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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

der Gemeinde seinen Dank erweisen und veranstaltete daher mit der Erlaubniß des Pfarrers in der Kirche des Dorfes „nach der Sitte seiner Heimath“ eine Weihnachtsfeier, bei welcher (zu der üblichen Christbescherung) ein Tannenbaum aufgestellt wurde, auf dessen Zweigen viele Lichter brannten. – Ist diese Sage nur erfunden, um das plötzliche Auftauchen des Christbaumes zu erklären, oder weist sie uns mit Recht nach dem Norden als der Heimath des Christbaumes?

Die Antwort auf diese Frage ist noch nicht gefunden. In Schweden gilt der Weihnachtsbaum allgemein für eine aus Deutschland eingeführte Sitte. Noch im Anfange unseres Jahrhunderts war er auf dem schwedischen Festlande unbekannt, wenigstens als Christbaum in unserem Sinne. Doch war es dort Brauch, vor den Häusern und Ortschaften Bäume und zwar Fichten oder Tannen aufzustellen.[1] Bei den Inselschweden an der russischen Küste auf Dagö und Worms war der Weihnachtsbaum damals üblicher als heutzutage.[2] An den mit Nüssen und Aepfeln geschmückten Tannen standen immer je fünf kleine Wachslichter auf einem Zweige. Einer mündlichen Nachricht zufolge[3] kannte zu gleicher Zeit das schwedische Festland nur folgenden Weihnachtsbrauch: in der Weihnacht zogen die Bauern in Scharen aus und suchten einen einsam im Freien stehenden Baum. Diesen zündeten sie an, und dabei fand großer Festjubel statt. Weihnachten 1887 berichtete die „Leipziger Zeitung“ einen vereinzelten Fall desselben Brauches aus der Nähe von Dresden. Unabhängig von allen diesen Bräuchen erscheint der Lichterbaum in der isländischen Volkssage.[4]

Doch zurück nach Deutschland! Schon 1816 war der Weihnachtsbaum in der heutigen Reichshauptstadt allgemein. In dem in jener Zeit erschienenen Märchen vom Nußknacker von Fouqué und Hoffmann steht bereits der Baum mit seinen goldenen Aepfeln in der Mitte. Im Anfang unseres Jahrhunderts übte die feine Welt in Berlin nach dem Vorgange der französischen Emigranten diesen Brauch nicht, denn derselbe galt für „ordinär“[5], sondern schmückte den Tisch, wie uns Schleiermacher[6] erzählt, mit Myrthen, Amaranthen und Ephen. Auch Tieck erwähnt in seiner „Weihnachtsnovelle“ den Lichterbaum nicht. Dagegen berichtet der Berliner Gymnasialdirektor W. Schwartz[7], daß der Ueberlieferung seiner Familie zufolge der Christbaum in das vorige Jahrhundert zurückreiche, was ja durch die Nachrichten von Goethe, Schiller und Jung Stilling erwiesen ist.

Am Rheine ist der Weihnachtsbaum ganz allgemein im Gebrauch. Bereits im Jahre 1805 erwähnt ihn Johann Peter Hebel in seinen „Alemannischen Gedichten“, jedoch ohne den Lichterschmuck, welcher ihm auch auf dem der fünften Auflage dieses Buches vom Jahre 1820 beigegebenen Kupfer fehlt, der zu Straßburg gestochen ist und das Bäumchen – gleich dem Kronleuchter des sächsischen Erzgebirges – hängend zeigt. Weiter rückwärts fehlt uns am Rheine jede Kunde von dieser Sitte, bis ins siebzehnte Jahrhundert. Damals[8] eiferte nämlich der Straßburger Professor Dannhauer gegen den Tannenbaum oder Weihnachtsbaum, den man zu Hause aufrichtet, mit Puppen und Zucker behängt und dann abschütteln läßt, ohne jedoch die Lichter zu erwähnen. Er nennt die Christbäume „Lappalien“.

Dies ist unsere älteste geschichtliche Nachricht von dem Christbaume. Der Lichterbaum reicht jedoch weiter zurück. Ihm begegnen wir bereits im dreizehnten Jahrhundert, einmal in dem altfranzösischen Romane „Durmart le galois“ und dann im „Parzival“ des Wolfram v. Eschenbach. In dem französischen Romane erblickt der Held zweimal einen Baum, dessen Zweige von oben bis unten mit brennenden Kerzen bedeckt sind. Doch noch glänzender als diese sitzt auf dem Wipfel ein leuchtendes Kind. Er fragt den Papst, was das bedeute, und erhält zur Antwort, der Lichterbaum bezeichne die Menschheit, die nach oben gerichteten Lichter seien die guten, die nach unten gerichteten die schlechten Menschen, das Kind sei Christus. Wolfram erzählt uns[9] daß es üblich war, beim Empfang hoher Gäste einen Baum mit Lichtern aufzustellen.

