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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Reichskanzler erklärte dereinst, und zwar noch lange vor dem Beginn des sogenannten „Zollkrieges“ zwischen der Reichsregierung einerseits und dem Bundesstaate Hamburg andererseits, er habe nie begreifen können, weshalb laut der Reichsverfassung die Hansestädte solange in ihrer bisherigen Freihafenstellung verbleiben sollten, bis sie selbst den Anschluß beantragen würden.

Greifen wir die Sache einmal vom anderen Ende an: Was bedeutete denn die bisherige „Freihafenstellung“ der Hansestädte?

Die Antwort lautet: Die gesammte Wohnstadt Hamburg, einschließlich des Hafens und der Unterelbe bis ans Meer, sowie der Nachbarstädte Altona und Wandsbeck, bildete eine große „zollfreie Niederlage“ innerhalb des Zollvereins, nach dem übrigen Deutschland hin ringsum mit Zollgrenzen umschlossen, aber mit vollständig freiem Verkehr (ohne jegliche zollamtliche Kontrolle) innerhalb dieser Schranken. Gleicher Art war die Stellung Bremens. Hamburg und Bremen waren, so lautete der technische Ausdruck, „Zollvereins-Ausland“.

Aehnliche Stücke „Ausland“ giebt es freilich im Deutschen Reich auch jetzt noch unzählige. Alle Städte, welche überhaupt Handel in ausländischen Waaren auch mit auswärtigen Staaten betreiben, bedürfen hierzu der „zollfreien Niederlagen“, in welchen die eingebrachten Güter zunächst unverzollt lagern, getheilt, nach Sorten geschieden, umgepackt, oft auch bearbeitet werden können, um dann entweder ganz zollfrei oder gegen Entrichtung eines bloßen Durchgangszolles wieder ins Ausland versendet zu werden, oder gegen Erlegung des Eingangszolles zum einheimischen Verbrauch des Landes zu gelangen, dem der Freihafen oder die „zollfreie Niederlage“ angehört. Diese letzteren sind aber gewöhnlich nur zur Aufnahme von Waaren bestimmt, fast nie dürfen sie zu Wohnzwecken benutzt werden. In Hamburg wie in Bremen jedoch war eine ganze Wohnstadt in die zollfreie Niederlage mit eingeschlossen. Ein gleiches Verhältniß findet sich heutzutage nur noch in Triest und Singapore.

Daß 1866 auch nach der Neuordnung der Dinge in Deutschland den Hansestädten diese alte, sozusagen „Wohnstadt-Freihafenstellung“ einstweilen belassen und sogar durch das Grundgesetz garantirt wurde, sah der Durchschnitts-Deutsche als ein Sonderrecht an, welches je eher je lieber abgeschafft werden sollte: „Weshalb genießt Ihr Euren Kaffee, Euren Zucker, Euer Salz unversteuert?“ fragte er den ihn besuchenden Hanseaten. Dieser antwortetet „Dafür zahlen wir ein Aversum an die Reichskasse, allein für Hamburg etwa 5 Millionen Mark jährlich, welches uns bedeutend theurer zu stehest kommt als eine indirekte Versteuerung unseres Bedarfs, während die Reichskasse dabei noch die Erhebungskosten erspart.“

Weshalb schloß sich aber Hamburg nicht schon 1867 dem Zollverein an, weshalb gewährte man damals den Hamburgern eine sich auf die Wohnstadt erstreckende Freihafenstellung?

Die Verhältnisse Hamburgs waren eben ganz besondere und eigenartige. Das „nordische Venedig“, mittelst der Elbarme und der Flüsse Alster und Bille von einem Kanalnetz durchzogen, an welchem die meisten Waarenspeicher liegen, hegte gegenüber einer Zollabfertigung im Hafen und einer Zollkontrolle der zollfreien Niederlagen ein wahres Grauen. Hier gilt der Spruch: „Zeit ist Geld“. Die ankommenden Seeschiffe, namentlich die Dampfer, müssen so rasch wie irgend möglich entladen und wieder beladen werden. Sofortige genaue Feststellung des Gewichts, der Stückzahl, der Qualität etc., wie solche die Zollämter verlangen müssen, würde in vielen Fällen völlig unthunlich sein, den Wettbewerb mit anderen Welthandelsplätzen wie London, Antwerpen etc. aufs bedenklichste erschwert haben. Auch muß die Kolonialwaare oft eine ganz andere Gestalt annehmen oder ein anderes Gewand anlegen, ehe sie ist das Inland verkauft wird. So z. B. ist das „Stürzen“ (eigenartiges Sortiren) des Kaffees eine Spezialität der Hamburger „Quartiersleute“, einer Art Werkführer der Speicherarbeiten.

Viel Gewicht legten die Hamburger auch auf ihre umfangreiche „Export-Industrie“, welche sich in der Freihafen-Wohnstadt entwickelt hatte: Sprit-Rektifikations-Anstalten, mit Hefefabrikation verbundene Kornbrennereien, Schmalz-Raffinerien, Reisschälmühlen, Exportschlächtereien (ein einziges Etablissement dieser Art bringt in belebtester Jahreszeit täglich tausend Schweine vom Leben zum Tode und verarbeitet sie wesentlich zu Schiffsproviant), und eine Reihe ähnlicher Betriebe konnte ihrer besonderen Eigenart halber nur im Freihafen bestehen.

