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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Gefangennahme Thusneldas durch Germanicus. (Mit Illustration S. 4 und 5.) Unter allen Frauengestalten der deutschen Geschichte ist keine größer und edler als Thusnelda, die Tochter des Segest und Gattin Hermanns, des Cheruskers. Mit kurzen ehernen Worten schildert der römische Geschichtschreiber Tacitus im ersten Buche seiner „Annalen“ ihr tragisches Geschick. Thusnelda war von ihrem Vater verlobt worden; aber Hermann hatte sie dem Vaterhause und dem Verlobten entführt. Dies und politische Gegensätze begründeten jenen Haß zwischen Segest und Hermann, dem die Einheit der niederdeutschen Stämme, das Glück Hermanns und seiner Gattin und die Ehre des Segest zum Opfer fielen. Segest wollte den Römern die versprochene Treue halten, Hermann die Eindringlinge vom germanischen Boden vertreiben. Segest warnte die römischen Feldherren; Hermann schlug sie mit eisernem Arm. Während Cäsar Germanicus, der Römer Heerführer, von einem siegreichen Zuge ins Land der Chatten zurückkehrte, kamen Boten des Segest mit dessen Sohn Siegmund zu ihm und baten um seine Hilfe. Segest meldete, er sei von seinen Landsleuten belagert; Germanicus möge ihn entsetzen. Und Germanicus fand es der Mühe werth, dieser Bitte zu willfahren; er schlug die Belagerer und befreite den gefährdeten Segest. Da fand er edle Frauen, unter ihnen Hermanns Gattin, die Tochter des Segest, mehr dem Manne, als dem Vater geistesverwandt, welche von ihrem eigenen Vater bei einem Ueberfalle zur Gefangenen gemacht worden war. Zu keiner Thräne, zu keinem bittenden Worte sich erniedrigend, stand sie vor dem Römerfeldherrn.

So der römische Geschichtschreiber. Dunkel liegt es über jenen Tagen und die kargen Worte des Römers lassen manchen Zweifel aufkommen über die Frage, wie weit des Segestes Verschuldung ging. Eins nur scheint unanfechtbar: daß die edle Thusnelda ein Opfer ihrer Liebe und Treue ward.

Und so ward sie auch immer von Dichtern und Künstlern aufgefaßt. So führt sie auch der Künstler auf unserem Bilde, welches unter vielen Darstellungen desselben Vorganges den ersten Platz einnimmt, vor Augen: schön wie eine Göttin und in fürstlicher Würde steht sie vor dem Römerfeldherrn, der gekommen ist, um sie gefangen zu nehmen, geführt von ihrem eigenen Vater. Bewundernd schauen die Augen der in Schlachten hart gewordenen Römer nach dem herrlichen Weibe. Der alte Segestes ist dargestellt, wie ihn Tacitus schildert: „mächtig von Gestalt und furchtlos im Bewußtsein wohl bewahrter Bundesgenossenschaft.“ – Es ist bekannt, daß die unglückliche Thusnelda als Gefangene nach Italien abgeführt ward und daß sie zu Ravenna Hermanns einzigen Sohn, den Thumelicus, gebar. Der Cheruskerfürst sah Weib und Kind nie wieder. Aber wie er zum deutschen Volkshelden ward, dessen Name durch alle Jahrhunderte fortlebt, so wurde Thusnelda – Thurishild mag wohl ihr heimathlicher Name gewesen sein – zum glanzumwobenen Vorbilde deutscher Frauengröße. M. H.     


Ein Gnadengesuch. (Mit Illustration S. 12 und 13.) Heiterer Sonnenschein fällt in die mit aller üppigen Pracht des Rokoko ausgestatteten Gemächer des Fürstenschlosses, einladend grüßen die schattigen Laubhallen des ausgedehnten Parkes zu den hohen schimmernden Fenstern des Schlosses hinauf und ein glückliches Fürstenpaar rüstet sich, dem Winken und Locken der strahlenden Natur zu folgen. Ein Diener nimmt schützende Tücher auf den Arm und in die Hand die allmorgendliche duftende Blumengabe des jungen Fürsten an seine Gemahlin – dann schreitet das glückliche Paar mit kleinem Gefolge heiter plaudernd die Treppe hinab zu dem bereits harrenden Wagen. Doch was ist das? Am Fuße der breiten, teppichbelegten Treppe kniet eine alte Dame, silberweiß ist ihr Haar, tiefschwarz die Kleidung. Ihr zur Seite steht eine leicht gebeugte, doch blühende Frauengestalt und etwas zurück schüchtern ein Knabe. Flehend faltet die Greisin die Hände, bittend richtet sich ihr Blick auf den vor ihr stehenden Fürsten, um ihren Mund zuckt ein herber Schmerz. Sie vermag kein Wort zu sprechen, es ist ihr, als ob die Zunge gelähmt sei. Da erklärt das Schriftstück in der Hand des Kammerherrn, was die ergreifende Scene zu bedeuten hat. Ein Gnadengesuch! Für den Sohn bittet die Mutter, für den Gatten ihrer Begleiterin, für den Vater des Knaben. Und dann findet sie auch Worte, glühende Worte der Mutterliebe und der Verzweiflung. Theilnehmend, von sichtlichem Wohlwollen getragen, ruht der Blick des Fürsten auf der edlen Bittstellerin, und aus den Zügen seiner Gemahlin spricht inniges Mitgefühl. Er kann dem Gesuch nicht augenblicklich willfahren, er muß untersuchen und dann entscheiden. Doch die Gnade liegt in seiner Hand und sie walten zu lassen, wenn es irgend geht, ist sein fester Entschluß. Er sagte es der gebeugten Greisin, und zagend, hoffend mag sie das Schloß verlassen. **     


Amor und Psyche von Antonio Canova.