Die Sage verlegt das erste Auftreten des Christbaumes in Deutschland ins Jahr 1632. Eine frühere Kunde über ihn giebt es nicht, wohl aber eine solche vom Jahre 1571, welche beweist, daß er in jener Zeit wenigstens im damaligen Kurfürstenthum Sachsen noch nicht vorhanden war. Weihnachten 1571 hielt nämlich Herr Thomas Vinita (Winzer) in Wolkenstein in Sachsen eine Reihe Predigten über das Weihnachtsevangelium Joh. 5, 1 bis 14.[10] Darin spricht er auch von der Bescherung und sagt: „Die Kindelein finden in ihren Bündlein gemeiniglich fünfferley Dinge. Erstlich güldige als Gelt, viel oder wenig, nachdem der Haus-Christ vermag und reich ist, doch lassen sich auch die armen Kinderlein an einem Pfenninge oder Heller in Apffel gesteckt, genügen und sind guter Dinge darüber. Darnach finden sie auch geniesliche Dinge, als Christstollen, Zucker, Pfefferkuchen und aus diesen allen mancherley Confect und Bilde. Daneben Epfel, Birnen, Nuß und gar mancherley gattunge allerley bestes. Zum dritten finden sie ergetzliche und zu frewden gehörige Dinge als Puppen und mancherley Kinderwerk. Zum vierden finden sie nötige, und zur bekleidung und zier des lebens dienstliche Dinge, gar mancherley und hübsche Kleiderlein, von guten gezev mit seiden, gold und silber, und reinlicher arbeit gefertiget. Zum letzten finden sie auch, was zu lere, gehorsam und disciplin gehöret, als Abctefflin, Bibeln, und schöne Bücherlein, Schreib- und Federgezeuge, Papier etc. und die angebundene Christrutte.“ Betrachtet man diese Christruthe als etwas, das da mit „zu lere, gehorsam und disciplin gehöret“, so will sie fast an die Ruthe des Knechtes Ruprecht gemahnen. Aber ist nicht vielleicht mehr in ihr zu suchen? Ist die Christruthe vielleicht ein Vorläufer des Christbaumes? Berührt sie sich vielleicht mit dein „Weihnachtsboschen“ Salzburgs? Ist vielleicht gleich diesen beiden Ruthen der Weihnachtsbaum ein Sinnbild für die Ruthe aus der Wurzel Jesse oder für das Reis, das da entsprungen ist? Oder ist ihr gemeinsames Urbild der Paradiesesbaum, auf den der 24. Dezember als der Tag Adam und Eva hinweist? Deutet nicht die Bezeichnung „Lebensbaum“ bei Jung Stilling auf den Baum des Lebens im Garten Eden? Noch wahrscheinlicher wird dies dadurch, daß die mittelalterliche Legende bereits eine Beziehung zwischen diesem Baume und Christus erfunden, indem sie erzählte, Adam habe einen Senker vom Baume der Erkenntniß gepflanzt, daraus sei der Baum gewachsen, aus welchem später das Kreuz Christi gemacht wurde. Oder wurde vielleicht der Weihnachtsbaum aufgerichtet im Sinne des Lichterbaumes im „Parzival“, zum Empfange des Welterlösers auf dieser Erde?

Aber erinnern uns nicht ebensoviele kleine Züge daran, daß wir es hier mit einem heidnischen Brauche zu thun haben? Tentzel nennt denselben geradezu so, und hätte ihn Dannhauer nicht für einen solchen angesehen, so würde er nicht dagegen geeifert haben. Dazu kommt der „Bechlboschen“ Salzburgs und die Bezeichnung des Weihnachtsbaumes als „Maje“ oder „Moja“ in der schwäbischen Mundart, welche uns geradezu zwingt, den Weihnachtsbaum mit den anderen Jahresbäumen an ursprünglich heidnischen Festen aus gleiche Stufe zu stellen, mit dem „Sommer“ der Lätaregebräuche, den „Maien“ und „Pfingstbuschen“ sowie den „Erntemaien“.

Ist der Weihnachtsbaum eine christliche Sitte, entstanden in der Zeit der Reformation, der Zeit, wo allenthalben ein lebendiges Glaubensleben wieder rege wurde, oder ragt er, ein uraltes Sinnbild des großen Sonnen- und Himmelsbaumes, aus der grauen Heidenzeit herüber? Das ist eine Räthselfrage, auf die wir heute noch keine Antwort zu geben vermögen, heute, wo das Material noch in jeder Beziehung nur lückenhaft vorliegt. Daß aber der Zeitpunkt, wo dies möglich sein wird, bald komme, ist gewiß wünschenswerth, und es ergeht darum an alle Leser der „Gartenlaube“, an Alt und Jung, an jeden, der ein Herz hat für den schönsten Schmuck des deutschen Christfestes, die Bitte um Mittheilung von Nachrichten über den Weihnachtsbaum, woher sie auch kommen mögen, aus verstaubten Bänden, aus alten Briefen, aus der lebendigen Ueberlieferung des Volkes, oder aus dem Schatze der eigenen Erinnerung. Die Redaktion der „Gartenlaube“ ist gern erbötig, derartige Sendungen entgegen zu nehmen.

  1. Finn Magnusen, Lexic. mythol. 1828. S. 779. M. fügt dazu die Bemerkung, daß Dänen, Norweger und Deutsche dasselbe thäten, nur innerhalb der Gebäude.
  2. K. Rußwurm. Eibofolke, II S. 96 § 296.
  3. Der Gewährsmann des Verf. ist Herr Prof. Dr. Rudolf Hildebrand zu Leipzig.
  4. Mohr, Forsög til en Islandsk Naturhistorie. Kjöbenhavn 1786. S. 187, und Maurer, Isländische Sagen, Leipzig 1860, S. 178.
  5. W. Schwartz, Indogermanischer Volksglaube, Berlin 1885. S. 38. Anm.
  6. Weihnachtsfeier, Berlin 1805.
  7. Indogermanischer Volksglaube. S. 38. Anm.
  8. 1657 in seiner Katechismus-Milch V, 649.
  9. Parzival 82, 25 „von kleinen kerzen manec schoup geleît ûf ölbaume loup“
  10. 1572 bei Schwertel in Wittenberg im Druck erschienen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_832.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2018)