Aus diesen Gründen wünschten damals die Hamburger sowohl wie die Bremer (bei denen die Verhältnisse so ziemlich dieselben waren wie in Hamburg) die Beibehaltung der die gesammte Wohnstadt umfassenden Freihafenstellung. Der Wunsch ward gewährt, und die beiden Städte befanden sich im „Zollauslande“ so wohl, daß ihrerseits aus eigenem Antriebe wohl nie der Antrag auf „Zollanschluß“ gestellt worden wäre.

Zwar tauchten schon damals Zollanschlußvorschläge in Hamburg wie in Bremen selbst auf. Daß mancher im einer Freihafen-Wohnstadt ansässige Industrielle und Handwerker von seiner natürlichen Kundschaft in dem die Stadt umgebenden Lande durch Zollschranken abgesperrt wird, liegt auf der Hand und muß stets ein erheblicher Nachtheil derartiger Ausnahmestellungen sein. Auch eine Anzahl hamburgischer Großkaufleute und Kleinhändler, welche zollvereinsländische Waaren führten und in der Umgebung der Stadt ihren Kundenkreis suchten, waren mit dem Notbehelf der ihnen gewährten „Zollvereinsniederlage“ (ein Stück Zollvereinsinland innerhalb des Freihafens, 1871 in der „Gartenlaube“ des Näheren beschrieben) nicht völlig zufrieden. Die große Mehrzahl der Bevölkerung, in erster Linie die sehr einflußreichen Einfuhrhändler und Schiffsrheder, war entschieden gegen alle Zollanschlußpläne eingenommen, und selbst die Mehrheit der Hamburger Handwerker stand entschieden auf Seite der „Freihäfler“.

Die Minderheit, „die Zollanschlüßler“, wandte sich jedoch an den Fürsten Bismarck, und auch aus dem Zollvereinsinlande mahnten zahlreiche Stimmen den Reichskanzler, doch die Hansestädte zur Beantragung des Anschlusses zu bewegen. Deutsche Fabrikanten klagten, daß Hamburg und Bremen „Einfallsthore der englischen Industrie“ seien. Auch ward Gewicht darauf gelegt, daß der Eintritt der Hansestädte in den Zollverein die Zahl der Kunden der deutschen Industrie um 800 000 Köpfe vermehren würde. Der Umschwung der deutschen Wirtschaftspolitik 1879 bezw. die Erhöhung der Schutzzölle und die Vermehrung der Positionen des Zolltarifs ließ sodann die Lage derjenigen Einwohner der Hansestädte, welche durch die Freihafenstellung benachtheiligt waren, noch kritischer werden. Ihre Vorstellungen im Reichskanzleramte fanden Gehör, und nach verschiedenen sanften Anstößen erfolgte eine ernstliche Aufforderung des Reichskanzlers an die Hansestädte zum Eintritt in den Zollverband. Hamburg verhielt sich entschieden ablehnend, der „Zollkrieg“ ward eröffnet, und es begannen die sogenannten „Pressionen“ seitens der Reichsregierung: die preußischen Städte Altona und Wandsbeck sollten vom „Zollauslande“ abgetrennt und unter Ziehung von Zollschranken gegenüber Hamburg dem Zollverein angeschlossen werden; ein Gleiches beantragte Preußen auch beim Bundesrathe mit Bezug auf die hamburgische Vorstadt St. Pauli, unter lebhaftem Protest Hamburgs. Die Unterelbe ward in den Zollverein gezogen, die Hauptzollämter in Hamburg wurden aufgehoben – das war der „Zollkrieg“, der zum Glück kein Blut, wohl aber viel Tinte und Druckerschwärze kostete!

Den Hamburgern war hierbei keineswegs wohl zu Muthe; sie sehnten sich nach einem annehmbaren Friedensschlusse, und der Senat pflog eingehende Unterhandlungen mit dem Reichskanzler. Die Freihafenstellung in ihrem bisherigen, die Wohnstadt einschließenden Umfange aufzugeben, erklärte sich Hamburg bereit, ein für die Bedürfnisse des Welthandelsbetriebes ausreichender Raum würde genügen können; freilich mußten die Kosten der Umwälzung der gesammten städtischen Verhältnisse ungeheuer und für Hamburg allein unerschwinglich sein.

Da gab denn seinerseits Fürst Bismarck mit gewohnter Offenheit die Erklärung ab, daß seine Freigebigkeit Hamburg in Erstaunen setzen werde, und dies traf ein. Hamburg erhielt die Zusage, daß der Hafen nebst angrenzenden Gebietstheilen, im ganzen etwa 700 Hektaren Land- und 300 Hektaren Wasserfläche, nach wie vor in völliger Freihafenstellung ohne jegliche Zollkontrolle (außer der Zollbewachung von außen) verbleiben solle und daselbst auch die Exportindustrie unverändert betriebst werden dürfe. Da aber ein nicht geringer, von etwa 19 000 Menschen bewohnter Theil der inneren Stadt der Abbruchshacke verfallen mußte, um für die anzulegenden Speicher und Kanäle des neuen Freihafens Raum zu schaffen, gewährte das Reich einen Zuschuß der Hälfte der hierdurch erwachsenden Kosten, bis zum Höchstbetrage von 40 Millionen Mark. Hamburg war in der That erstaunt, ja so freudig überrascht, daß in der denkwürdigen Bürgerschaftssitzung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_887.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2019)