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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Sie nannten mir Ihren Vornamen, der mir über alles teuer ist; allein Ihren anderen Namen, denjenigen Ihres Gatten möchte ich noch wissen, ich möchte, selbst wenn ich Sie nie wiedersehen sollte, wenigstens Ihren Lebensweg aus der Ferne verfolgen!“

Helene schrak zusammen, nun war er da, der gefürchtete Moment, und die Augen des Professors sahen bittend, mit beredtem Ausdruck zu ihr herüber; sollte sie die Lüge wirklich aussprechen, das Zutrauen dieses Mannes täuschen? Und dennoch – sie konnte sich zu dem in mehr als einer Hinsicht schwierigen Geständniß nicht entschließen, sie mußte ihre Rolle festhalten und den Namen nennen, den sie sich ausgedacht. Was schadete es übrigens? Etwas wie Trotz wollte sich in ihr regen gegen das seltsame Gefühl, das sie zu umstricken drohte. Sie sah ja den Professor doch nie wieder, was kam’s denn darauf an, ob er unter diesem oder jenem Familiennamen ihrer gedachte?

„Nie wieder“ – es war ihr, als vermöge sie diesen Gedanken nicht zu ertragen, ein solches Weh schnürte ihr plötzlich die Brust zusammen. Doch was sollte Professor Roditz von ihr denken? Sie mußte antworten, koste es was es wolle. Hätte sie nur ihre alte Heiterkeit hervorrufen können, ihren sonst nie versagenden Uebermuth; aber dieser war untergegangen in den noch unverstandenen Empfindungen, die ihr Herz bewegten.

Sie raffte sich auf, und wie mit Purpur übergossen, die langen Wimpern tief gesenkt, flüsterte sie: „Schnitzel, Major von Schnitzel.“

Der Professor verbeugte sich artig. „Ich danke Ihnen, gnädige Frau! Und wohnen Sie schon lange in Leipzig? Leben Sie sehr gesellig dort?“

„Gottlob,“ athmete Helene innerlich auf, diese letzte Frage ließ sich wenigstens im allgemeinen beantworten: „Nein, wir sind erst seit kurzem dahin übergesiedelt und eigentlich gesellig, im Sinne der großen Welt, leben wir nicht,“ erwiderte sie, dabei an ihr väterliches Haus, ihre Eltern, ihre fünf jüngeren Geschwister denkend. „Wir haben einen sehr netten, kleinen Kreis,“ fuhr sie fort, „in welchem wir unter einander einen äußerst angenehmen Verkehr pflegen; wir lesen, musiciren, veranstalten kleine Aufführungen, tanzen und unternehmen Ausflüge, allein all dies geschieht nicht in übertriebener Weise, nur um das alltägliche Leben zu würzen, um ab und zu geistige, sowie erheiternde Anregung zu empfangen. Sonst widme ich mich meinen Büchern, meinen Arbeiten, meinen Musikstudien und hauptsächlich meinen häuslichen Pflichten, welche mir das höchste Vergnügen gewähren“ – und wieder dachte Helene nur an die Geschwister, wie sie an ihr hingen, wie sie mit ihnen lernte und spielte, sie behütete und umsorgte, wie sie ihre Mutter unterstützte, so viel sie nur konnte.

„Ich vermag Sie mir so gut vorzustellen, schaltend und waltend in Ihrer Häuslichkeit,“ bemerkte der Professor, „Glück spendend und Glück empfangend, alles verklärend mit Ihrem harmonischen Wesen, Ihrem gebildeten Geiste, Ihrem reichen Gemüthe; Sie besitzen doch sicher Kinder?“

„Kinder!“ – Helene war wie vom Schlage gerührt und starrte ihm entsetzt ins Gesicht, diese Frage hatte sie für unmöglich gehalten, gar nicht an dieselbe gedacht. „Kinder!“ – sie, die nicht einmal verheirathet war! O diese fürchterliche Frage – allein ihr geschah schon recht, weshalb hatte sie sich von ihrer Abenteuerlust hinreißen lassen zu dieser Komödie!

Jetzt hatte sie ein Abenteuer in aller Form, wie sie es sich schon unzählige Male gewünscht, aber freilich was für eins!

Kinder! Sie und Kinder!

„Ja, nein, das heißt, o mein Gott!“ stammelte sie und brach, das Gesicht mit den Händen bedeckend, in Thränen aus.

Der Professor war sichtlich bestürzt: „Es betrübt mich ernstlich und tief, wie es scheint, schmerzliche Verhältnisse berührt zu haben, gnädige Frau, bitte, verzeihen Sie mir!“

Rasch gaben Helenens Hände ihr Gesicht frei, und ihre Thränen niederkämpfend, sah sie auf. Schmerzliche Verhältnisse – wie sollte sie diese neue Wendung auffassen, was meinte der Professor damit? hielt er sie für unglücklich verheiratet? Es war zum Verzweifeln; o diese Emma! – Sie wollte sich nie wieder ein Abenteuer wünschen, nein, niemals mehr – allein wie sollte sie sich aus dem jetzigen herausfinden?

