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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Istrianische Natter, einen Angriff abwehrend.
Originalzeichnung von G. Mützel



„Ja, leider – mit einem Diner für achtzig Personen!“ seufzte Benno. „Wolfgang meinte, es sei schicklich und unumgänglich, daß ich heute den Wirth mache, und wenn Wolf sich etwas in den Kopf gesetzt hat, muß man es schlechterdings thun.“

„In diesem Falle hat der Chefingenieur aber recht,“ sagte Gronau lachend. „Sie können als Hauptaktionär und erstes Mitglied des Verwaltungsrathes schon ein Uebriges thun bei der Eröffnungsfeier.“ „Wenn ich nur nicht überall dabei sein und mit aller Welt reden müßte!“ klagte der arme Doktor und nunmehrige Millionär in beweglichem Tone. „Denken Sie nur, sogar die Tischrede sollte ich halten, dagegen habe ich mich aber gewehrt mit Händen und Füßen. Wolfgang hat die Bahn gebaut, also kann er auch das Reden besorgen. Er hat zwar heute morgen schon gesprochen, vor der Abfahrt, als er die Bahn dem Verkehr übergab, und er sprach genial, hinreißend, wir waren alle entzückt und am meisten seine eigene Frau. Sie sieht heut blendend schön aus, nicht wahr?“

Veit nickte stumm und sein Gesicht verdüsterte sich, während sein Auge zu der jungen Frau hinüberflog. Diese Schönheit war es ja gewesen, die einen anderen in den Tod gejagt hatte, Ernst Waltenberg hätte seine Seligkeit hingegeben für einen Blick, wie Erna ihn eben ihrem Gatten zusandte. Die Erinnerung wollte freilich nicht in den Festjubel passen und Gronau verscheuchte sie auch rasch, indem er sich nach Frau Doktor Reinsfeld erkundigte.

„O, meine Alice blüht wie eine Rose und nun vollends unsere Kleine!“ Bennos ganzes Gesicht verklärte sich, als er von seiner Frau und seinem Kinde sprach. „Sie wissen doch –?“

„Daß Frau Alice Ihnen ein Kleines geschenkt hat – ja, das weiß ich, Sie schrieben es mir ja, und nun wird die ärztliche Praxis vermuthlich nur noch in der Familie ausgeübt.“ „Im Gegentheil, ich habe mehr Patienten als je,“ erklärte der Doktor seelenvergnügt. „Wenn wir im Sommer hier sind, gehe ich natürlich nach wie vor zu allen Kranken meines ehemaligen Bezirkes, und da ich bei den Aermeren jetzt meine Verordnungen auch mit den nöthigen Mitteln unterstützen kann –“

„So nutzen die biederen Wolkensteiner Sie gehörig aus!“ fiel Gronau ein. „Das kann ich mir denken! Ein Doktor, der ihnen nichts kostet und noch obendrein die Kurkosten bezahlt, das ist ein Mann nach ihrem Herzen. Sie machen sich vermuthlich jetzt öfter das Vergnügen, krank zu werden, da es so billig ist. – Aber nun will ich Sie Ihren gesellschaftlichen Pflichten nicht länger entziehen, Benno, wir können ja später plaudern.“

Er wollte zurücktreten, aber Benno hielt ihn schleunigst am Rockschoße fest.

„So bleiben Sie doch! Wenn ich mit Ihnen rede, kann ich so hübsch hier in der Ecke bleiben und brauche keine Komplimente zu machen. Wir haben ja alle möglichen Kapazitäten eingeladen, Minister und Provinzialbehörden, Abgeordnete und Bürgermeister und einen ganzen Stab von Journalisten, und mit all den geistreichen und vornehmen Herrschaften soll ich sprechen und womöglich auch geistreich sein – es ist fürchterlich!“

Gronau lachte und blieb, aber die Zurückgezogenheit sollte dem Doktor nicht lange gegönnt werden, denn jetzt trat Gersdorf, der als juristischer Vertreter der Bahngesellschaft gleichfalls an der Eröffnungsfeier theilnahm, mit seiner Frau heran. Die letztere schien ihren Grundsatz, dem armen Manne seine Dienstreisen durch ihre Gegenwart erträglicher zu machen, konsequent festzuhalten, aber sie hatte, mit Rücksicht auf ihre jetzige Stellung als Gattin und Mutter, eine gewisse feierliche Würde angenommen, die einen höchst ergötzlichen Kontrast zu ihrer quecksilbernen Natur bildete, welche bei jeder Gelegenheit durchbrach.

