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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Im Wintergarten. Das Centralhôtel.

Theile „geborene“ Berliner, eine Species von Menschen, die durchaus nicht so häufig, wie man glaubt, in Berlin zu finden ist.[1] Da thront sie dann königlich auf dem Tisch, die schäumende „Blonde“, in einem Behältniß, welches man für alles andere als gerade für ein Biergefäß halten kann, und als gehorsame Trabanten umgeben die perlende, mit einer stolzen Haube gezierte Herrscherin die kleinen bescheidenen „Strippen“, niedrige Gläschen mit Nordhäuser oder Korn gefüllt, so unzertrennlich von der Weißen wie einst der Ibis von den Krokodilen des Nils. – Einzelne der Weißbierstuben haben sich einen Ruf weit über das Weichbild des Bären hinaus erworben; die Namen Clausing, Haase, Päpke, um nur einige wenige anzuführen, nennt nicht nur der Spreeathener mit einer gewissen Achtung, auch so mancher Fremde hat dort seine durch den vorangegangenen Abend verschuldete katzenjämmerliche Stimmung schnell verloren und vergessen.

Weit mehr als die Restaurationen haben sich die Berliner Weinhandlungen ihren patriarchalischen Charakter zu bewahren gewußt, natürlich nur die Firmen, welche mit dem einstigen Berlin schon verwachsen waren; sie haben ein festes Stammpublikum zum Früh- wie zum Abendschoppen und wachen ehrgeizig über einen „guten Tropfen“, den es stets bei ihnen und für nicht zu theuren Preis giebt. In dieser Beziehung, was Essen und Trinken am belangt, dürfte überhaupt Berlin eine der billigsten Weltstädte sein; die Auswahl ist sehr reich und nicht nur für jeden Geschmack, sondern auch für jeden Geldbeutel ist gesorgt. Einzelne der bekannten Berliner Weinhandlungen beanspruchen ein kulturhistorisches Interesse; in dem Maurerschen Weinkeller in der Brüderstraße, der nun auch verschwunden, hatten oft genug bei vollen Gläsern Lessing und Ramler mit guten Gesellen gesessen, und wenn sie erzählen könnten, die Wände des noch heute blühenden Weingeschäftes von Lutter und Wegener, dicht am Schauspielhause, sie würden von mancher ausgelassenen Stunde berichten, die hier einst Ludwig Devrient und Th. Amad. Hoffmann in großem Freundeskreise, zu dem auch der junge Döring gehörte, zugebracht.

Ganz anders, vornehmer, zurückhaltender, schauen uns die von der Geburts- und Geldaristokratie bevorzugten Restaurants der „Linden“ sowie der benachbarten Straßen an. Was zum verwöhntesten Luxus gehört, hier scheint es noch überboten zu sein in jeglicher Beziehung; der raffinirteste Geschmack wird befriedigt in dieser stimmungsvollen Zusammensetzung von Gold und Farben, von Pracht und Reichthum, die namentlich abends, wenn ein Meer von Licht aus den Kronleuchtern herabströmt, zur vollsten Geltung gelangt. Aber auch zur vollsten Beachtung, denn wenn die Theater aus sind, wenn der letzte Geigenstrich im Konzert verklungen, wenn im Cirkus der Klown seinen Abschiedspurzelbaum geschossen, dann füllen sich bei Hiller, Dressel, Uhl, Borchardt und wie sonst die bevorzugten Berliner Priester des Lucullus heißen, die Salons und Kabinets, und während draußen der Schnee in dichten Flocken herniederwirbelt, serviren lautlos drinnen die geschmeidigen Kellner die mit dem frischesten und kostbarsten Gemüse angefüllten Schüsseln, denn der Einfluß der Jahreszeit auf den Küchenzettel, er spricht in diesen Lokalen niemals mit! –

Nirgends berühren sich die Gegensätze aber so sehr wie in einer großen Stadt. Der arme Teufel, der mit begierigen Augen und schnalzender Zunge durch die hohen Spiegelfenster, die trotz der vorgestellten Rahmen und blühenden Topfgewächse einen Ausguck lassen, eben gesehen hat, wie den behaglich am perlenden Sekt schlürfenden Gästen der leckere Braten herumgereicht wird, und der nun hungrig und frierend weitertrottet, er findet auch seinen Unterschlupf, wenn er um die Ecke biegt und dem freundlichen Wink der rothen Laterne folgt. Wie Wegweiser für hungernde und durstende Seelen ziehen sich durch die ganze Stadt diese kleinen Kellerkneipen und Destillationen, niemals leer, fast immer angefüllt mit einer schwatzenden, lachenden, kartenspielenden,

  1. Nach der neuesten Statistik ist die Zahl der geborenen Berliner wiederum zurückgegangen; sie beträgt 42⅓% der Gesammtbevölkerung, also nicht einmal die Hälfte der Einwohner ist „mit Spreewasser getauft!“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_851.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)