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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

eine gute Ehe, denn er soll Dein Herr sein, nicht Dein Spielkamerad.“

Doch ebenso leicht hätte er können die Wasser des Arno rückwärts fließen heißen, denn Ginevra erhob sich nicht vom Boden, sondern schleppte sich auf den Knieen zu ihrem Vater, der sie mit Heftigkeit zurückstieß, und beschwor ihn, daß er sie lieber ins Kloster der Ursulinerinnen schicke, wo seine Schwester Aebtissin war, als sie an dem Mann, der ihr Herz und ihre Treue besitze, meineidig zu machen.

Da aber der Alte erfuhr, daß seine Tochter den jungen Leonardo seit jener ersten Begegnung zu öfteren Malen im Haus Madonna Gianettas wiedergesehen, daß diese würdige Matrone ihre Liebe beschützt und Zeugin ihres geheimen Verlöbnisses gewesen, da entbrannte sein zorniges Gemüth noch heftiger als zuvor; er überschüttete das Mädchen mit allen Scheltworten und Flüchen, welche die an schnöden Reden so reiche toskanische Mundart besitzt, fügte auch noch etwelche fremdländische Kraftwörter hinzu, die er in seiner Jugend bei den Deutschen gelernt hatte, und schwor hoch und theuer, wenn er Ginevra nicht als Gattin dem jungen Agolanti zugesagt hätte und seinen Schwur um der Ehre willen halten müsse, so würde er sie auf der Stelle hier in Stücke hauen. Ob sie denn nicht wisse, daß von all den frechen Emporkömmlingen, deren Anblick ihm täglich die Seele vergifte, keiner ihm so schweres Leid angethan wie die Familie der Rondinelli, die ihm seine Mauern verbrannt und seine Thürme niedergerissen und gegen die er niemals vor Gott und Menschen Recht gefunden habe. Aber er solle nur einmal einem von ihnen an einem Ort begegnen, wo der Arm der Signoria nicht hinreiche, sei es im Himmel oder in der Hölle, so wolle er so reiches Maß der Vergeltung üben, daß der liebe Gott selber am Tage des Gerichts die zerschlagenen Gebeine des Sünders nicht mehr erkennen solle.

Und als ob die gräßlichen Reden einer schlagenden Beweisführung bedürften, schleppte er das Mädchen am Arm auf den Söller, wo er ihr die verstümmelten, rauchgeschwärzten Mauern des Hinterpalastes zeigte, die wie eine stumme Anklage zum Himmel starrten.

„Sieh, das haben sie gethan, die Herren Rondinelli und Medici und wie das Krämervolk heißt. Es ist Deine eigene Mitgift und Erbschaft, die da in Rauch und Flammen aufgegangen ist; es war ein Wunder, daß Du selber mit dem Leben davonkamst, und Du darfst Gott danken, daß ein so edler Herr wie Messer Ricciardo Dich zur Frau begehrt, Bettlerin, die Du bist!“

Und nachdem er sie noch einige Male derb geschüttelt hatte, ging er mit schweren Schritten zur Thür hinaus und ließ die unglückliche Ginevra allein, indem er die Fäuste gegen den Himmel schüttelte, als wolle er die Vorsehung selbst zur Verantwortung ziehen, und ausrief: „O Gott, wie konntest Du zulassen, daß mein Blut sich so verirrte!“

Die Wuth des Ritters entsprang nicht allein aus der Verachtung des alten kriegerischen Adels gegen den im Handel reich gewordenen Bürgerstand, noch aus der in stürmischen Zeitläuften erlittenen persönlichen Schädigung, sondern sie war eine Folge der langen Unterdrückung und endlichen völligen Rechtlosigkeit, in der die Träger der ältesten und erlauchtesten Namen von den siegreichen Zünften gehalten wurden.

In Florenz war nämlich seit einem Jahrhundert die herkömmliche Weltordnung auf den Kopf gestellt und sollte es auch bleiben, so lange die Herrlichkeit der alten Republik dauerte. Den Adeligen oder „Granden“ war in heißen Kämpfen allmählich jeder Antheil am Regiment aus der Hand gewunden worden, selbst eine Vertretung war ihnen versagt und Gesetze von abenteuerlicher Strenge wurden aufgestellt, um diese neue Ordnung zu sichern. Unter keinerlei Umständen konnte ein Adeliger ein Amt von nur einiger Bedeutung bekleiden, selbst den Palast der Regierung zu betreten war ihm verwehrt. Nur in seltenen Fällen erlangte ein „Grande“ durch außerordentliche Verdienste das Recht, den Adel abzulegen, seine Wappen zu verlöschen und in den Bürgerstand aufgenommen zu werden, doch selbst dann blieb er von den Staatsämtern ausgeschlossen. Derjenige Adelige, welcher einen Popolanen durch Worte oder Werke zu beleidigen oder gar sich thätlich an ihm zu vergreifen gewagt, durfte der härtesten Strafe gewärtig sein, von schwerer Geldbuße, Abhauen einer Hand, Konfiskation der Güter bis zur Verkürzung um die Länge eines Kopfes. Und damit ja kein Vergehen des Adels ungesühnt bleibe, waren an vielen öffentlichen Orten Büchsen aufgestellt, welche dazu dienten, Denunciationen gegen die „Großen“ aufzunehmen.