„Stehen Sie schon wieder hier in der Ecke, Benno!“ sagte sie vorwurfsvoll. „Soeben hat der Minister nach Ihnen gefragt, Sie werden ihn aufsuchen müssen.“

„Um Gotteswillen, laßt mich doch mit der Exzellenz in Ruhe!“ rief Reinsfeld verzweiflungsvoll. „Was habe ich denn eigentlich mit der ganzen Geschichte zu thun? Das ist Wolfgangs Sache.“

„Ja, das hilft Dir nichts, Benno, Du mußt aufmerksam gegen Deine Gäste sein, komm nur mit,“ sagte der Rechtsanwalt, indem er seinen Vetter beim Arm ergriff und fortzog; Frau Doktor Gersdorf aber blieb zurück und stellte sich dicht vor Gronau hin, der in dunkler Ahnung des Kommenden sich nach irgend einer Gelegenheit zum Rückzuge umsah.

„Also Sie sind noch immer unverheiratet, Herr Gronau?“ fragte sie mit strafender Miene.

„Ja, noch immer, gnädige Frau,“ gab Veit kleinlaut zu.

„Das ist unverantwortlich! Warum sind Sie damals so schnell abgereist? Ich hatte eine Lebensgefährtin für Sie in Vorschlag, eine sehr reiselustige Dame, die auch mit nach Indien gegangen wäre. Jetzt ist sie leider verheiratet.“

„Gott sei Dank!“ seufzte Gronau aus Herzensgrunde.

„Dem Said habe ich auch zu seinem Glücke verholfen, trotz seiner schwarzen Farbe,“ fuhr die junge Frau fort. – „Wo ist denn Djelma geblieben? Ich sah ihn doch vorhin an Ihrer Seite.“

„Djelma ist erst achtzehn Jahr, gnädige Frau, der kann noch nicht heirathen!“ erklärte Gronau, der für seinen Schützling das gleiche Schicksal heranziehen sah, mit großer Entschiedenheit. Wally schien das auch einzusehen und wurde jetzt glücklicherweise von einigen Bekannten in Anspruch genommen.

„Gott bewahre uns in Gnaden!“ murmelte Veit entsetzt. „Ich glaube, die Frau schont nicht einmal die Kinder in der Wiege mit ihren Heirathsplänen!“

Elmhorst gab jetzt das Zeichen zum Aufbruch, man bestieg die bereitstehenden Wagen und begab sich nach der Nordheimschen Villa, wo Alice, welche die Eröffnungsfahrt nicht mitgemacht hatte, die Gäste empfing. Sie war noch immer eine zarte Erscheinung, wenn auch jetzt zu vollster Gesundheit erblüht; aber eine gewisse mädchenhafte Schüchternheit war auch der jungen Frau geblieben und machte sie nur um so anmuthiger. Die eigentliche Würde und Vornehmheit des Hauses wurde durch Frau von Lasberg vertreten, die ihrer ehemaligen Pflegebefohlenen auch jetzt zur Seite stand. Sie hatte die sämmtlichen Anordnungen für das Fest übernommen und unter ihrer Leitung wurde denn auch der Ruf des früher Nordheimschen und nunmehr Reinsfeldschen Hauses glänzend gewahrt. Das Festmahl verlief in aller Pracht und Feierlichkeit, die zündende Rede des Chefingenieurs wurde mit stürmischem Beifall aufgenommen, man toastete auf das Gedeihen der Bahn, auf deren Erbauer, selbstverständlich auch auf den Festgeber und dessen Gemahlin. Benno mußte schließlich doch noch eine Dankesrede halten und mit einem Toast auf die Gäste antworten. Natürlich blieb er in der Mitte stecken, aber Wolfgang kam ihm zu Hilfe, indem er, gerade im kritischen Augenblick, der Musik ein Zeichen gab, einzufallen. In dem rauschenden Tusch und dem allgemeinen Hochrufen ging der Zwischenfall denn auch glücklich unter.

Nach Verlauf von einigen Stunden brach die Gesellschaft wieder auf, um unter Führung Elmhorsts bis zum Endpunkte der Bahn zu fahren, von wo sie abends ein zweiter Zug zurückbringen sollte. Benno aber erklärte, er habe heut das Möglichste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_857.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)