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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Geschlechter auf Leben und Sterben galt, denn die Tüchtigkeit ihres Stammes, die Zahl und Waffenfähigkeit ihrer männlichen Anverwandten war die Mitgift, die man nebst einem unbescholtenen Namen von der Braut verlangte.

An die schöne Halle aber, in die wir unsere Leser führen wollen, knüpfte die Tradition eine glückliche Vorbedeutung für solche Bündnisse, und wer seinem Sohne eine würdige Lebensgefährtin suchen wollte, wandte sich gern an die Vermittlung Messer Baldassarres degli Agolanti, dem die Natur das klug aushorchende Wesen und das überzeugende Wort des echten Florentiners verliehen hatte.

Zwischen den beiden Männern jedoch, die an einem schönen Frühlingsabend bei einem Krug feurigen Chiantiweins in dieser Loggia beisammen am Schachbrett saßen, bedurfte es keines Vermittlers, denn einer von ihnen, der mit den schmalen blassen Zügen, war Messer Baldassarre selbst, sein Genosse aber mit dem aufgedunsenen alten Bacchuskopf und dem kriegerischen Eisenwams war Messer Cione degli Amieri, der alte Haudegen, den jedes Kind in Florenz als den unzertrennlichen, wenn auch sehr ungleichen Busenfreund Messer Baldassarres kannte. Messer Cione hatte in seinen jungen Jahren nach dem Sieg der guelfischen Partei an der Seite seines Vaters, des berühmten Kriegers Foglia degli Amieri, des „Ritters vom goldenen Sporn“, die Bitternisse des Exils gekostet und war viel mit den Deutschen in Italien herumgezogen; bei denen hatte er die Kunst des Trunkes erlernt. Als er nun mit den Seinigen in die Vaterstadt zurückgerufen und in alle Ehren wieder eingesetzt wurde, wandte er zwar seine Waffen wider Heinrich den Luxemburger, der neunzig Tage lang Florenz belagert hielt, aber der deutsche Durst war ihm geblieben. Und er, der vordem bei seinen germanischen Lagergenossen in der Kunst des Zechens nur für einen Stümper gegolten hatte, erreichte unter seinen minder vermögenden Landsleuten bald den Ruf der Meisterschaft. Wenn Messer Cione auf die alten Zeiten zu reden kam, so rühmte er sich auch gern, als grüner Junge in der Schlacht von Campaldino an der Seite des großen Dante Alighieri gefochten zu haben, aber das Göttliche Gedicht hatte er nicht gelesen, denn auf Reimereien hielt er nicht viel, war auch der Meinung, der tapfere Ghibelline hätte es füglich können ungeschrieben lassen. Aber sein Töchterlein, die blonde Ginevra, die mit den Jahren an Geist und Schönheit das Wunder ihrer Zeit werden sollte, konnte ganze Gesänge des „Inferno“ auswendig und hatte die traurige Geschichte der Francesca von Rimini und des unglücklichen Paolo mit wunderbarer Kunst in einen Teppich gestickt.

Auf dieses Mädchen, des alten Cione einziges Kind, hatte Ricciardo, Messer Baldassarres ältester Sohn, ein Auge geworfen, und der junge Ritter, der bisher den Banden des Ehestandes völlig abhold gewesen, hatte erklärt, keine andere als Ginevra zur Frau zu nehmen, und sollte er auch Gefahr laufen, sein Leben in ledigem Stande zu beschließen und ohne gesetzliche Erben aus der Welt zu gehen. Diese Drohung Ricciardos beunruhigte seine ganze Verwandtschaft, denn er war schon neunundzwanzig Jahre alt und es galt damals für unziemlich, wenn ein Mann unvermählt das dreißigste Lebensjahr überschritt.

Deshalb hatte Messer Baldassarre, dem die Tochter seines Freundes wohl anstand, versprochen, den Brautwerber diesmal in eigener Angelegenheit zu machen, und er suchte vorerst den Freund vorsichtig auszuhorchen.

Aber all seine Kunst war an dem ehrlichen Messer Cione verschwendet, der gar nicht begriff, worauf die verblümten Fragen seines Freundes abzielten, und der auf die Lobpreisungen seines Kindes nur mit zufriedenem Schmunzeln und einem zerstreuten „Hm“ und „Ja“ antwortete, denn seine ganze Aufmerksamkeit war einem Springer seines Gegners gewidmet, der Ciones Königin bedrohte. Er stützte den Kopf auf die Linke, die in seinem dichten, noch braunen Haar wühlte, und goß, ohne es zu merken, einen Becher Wein nach dem andern hinunter. Als Messer Baldassarre das Hinderniß seiner Brautwerbung erkannte, opferte er klug den Springer und verlor das Spiel. Messer Cione, durch die mehreren in der Zerstreuung geleerten Becher angeheitert, gerieth über seinen unverhofften Sieg in so rosige Laune, daß ihm die ganze Welt in einer abendröthlichen Verklärung erschien, und wollte eben mit schwerer Hand ein neues Spiel aufstellen, als sein Freund das Brett zurückschob und ohne weitere Umschweife die Werbung vorbrachte. Er erzählte mit eindringlichen Worten, wie Ricciardo beim Maienfest zum ersten Male die schöne Ginevra im Festgewand unter den tanzenden Jungfrauen gesehen habe, wie ihm seitdem ihr Bild nicht aus dem Herzen gewichen sei und er erkannt habe, daß er nur durch ihren Besitz seine Ruhe wiederfinden könne.

