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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Namen der Menge so laut und so unermüdlich in die geehrten Ohren zu tuten, bis sie schließlich an die gemachte Größe glaubt. Es ist sicherlich nicht schön und künstlerisch würdig zu nennen, wenn eine wirklich bedeutende Künstlerin, wie Sarah Bernhardt, von allen möglichen und unmöglichen Excentricitäten ihrer Lebensführung die Welt unterhalten läßt; viel schlimmer aber sind diese Orgien der Eitelkeit, wo es sich um eine Talmigröße handelt. Die Beispiele mangeln weder im lieben Vaterlande noch anderswo; unwillkürlich denkt wohl der Leser an den künstlich zum Heroen aufgebauschten französischen General, dessen einziges Verdienst bis jetzt darin besteht, daß er auf einem stattlich aufgezäumten Cirkuspferd leidlich gute Figur zu machen weiß, und der sogar die Hochzeitsfeier seines Kindes zum Anlaß der würdelosesten Reklame benutzt. Sein Beispiel ist lehrreich und typisch für die ganze große Schar seiner Nachahmer: man beginnt damit, über die lärmenden Virtuosen zu lachen, nach und nach verliert sich das Odium der Lächerlichkeit, und schließlich bewundert man den früher verlachten Helden. Es geht mit der Reklame wie mit der Verleumdung – es bleibt immer etwas hängen.

Kein Wunder also, daß sich eine ganze, geschäftige Industrie herausgebildet hat, um die schwarze Kunst des 19. Jahrhunderts nutzbar zu machen. Es giebt in der deutschen Reichshauptstadt große Reklamebureaus, deren einzige Thätigkeit im Tamtamschlagen besteht, und deren Besitzer sich von dem Ertrage dieses geräuschvollen Handwerks vortrefflich zu nähren verstehen. Skrupel kennen diese Braven nicht, sie gehen ebenso überzeugungstreu für Schlechtes wie für Gutes ins Zeug, sie stoßen in die Posaune für eine neue Seife, für ein großes Konzertunternehmen oder eine exotische Thierkarawane. Ihr großes Muster ist – Amerika. Das Dollarland ist die Heimstätte der Reklame um jeden Preis. Der nüchtern praktische Yankee, der an nichts glaubt und glauben will, verlangt seltsamerweise die plumpsten Reklamemittel. Deutsche darstellende Künstler, die nach Amerika hinüberkamen, waren entsetzt von der unglaublichen Geschmacklosigkeit, mit der man ihre Namen „populär“ zu machen gesucht hatte, aber all ihr Grollen und Schmähen half nichts, achselzuckend erklärte ihnen der „Manager“ (Unternehmer), daß sie ohne dies kunstvolle Arrangement von Wahrheit und Dichtung verloren wären. In der That könnte „drüben“ auch der größte Künstler nicht auf irgend nennenswerthe Erfolge rechnen, wenn er sich nicht mit gebundenen Händen einem geschickten Manager überliefert und sich durch lebensgroße bunte Bilder, durch Fackelzüge und Ständchen, durch gefälschte Biographien und märchenhafte Züge aus seinem Leben „anfeiern“ lassen will. Das amerikanische Publikum will einen Namen an allen Straßenecken in fußhohen Buchstaben lesen, ehe es an die Bedeutung des Trägers glaubt.

Nun – Gott sei Dank – ganz so weit sind wir noch nicht, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir eines Tages auch dies schöne Ziel noch erreichen werden! Von Tag zu Tag mehren sich die Anzeichen dafür, daß wir auf dem besten Wege dazu sind, in dieser Hinsicht der neuen Welt als würdige Rivalen gegenübertreten zu können. Ist das ein Geschrei, ein Getöse, ein wechselseitiges Ueberbieten in der geschickten Handhabung der Lärmtrommel! Der schreiende Auktionator, eine stehende komische Figur stillerer Zeiten, ist heute beinahe zum Symbol für unser öffentliches Leben geworben. Geschäftsleute, Künstler, selbst einzelne Gelehrte werden von einer krankhaft nervösen Sucht nach Ruhm und Gold zu den äußersten Lungenanstrengungen veranlaßt, jeder von ihnen reißt seine Ladenthür auf und ruft die arglos Vorübergehenden an: „Nur hier herein, meine verehrten Herrschaften, so billig, so gut kaufen Sie niemals bei einem andern Geschäftsmann, meine halbseidenen Stoffe, meine echt englischen Parfums, mein neues Buch, meine großartige Koloratur sind ohne gleichen in der ganzen Welt – nur hier herein – ich bin der größte Gelehrte, der bedeutendste Künstler, und wir alle, alle sind die geschicktesten Kaufleute!!“

