkenntlichkeit zu denken. Erst viel später, wenn die Stürme des Lebens durchgekämpft sind, mahnt das Gewissen an manch vergessenes ‚Hab Dank‘.

In der Dämmerstunde dieses Tages saß das Brautpaar fröhlich auf dem Fensterbänkchen. Utz behing seine Braut mit goldenen Ketten, und diese dachte: Die Welt ist gar schön, und wenn der lahme Schloßvogt sagt, sie sei ein Zammerthal, so ist er ein griesgrämlicher Greis.

Auf der Ofenbank durfte endlich der Schloßhauptmann einmal ruhig schnarchen.

Da schlich Frau von Tautenburg in das Geheimstüblein ihres Ehegesponsen.

Sie holte aus seinem Schreibschrank einen Stoß Papierbogen, dicke, graue, mit faserigen Rändern versehene, und legte sie auf den großen Tisch, pflanzte ein mächtiges Tintenfaß auf, füllte es bis an den Rand und langte endlich ein halbes Mandel Federn hervor, die der Küchenschreiber hatte frisch schneiden müssen. Sie streifte die Puffärmel auf und setzte die Haube ab. Sie wollte schreiben und das – sie wußte es – kostete allezeit einen tüchtigen Schweiß.

„Die stille Abendstunde,“ sprach sie für sich, „kann ich nicht besser nützen, als indem ich meinem würdigen Vetter den Aerger heimzahle, den er uns eingerührt hat, und ihm für immer die Lust zu einem Besuch auf der Dornburg versalze.“

Sie setzte sich vor das Schreibgeräth. „Vorerst zeige ich ihm die Verlobung unserer Jungfrau-Tochter an, auf daß er sieht, es kräht kein Hahn mehr nach ihm. Nunmehro aber kann es losgehen!“

Und die großen Buchstaben quollen förmlich aus der Feder:

„Ich will Euch nicht verhalten, daß sich auf der Dornburg eine wunderbarliche Veränderung zugetragen hat. Itzo würde das fürstliche Fräulein nicht den Namen ‚die Freudige‘ küren. Nimmer schallt mehr der leichtfertige Mimi aus Hochdero Fenster, sondern das Leiblied ihres in Gott ruhenden Vaters: Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort. Der welsche Händler, dessen beste Kundin Ihro war, hat sich diesmal an unserer Armuth erholen müssen; die Hochzeitskleider waren sein einziger Verdienst auf der Dornburg. Wie ein bescheidener Viol ist die junge Herzogin anzuschauen, und gleich diesem duftet ihr Verdienst in der Stille, bei Armen und Kranken, in der Schule und in der Kirche. Sie hat geruht, sich dahin zu äußern, daß ihr Sinn nach nichts mehr stehe in dieser Welt, denn nach dem stillen Plätzlein einer Abbatissa im Stift Quedlinburg. Und als schickliche Vorbereitung zu dieser Würde hat sie den Alamodeteufel gründlich ausgetrieben, wie solcher Ausgeburt der Hölle gebührt. Im Feuer wurden verbrannt der Schäferroman, das Hirtentäschlein, der Schäferstab.

Darumb ist jeglichem alamoden Monsieur zu rathen, daß er sich der Dornburg fern halte, dieweil ihm hier der Prozeß gemacht, er elendiglich zu Asche verbrannt, und diese in die Winde gestäubt wird.“

Sie unterschrieb und siegelte den Brief.

Dann überantwortete sie ihn der Botenfrau, welche zwischen Dornburg und Weimar ging, und diese legte ihn zu dem andern Schreiben, das ihr die Frau Hofmeisterin an die Weimarer Hofmeisterin mitgab.


Hatten die kommenden Ereignisse ihre Schatten auf die stille Dornburg vorausgeworfen, so sah man ihnen in Weimar schon klarer in die Augen.

Nicht mehr durften die Bewohner der Stadt des Einspruchs festlich geschmückter Gäste gewärtig sein. Dagegen sprengte eines Morgens Herzog Bernhard mit seinem waffenklirrenden Gefolge zum Thore hinaus; er zog ab, um der Belagerung von Herzogenbusch durch den Prinzen von Oranien beizuwohnen und neue Kriegserfahrungen zu sammeln. Ein andermal wurden, in stiller Nachtstunde Hufschläge vernommen. Dann munkelte es, Herzog Wilhelm sei fortgeritten, nur von einem Kapitän und etlichen Leibgardisten begleitet; es gelte geheime Rüstungen. Die Staatskutschen hatten Ruhe in ihren Schuppen; schlicht war der Wagen, in welchem Herzog Ernst mit dem Superintendenten zu Kirchenvisitationen fuhr, auf daß die evangelische Lehre lauter und rein erhalten werde.