Amor und Psyche. (Mit Illustration.) Die liebliche spätgriechische Sage von der Liebe Amors und Psyches hat jederzeit die Phantasie der Dichter wie der Künstler in gleichem Maße beschäftigt.

Psyche, eines Königs Tochter und von so wunderbarer Schönheit, daß um ihretwillen die Altäre der Venus verlassen standen, sollte auf Anstiften der grollenden Göttin dem verworfensten aller Sterblichen ihre Liebe schenken. Amor, der mit dem Rachewerk betraut war, verliebte sich selbst in die Schöne und entführte sie in einen Zauberpalast inmitten blühender Gärten, wo er sich heimlich mit ihr verband. Doch durfte sie sein Antlitz niemals sehen, da er sie nur des Nachts besuchte und ihr aufs strengste verboten hatte, zu forschen, wer er sei. Durch ihre eifersüchtigen Schwestern, die Amor auf ihr Verlangen herbeigeholt hatte, ließ sie sich zum Ungehorsam aufreizen; sie nahte mit einer Lampe dem schlafenden Gott und der Anblick seiner Schönheit verwirrte sie so, daß sie einen Tropfen glühenden Oels auf die Schulter des Schläfers schüttete. Erzürnt verließ Amor sie und Psyche durchwanderte nun trostlos die ganze Erde, ihn zu suchen, und kam endlich an den Hof der Venus. Von der göttlichen Schwiegermutter aufs ungnädigste aufgenommen, hat sie die bittersten Mißhandlungen zu erdulden und sich den gefährlichsten Dienstleistungen zu unterziehen; aber Psyche, stark durch die Liebe, überwindet jede Prüfung. Endlich schickt Venus sie zur Unterwelt, um einen Schönheitsbalsam zu holen. Auch dies gelingt, weil Amor ungesehen Hilfe leistet; aber auf dem Rückweg öffnet Psyche, welche nach all ihren Leiden des Schönheitsbalsams wohl bedürftiger war als die Göttin, die verhängnißvolle Büchse. So hat es Venus gewollt – tödliche Dämpfe quellen heraus, und die Unglückliche sinkt entseelt zu Boden. Doch schon ist der Geliebte nah und haucht ihr mit Göttermund neues Leben ein. Diesen Augenblick hat Canova aufgefaßt: die Stellung des Körpers, die noch entfalteten Flügel zeigen, daß der Gott eben im Schwung herangestürmt ist; er umschlingt die Geliebte, die noch bewußtlos, aber schon von traumhaftem Glück umdämmert sich an dem Wiedergeschenkten emporrankt.

Der Groll der Göttin ist endlich versöhnt; durch ein glänzendes Vermählungsfest, das ihrer im Olymp wartet, wird jetzt Psyche dem Geliebten auf immer vereinigt und tritt in die Zahl der Unsterblichen ein.

Unsere Gruppe, deren Original die Villa Carlotta in Menaggio am Comersee schmückt, ist Canovas gefeiertste Schöpfung, eine rührende Verkörperung der schwergeprüften und endlich belohnten Liebe. J. K.     


Porträt Kaiser Wilhelms II. (Zu unserer Kunstbeilage.) Das Dreikaiserjahr 1888 mit seinen Trauerklängen ist in den Schoß der Vergangenheit hinabgesunken. Wilhelm I. und Friedrich III. haben ihre Bahn vollendet, kraftvoll trat Wilhelm II. in die seine ein, und gehört den beiden ruhmreichen ersten Führern des neugeeinten Deutschen Reiches unsere dankgeweihte Erinnerung, so unsere Hoffnung Wilhelm II. Wiederholt schon haben wir die Züge des jungen Herrschers in unseren Bildern wiedergegeben, diese festen, Vertrauen erweckenden Züge, die uns aus dem lebenstreuen Porträt entgegenblicken, welches wir nun heute noch in einer besonderen Kunstbeilage unseren Lesern darbieten. **     


manicula0 Hierzu die Kunstbeilage „Kaiser Wilhelm II.“

Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg. S. 1. – Es schläft. Illustration. S. 1. – Die Wiege und das Grab der Hohenstaufen. Von Eduard Paulus. S. 8. Mit Illustrationen S. 8, 9, 10 und 11. – Die Vermählung der Todten. Von Isolde Kurz. S. 11. – Das nervöse Herz. Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch. S. 16. – Ein kleiner Musikschwärmer. Illustration. S. 17. – Der Eissport. S. 19. – Blätter und Blüthen: Wohnungsnoth der Arbeiterinnen. Von C. Falkenhorst. S. 19. – Gefangennahme Thusneldas durch Germanicus. S. 20. Mit Illustration S. 4 und 5. – Ein Gnadengesuch. S. 20. Mit Illustration S. 12 und 13. – Amor und Psyche. Mit Illustration. S. 20. – Porträt Kaiser Wilhelms II. S. 20. Mit Kunstbeilage.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_020.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)