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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Weißbierstube von Clausing. 

die Angehörigen einer studentischen Verbindung, die kleinen Mützchen schief auf den biergerötheten und schmißreichen Gesichtern, die Füchse eifrig für die alten Herren trotz des Abwehrens der Kellner die Marmortischchen zusammenrückend und Stühle heranholend. Mitten aber in der Lebenslust, in all dem Uebermuth, dem Glanz und Schein fehlt auch nicht das Laster und oft sogar das Verbrechen, letzteres allerdings weniger von außen zu erkennen wie ersteres.

Die Wiener Cafés mit ihren luftigen weiten Räumlichkeiten und ihrer ausgesuchten Eleganz, mit ihren plätschernden Springbrunnen und kunstvollen Kronleuchtern, mit ihrem Heer dienstbarer Ganymeds und ihrem unterhaltsamen ununterbrochenen Verkehr haben die alten Berliner Konditoreien fast gänzlich verdrängt oder doch wenigstens ihrer angesehenen Stellung beraubt. Berlin vor dreißig, vierzig Jahren ohne seine berühmten, verräucherten, engen Konditoreien, das ist ein undenkbarer Begriff!

Die bekanntesten unter ihnen waren die von Stehely, Kranzler, Spargnapani; sie spielten eine bedeutsame Rolle im öffentlichen Leben der preußischen Residenz; die litterarischen, die politischen, die künstlerischen Elemente versammelten sich hier zu bestimmten Stunden, und trotz aller Spötteleien in den Witzblättern mag an diesen Stellen mancher gute Gedanke zur That gereift sein. Vollständig sind sie auch heute noch nicht verschwunden, diese altrenommirten Firmen und ihre Nachfolger; da ist noch Kranzler an seiner wohlbekannten Ecke mit der niedrigen, schmalen Terrasse nach den „Linden“ zu, die bei schönem Wetter gedrängt voll besetzt ist; da finden wir noch d’Heureuse und Schilling mit ihren kleinen, aber gemüthlichen Räumlichkeiten, und mit seiner Glashalle und seinem Gärtchen vor derselben blickt uns vertraut am Potsdamerplatze Josty entgegen.

Wie gemüthlich sitzt es sich hier im Freien bei schönem Wetter; Vogelgezwitscher schallt aus den dichten Kronen der die Bellevuestraße einsäumenden Kastanien, dem nahen Thiergarten eilen die eleganten Equipagen, die Droschken und leichten Kabriolets zu, Damen in hellen Sommergewändern und lachende Kinder, welche an dünnem Faden vergnügt die rothen Ballons in der Luft flattern lassen, promeniren vorbei, und vor uns und um uns herrscht das emsige, unermüdliche Leben einer Weltstadt. Ja, sie haben noch immer ihr Gutes, diese Berliner Konditoreien, wenn auch nicht mehr in ihnen hohe Politik getrieben und der Pegasus zu kühnem Fluge angespornt wird!

Aehnlich wie den Konditoreien ist es den „ersten“ Berliner Restaurants ergangen. Wo sind sie hin, diese Lokale, in denen sich einst unsere Altvordern so behaglich fühlten, mit ihren rauchgeschwärzten Decken, an denen die ölgefüllte Ampel hing, mit ihren vergilbten Wänden und dem sandbestreuten weißgescheuerten Fußboden, mit den hohen Bänken und steifen Stühlen, mit den wachstuchbezogenen Tischen, aus denen die „Spenersche“ und „Vossische Zeitung“ lagen und, wenn es hoch kam, einige Blätter des „Volksfreund“ und „Beobachter an der Spree“, die vollauf genügten, den Stammtischgästen Unterhaltung für den ganzen Abend zu gewähren! Sie sind, mit wenigen Ausnahmen, auf Nimmerwiedersehen verschwunden; an die Stelle der bescheidenen Bierlokale traten die anspruchsvollen Bierpaläste, für viele Hunderttausende Mark erbaut und in untrüglichstem Renaissance- oder Rokoko- oder sonst einem Stile innen ausgestattet, mit schwerster Holztäfelung, mit schöngeschnitztem Meublement, mit elektrischer Beleuchtung und Wand- oder Deckenmalereien der modernsten Meister.

Sie bilden gegenwärtig nicht die geringste Sehenswürdigkeit in Berlin, diese neuen, dem Gambrinus geweihten Tempel; wenn sie auch häufig in ihrem baulichen Gewande einen barocken Geschmack aufweisen, so ist doch der Aufenthalt in ihnen zumeist ein angenehmer und erträglicher, sicher fast immer ein unterhaltsamer, denn stets neue durstige Scharen strömen durch die weitgeöffneten Portale herein, Greise und Kinder, Männlein und Weiblein, denn auch letztere verstehen jetzt, was früher so streng verpönt war, den Humpen tüchtig zu schwingen.

Es scheint keine Einbildung zu sein, daß mit der wachsenden Einwohnerzahl in Berlin auch der Durst in stetem Steigen begriffen ist – anders könnte man sich die fabelhafte Vermehrung der Kneipstätten nicht erklären. Namentlich das Münchener Bier hat sich mit raschem Erfolge ein großes Terrain erworben, und jetzt schon ist die Zahl der „Bräus“, welche uns unter allen möglichen Namen und Schutzheiligen entgegentreten, eine Legion. Die Berliner Brauereien zwar, etwa achtzig an Zahl, haben muthig den Kampf mit den fremden Eindringlingen angenommen, vermochten sie aber bisher nicht zurückzuschlagen und konnten auch nicht die jährliche Einfuhr von etwa zweihunderttausend Hektolitern fremden Bieres verringern. Jedenfalls aber machen sie trotzdem gute Geschäfte, und man begreift das, wenn man vernimmt, daß auf 450 Mann in Berlin eine Restauration und auf jeden Kopf der Bevölkerung im Jahr 170 Liter Bier kommen.

Stürmen sie aber auch von allen Seiten heran, die Münchener, Nürnberger, Pfungstädter, Kulmbacher, Pilsener etc. Biere, eine Hochburg des Berliner Bieres haben sie bisher nicht zu stürzen vermocht und werden es auch fürderhin nicht können: die Hochburg des Berliner Weißbiers. Trotz alter Veränderungen, trotz aller Geschmacksrichtungen und Umwälzungen im Brauereiwesen hat es sich rein und unverfälscht erhalten, so wie es einst vor zweihundert Jahren die Refugiés in die Residenz des Großen Kurfürsten, ihres treuen Beschützers, eingeführt. Und auch die Lokale, in denen es ausgeschenkt wird. haben zum bedeutenden Theil ihr früheres Gewand nicht abgelegt; sie haben noch etwas Philisterhaftes, aber höchst Gemüthliches an sich, und auch von ihren Besuchern ist dasselbe zu sagen, es sind zu größeren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_850.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2024)