Mit der Zeit ward die Versetzung in den Adelsstand sogar zu einem Akt der Strafe, denn wenn ein Popolane bei irgend einem Anlaß Partei für einen „Großen“ genommen oder nur eine ihm durch einen solchen zugefügte Beleidigung nicht zur Anzeige gebracht oder sich sonst in irgend einer Weise mißliebig gemacht hatte, konnte er und seine ganze Nachkommenschaft zu Granden erklärt werden, wodurch die Familie auf ewige Zeiten der bürgerlichen Rechte verlustig ging.

Diesen unwürdigen Zustand vermochten die edlen Sprößlinge der alten Ghibellinenhäupter nicht ruhig zu ertragen, und sie hatten mehr als einmal gesucht, in blutigen Straßenkämpfen und Aufläufen die verlorene Herrschaft wieder an sich zu reißen.

Vor wenigen Jahren war es zum letzten Mal zum Zusammenstoß gekommen, in den sich Messer Cione trotz seiner vorgerückten Jahre und Körperfülle frisch und freudig wie ein Jüngling gestürzt hatte. Die Parteien, in Familien mit Sippen, Gefreunden und Anhang geordnet, standen sich in den Straßen, auf den Plätzen, wo nur Raum zum Handgemenge war, gegenüber, aber durch unerschöpflichen Zufluß aus den unteren Vierteln schwollen die Reihen des Volkes und wuchsen zu einem Strom, der die ermatteten, durch keine Hilfe mehr verstärkten Gegner wie schlecht gestützte Dämme niederriß.

Und während an den Arnobrücken längst niemand mehr Stand hielt als das eiserne Geschlecht der Bardi, das den „Ponte Vecchio“ durch schwere Ketten gesperrt hielt und ihn von seinen Thürmen herunter vertheidigte, löste sich von dem Hauptheer der Streitenden eine kleine Schar Popolanen ab und zog, geführt von den Rondinelli, nach dem Mercato, wo sich ein Häuflein Adeliger unter dem Befehl Messer Ciones um das kleine Kirchlein des hl. Andreas her befestigt hatte und von seinen Palästen und himmelhohen Thürmen herunter dem Andrang des Volks wie aus einer Burg Widerstand leistete. Auch dort fanden sie die engen Straßen durch schwere Eisenketten von Thurm zu Thurm gesperrt, und an der vordersten dieser Barrikaden stand, umgeben von einer auserlesenen Schar junger Edelleute, Messer Cione, gerüstet bis an die Zähne, daß er einem Berg von Eisen glich und mit seiner Person allein schon den Paß sperrte. Er hatte die Beine gespreizt, sein Gesicht war blutroth aufgelaufen, das Schwert stemmte er vor sich auf den Boden, indem er sich mit beiden Händen darauf stützte, blickte wild um sich und begleitete jeden Schuß oder Wurf, der aus den Reihen der Seinigen kam, durch einen fürchterlichen Fluch, wie um seine Wucht zu verstärken. Es blieb eine Zeit lang bei solchem Drohen und gefahrlosem Würfen; erst als die Rondinelli, welche den ganzen Streit angezettelt und auch an den Brücken als die Vordersten gekämpft hatten, auf dem Platz erschienen, kam es zum Blutvergießen; von den gezackten Mauern herab wurden sie durch Geschosse dicht wie Hagelkörner begrüßt und hoch oben aus der Luft von den schwebenden Brücken herunter, welche die Häuser befreundeter Familien verbanden, flogen Steinblöcke, die den Getroffenen auf immer zu einem friedlichen Mann gemacht hätten.

Aber ehe ein Opfer fiel, war der ungleiche Kampf entschieden. Ein paar Jünglinge aus dem Geschlecht der Rondinelli, welche ihres jugendlichen Alters wegen von den Vätern in die hintersten Schlachtreihen gestellt worden waren, schleppten, um nicht müßig zu bleiben, eine große Leiter herbei, die sie unter den Steinwürfen der Belagerten und dem Beifallsgeschrei der Menge an die Mauern legten, und der sechzehnjährige Leonardo war es, der zum Jubel der Seinigen den ersten Feuerbrand in den Palast der Amieri schleuderte.

Zwei Schritte vom Fenster stand mit vorgebeugtem Leib, Furcht und Neugier in den Mienen, die liebliche noch nicht dem Kindesalter entwachsene Ginevra, die dem Verbot des Vaters entgegen aus den verstecktesten Räumen des Palastes heraufgeschlichen war, um dem Kampfe zuzusehen. Als nun Leonardos Gestalt so jählings am Fenster erschien und einen Augenblick zwischen Leben und Sterben an der Brüstung hing, schrie das Kind vor Ueberraschung laut auf und starrte regungslos den schönen kecken Knaben an, aber im nächsten Moment schoß von seiner Hand geschleudert ein Feuerstrahl an ihr vorüber, der zischend auf den weichen wollenen Fußteppich niederfuhr. Zugleich begegneten sich die Blicke der beiden; er streckte noch erschrocken den Arm aus, wie um die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_030.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)