Cione streckte beide Füße aus, griff nach dem Becher, den er auf einen Zug leerte, strich sich dann den Bart und ließ die Faust langsam und gewichtig auf den Tisch fallen.

„Soll sie haben! Soll sie haben!“ rief er mit dröhnender Stimme, die von den Wänden der Loggia wiederhallte. – „Meiner Treu, das ist ein guter Gedanke. Ricciardo ist ein braver Junge und Deine Verwandtschaft ist mir lieb und werth.“

Hier besann er sich einen Augenblick, rieb sich die Stirn und fügte hinzu:

„Das heißt, wenn das Mädchen mit der Heirath zufrieden ist, denn sie hat einen eigenen Kopf, und ich habe ihrer Mutter – Gott schenke ihr das Paradies! – versprechen müssen, nichts gegen ihr Glück zu thun. Nicht daß ich fürchtete, Dein Ricciardo könne ihr zum Gemahl nicht anstehen,“ fuhr er fort, als er dem verwunderten Blick seines Freundes begegnete. „Aber das Kind ist noch nicht sechzehn Jahre alt und scheu wie ein Reh. Als vor sechs Wochen der Oheim des jungen Frescobaldi um ihre Hand für seinen Neffen anhielt, ließ sich das gute Kind so verzweifelt an, als sollte es in die Klauen eines Raubthieres ausgeliefert werden, und ich mußte ihr mit den heiligsten Schwüren geloben, sie noch nicht von mir zu stoßen in ein fremdes Haus.“

Messer Baldassarre sah während dieser Worte seinen Freund mit Augen an, die immer größer und erstaunter wurden. Endlich ließ er beide Arme sinken, und als Messer Cione geendigt hatte, rief er im Tone höchsten Verdrusses:

„Hat man denn je gehört, daß ein Vater seine Tochter zu befragen hat, wenn er eine Verschwägerung mit einem edeln Geschlecht schließen will? Oder hast Du vielleicht bei den Deutschen die kuriose Sitte gesehen, daß die Kinder ihren Eltern gebieten?“

Da begann Messer Cione heftig zu fluchen und verschwor sich hoch und theuer, daß er in seinem Hause Herr und Meister sei und daß er jederzeit über seine Tochter verfügen könne, wie es ihm beliebe. Aber Messer Baldassarre stachelte ihn durch spitzige Reden noch mehr auf, bis der alte Ritter auf seine Tochter schalt, als habe er sie schon auf offener Widersetzlichkeit gegen seine Befehle ertappt, und in höchstem Zorne endlich rief:

„Und wenn sich das Gänschen sperren und sträuben will, so sage ich: Marsch ins Kloster oder in des edlen Messer Ricciardo Haus! Hat man unsere Frauen vielleicht gefragt, ob sie uns wollten? Die meinige kam mir mit rothen Augen ins Brautgemach, aber sie mußte sich fügen, weil es unsern Vätern so beliebte. Und nachher wurde sie Dir so zahm wie ein Turteltäubchen, die anfangs nur mit gesträubten Federn umher gegangen war. Und die Deinige wird Dich gerade auch nicht mit Freuden genommen haben.“

Der andere lächelte säuerlich und sagte:

„Mein Ricciardo ist rauh von Sitten und versteht sich nicht aufs Schönthun wie die geputzten, gesalbten Bübchen, die am Maienfeste den Ringelreihen mit den Schönen tanzen. Aber er hat das Herz am rechten Fleck und wird jederzeit für seinen Schwäher eintreten wie ein eigener Sohn. Deshalb verlasse ich mich mehr auf Dein väterliches Wort als auf seine Eroberungskünste.“

Der alte Ritter schlug mit der Faust heftig auf den Tisch.

„Und ich sage, er soll sie haben! Das ist abgemacht!“ schrie er mit weinschwerer Zunge. „Schon zwei brave Jungen, die mir zu Schwiegersöhnen recht gewesen wären, habe ich mit langer Nase abziehen lassen, weil es dem gnädigen Fräulein so beliebte. Jetzt ist es Zeit, daß sie meinen Ernst kennen lernt. Die verdammten Weiber mit ihrem Geflenn! Aber sie soll mir nur wieder so kommen! Auf dem Sterbebett habe ich ihrer Mutter versprochen, sie glücklich zu machen, und jetzt will ich mein Wort halten, so wahr ich Cione degli Amieri heiße! Verlaß Dich auf mich, Du hast mein Versprechen.“

Messer Cione stieg sporenklirrend die Stufen hinunter und schritt auf die Straße hinaus, wo die Knechte mit einem gesattelten Pferd seiner warteten. Denn ob er gleich von der Loggia der Agolanti bis zu seinem Palast nur ein paar Schritte zurückzulegen hatte, hielt er es doch unter seiner Würde, auf der Straße anders als zu Roß gesehen zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_014.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)