Zur Zeit weilte nur Herzog Albrecht in Weimar und führte die Zügel der Regierung. Er empfing Botschaften und fertigte Kuriere ab, richtete und schlichtete, wie es einem Fürsten geziemte. Aber wenn er den getreuen Unterthanen sich zeigte in der Kirche oder auf dem Gang zur Rathsstube, meinten sie, er sehe so gestreng aus wie ein Steinbild. Nie mehr spielte der gute Humor um seine Lippen, seit das Ehewerk an einem geheimen Pflöcklein sich gestoßen hatte und gescheitert war.

Aber so viel sich auch verändert hatte, Frau von Hellingen war die Alte geblieben.

„Michel!“ rief sie in die Küche hinab, wo ihr Knecht der Müllerin Rüben putzen half. „Es ist ein frischer Morgen; heize den Ofen!“

Michel verschwand mit Scheiten, Gabel und Blasebalg im Ofenloch, und bald that prasselnd und knackend die alte Weide den letzten Dienst ihres Erdenlebens.

Auf dem Sorgenstuhl, dem einzigen ansehnlichen Zimmergeräth, das sie aus dem Zusammenbruch feudaler Herrlichkeit gerettet hatte, nahm Frau von Hellingen Platz und zog das Spinnrad heran.

Nach einem langen bewegten Leben ist der Mensch nicht verlassen, wenn er auch einsam ist. Die Erinnerung wacht auf und läßt längst verschollene Stimmen ertönen, längst verblichene Bilder aufleuchten. So erging es auch der stillen Frau. Das leise schnurrende Rad erzählte ihr von der Zeit, da sie die ersten Hemdchen darauf spann für die Söhne, welche der Herr ihr gegeben und wieder genommen hatte; es erinnerte sie daran, mit welcher Freude sie dereinst das feine Garn abhaspelte, das so sonderlich gut gerathen und alsdann doch nur das Sterbekleid ihres Eheherrn geworden war. Jetzt hing der seidigste Flachs, den sie je auf dem Stammgut gebaut hatte, am Rockenstab. Sie spann ein Stück Leinwand für die Trude, das Nesthäkchen, welches ihr allein übrig geblieben war. Und als sie an das letzte liebe ihr angehörende Wesen dachte, schloß sie ihr Sinnen mit dem innigen Wort: „Der Name des Herrn sei gelobt.“

Die alte Stiege knarrte. Da kam sie. Rasch eilte sie herein, ein feines Roth auf den Wangen. Die Mutter blickte erstaunt die Athemlose an.

Da sagte sie, eifrig bemüht, ihre Aufmerksamkeit von sich abzulenken: „Ich komme zu ungewohnter Zeit, lieb Mütterlein. Wir haben heute in der Apotheke Brustkuchen gebacken, und die Frau Herzogin hat mir befohlen, Euch dieses Stück zu bringen für vorkommende Gebreste.“

„Ihro Gnade hat eine milde Hand,“ sprach Frau von Hellingen. „Gott sei Dank, daß ich jetzo dergleichen nicht bedarf. Aber Du selbst solltest ein Stücklein nehmen; Du bist ja ganz engbrüstig.“

„Ach nein,“ entgegnete Gertrud verlegen, „ich bin nur so gelaufen.“

„War der Spitz hinter Dir her?“ fragte Frau von Hellingen.

„Ach nein,“ erwiderte abermals Trude, während sie sich mit ihrem Mantel am Ofenhaken zu schaffen machte. Endlich, da ihre Mutter sie erwartend ansah, kam es leise von ihren Lippen: „Der Hofmeister von Krombsdorff war einmal wieder beihanden.“

„Vor dem brauchst Du nicht davon zu laufen,“ sagte geruhig ihre Mutter, das angehaltene Rad wieder in Schwung bringend „Das ist ein Mann nach altem Schrot und Korn, der ohne Laune Ehre giebt, dem Ehre gebührt.“

„Mein Mütterlein irrt in der großen Güte ihres Herzens,“ entgegnete Trude beklommen; „der Hofmeister ist ein alamoder Kavalier. Meine Gefährtin im Hofdienst, Benigna –“

„Laß Dir von ihr nichts weismachen,“ unterbrach sie Frau von Hellingen. „Alle Tage läuft sie ihm hier in den Weg. Er geht oft in die Mühle; ich denke mir, der Müller hat zu stark gemetzt bei dem Mehl für den fürstlichen Haushalt. Da kommt

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