„Herr Professor,“ begann sie stockend – da ertönte ein Krach, begleitet von einem heftigen Stoße, der Wagen schwankte, Helenens Sinne schwanden, sie fühlte noch einen jähen Schmerz und dann war sie bewußtlos.

(Fortsetzung folgt.)




Beethoven in der Klemme.
Eine Fidelio-Episode von Ernst Pasqué.

Es war im Sommer des Jahres 1805. Beethoven hatte den Auftrag übernommen, für das damals unter kaiserlicher Verwaltung stehende Theater an der Wien eine Oper zu komponiren, und war mit aller Lust, sogar mit Begeisterung ans Werk gegangen, denn in dem von Bouilly verfaßten Buch der Gaveauxschen Oper: „Léonore, ou l’amour conjugal“ glaubte er gefunden zu haben, was er schon so lange gesucht: eine wirksame dramatische Handlung in einer Ausführung, die seinen künstlerischen Regungen zusagte und seinem eigenen Empfindungen entsprach. Bouillys Buch war von Joseph Sonnleithner, Sekretär des Hoftheaters, wörtlich, Scene für Scene übersetzt worden und Beethoven hatte in einer ihm im Theater an der Wien eingeräumten Wohnung seine Arbeit begonnen, die nach vielen schweren Kämpfen und Wehen eines seiner Hauptwerke, sein einziges Bühnenwerk, doch dafür „ein Löwe“ werden sollte. Im Sommer siedelte er mit der begonnen Partitur nach dem hübschen stillen Hetzendorf über, dort seine „Leonore“, denn so, und wie das französische Originalbuch, sollte die Oper heißen, zu vollenden.


* * *


In seinem Stübchen saß der Meister am Klavier bei der Arbeit, das Fenster ihm zur Seite weit geöffnet. Die helle Morgensonne drang in den einfachen, von dichten grünen Rebenblättern und Ranken umzogenen Raum, der die Geburtsstätte eines der herrlichsten Meisterwerke der Opernbühne werden sollte. Draußen herrschte eine feierliche Ruhe, denn es war Sonntag und das Haus, in dem Beethoven zwei kleine Stübchen bewohnte, lag dem Park des kaiserlichen Lustschlosses nahe, in dessen einsamen Alleen der Meister so gerne, seinen Gedanken nachhängend, wandelte. Beethovens Augen leuchteten, denn wundervolle Melodien und Harmonien entlockten seine Finger dem einfachen Instrument, die er theilweise aus den aufgelegte Notenblättern abzulesen schien. Es klang wie ein vielstimmiger Jubelgesang, der nur der neuen Oper „Leonore“ angehören konnte.

Da öffnete sich während einer Pause die Thür und mit einem fröhlichen „Grüß Gott, Ludwig!“ trat Stephan von Breuning, Beethovens Jugendfreund und jetziger geduldiger Genosse, in die Stube. Beide hatte bis noch vor kurzer Zeit in dem Esterhazyschen „Rothen Hause“ zusammen gewohnt, sich dann entzweit, bis der mürrische Beethoven sein Unrecht eingesehen und sich reumütig wieder dem treuen Freunde genähert hatte.

„Was hast Du da gespielt, eine Phantasie oder gehört’s zu Deiner Oper?“ rief Breuning, der wohl draußen gehorcht hatte, mit hellem Enthusiasmus.

„Setze Dich daher, Steffen, und höre das letzte Finale meiner ‚Leonore‘,“ entgegnete Beethoven, nur mit diesen Worte den Gruß des Freundes erwidernd, denn seinen Blick hatte er nicht von den Noten abgewendet und durch die Störung nichts von seiner begeisterten Erregung verloren. „Ich habe den Entwurf soeben zu Ende gebracht und Du sollst der erste sein, der das ganze Finale hören wird. – In wenigen Tagen ist es instrumentirt und dann auch bald die ganze Partitur fertig. Höre! – Doch unterbrich mich nicht! Hast Da eine Bemerkung zu machen, so warte damit, bis ich zu Ende bin.“

Nicht wenig erwartungsvoll ließ sich Breuning auf einen Stuhl in der Nähe Beethovens nieder, so, daß er auch die Notenblätter im Auge behalten konnte. War des Meisters Notenschrift auch meistens hieroglyphisch, so vermochte er sie doch, durch langem Uebung dazu befähigt, wo es nur irgend anging, zu entziffern. Beethoven spielte. Ohne dem Freunde nur einen Augenblick der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_846.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)