Und in dieses dem geübten Ohr beständig vernehmbare Geschrei lärmen die großen Reklameglocken ihr weithin schallendes Bim-Bam, klingen die feinen Schellen der vorübergleitenden Bicyklisten ihr grelles Klingling, und darüber hin leuchtet das weiße Licht der elektrischen Lampen in beinahe verletzender Klarheit und Helle. Die gute, alte Talgkerze ist längst verschollen, auch dem Gaslicht, dem gelblich trüben Gefährten ruhigerer Tage, droht der Untergang; unter dem Zeichen der Elektricität vollzieht sich der geräuschvolle Uebergang in eine neue lärmende Aera, die naturgemäß die Fehler ihrer Vorzüge haben muß.




Alles verschneit.

O winterlich stille Einsamkeit!
Fern tönen verhallende Glocken,
Der Himmel ist grau und alles verschneit,
Und immer noch rieseln die Flocken.

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Der Wind fegt rauh durch Wald und Flur,

Hoch weht es den Schnee an der Hecke,
Und weder Pfad ist zu seh’n, noch Spur,
Weithin nur die glitzernde Decke.

Die Zweige beugen sich unter der Last

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Des blinkenden Flaumes nieder,

D’rauf halten Vöglein traurige Rast
Und schütteln den Schnee vom Gefieder.

Wie friert und hungert die kleine Schar
Am trüben Wintertage:

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O, wär’s wieder Lenz und der Himmel klar,

O, blühten die Rosen im Hage!

Und wo der Zufall ein Körnchen streut,
Verweht vom eisigen Winde,
Da fliegt es herbei, es piept und schreit

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Und zankt und pickt so geschwinde.


Doch mancher muntere, kleine Gast,
Der im Sommer dir sang seine Lieder,
Sinkt kalt und todt vom verschneiten Ast
Und sieht den Lenz nicht wieder.

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O, schaust du hinaus auf den schimmernden Schnee,

Behaglich, im Kreise der Deinen,
So denke daran: der Hunger thut weh –
Und vergiß nicht die frierenden Kleinen!

Anton Ohorn.




Die Vermählung der Todten.

Von Isolde Kurz.
(Fortsetzung.)


Ginevra sank auf die Kniee. „Ihr sollt alles wissen,“ sagte sie zu ihrem Vater, „und Ihr werdet sehen, daß Eure Tochter nicht zu erröthen braucht. Es war beim Turnier von Santa Croce am ersten Maientag. O, ich muß glauben, daß es der Wille des Schicksals war, denn Ihr selbst bestandet darauf, ich solle unter Madonna Gianettas Schutz dem Waffenspiel beiwohnen, und Ihr schenktet mir das köstliche Seidengewebe zum Festgewand und befahlt mir, die Juwelen meiner Mutter anzulegen, und kein Schmuck schien Euch reich und kostbar genug für mich. Ihr selber aber verschmähtet es, uns zum Turnier zu führen, und schicktet uns zwei Frauen allein in Begleitung der Knechte auf den Festplatz.“

„Weil ich beim Schachbrett saß. Sollte ich mit den weißen Gänslein Ringelreihen tanzen oder in den Schranken eine Lanze brechen wie ein junger Fant?“ brummte der Ritter grimmig. „Aber fahre fort!“

„In den Schranken, wo der Glanz der blanken Waffen, das Flimmern der Edelsteine auf den buntgestickten Satteldecken, das Nicken der hohen Federbüsche das Auge verwirrte und blendete und der Blick sich in dem Gewühl fremder Gesichter verlor, sah ich einen Ritter auf schwarzem Pferd, in dunklem Harnisch, der unverwandt zu unserem Balkon heraufstarrte. Sein Aeußeres war mißgestaltet, doch könnte ich Euch weder seine Züge beschreiben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_028.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)