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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

schon entsandte mörderische Fackel zurückzuhalten, aber gleichzeitig prasselte es von den oberen Stockwerken herab mit Steinen auf den jugendlichen Angreifer, der unter diesem Hagel das Gleichgewicht verlor, schwankte und stürzte. Ginevra hatte alles vergessen, die feindliche That des Knaben und die eigene Gefahr, sie flog ans Fenster und konnte noch eben sehen, wie der Fallende, sich Ueberschlagende eine Sprosse der Leiter faßte, die er zwar im Falle mit sich riß, die aber doch die Gewalt des Sturzes milderte, so daß seine Gefährten die Leiter ergreifen und den Jüngling in den Armen auffangen konnten.

Doch während er in Herzensangst nach Hilfe rief und sich aus den umklammernden Armen der Freunde loszuringen suchte, um aufs neue die Leiter anzulegen, diesmal nicht als Feind, sondern als Retter, streckte ihn ein neuer Steinwurf bewußtlos zu Boden.

Für Messer Cione aber war es ein großes Glück, daß gleichzeitig auf dem linken Arnoufer die Häuser der Bardi an allen Ecken rauchten und die Beutegier des Pöbels eine reiche und köstliche Ernte fand, denn sein eigener Palast blieb von aller Plünderung verschont, da ihm nur angesehene begüterte Bürger gegenüber standen, die mit der zugefügten Schädigung zufrieden vom Brandplatz abzogen, nachdem sie die Thurmwand niedergerissen hatten. Einige waren sogar beim Löschen behilflich, denn das Florentinische Volk war von je eben so bereit zum Lieben wie zum Hassen, und wenn die Rache gesättigt war, schlug sie leicht in Mitgefühl um.

Ginevra war halberstickt und ohnmächtig von einem Diener durch den bedeckten Gang in ein Nachbarhaus getragen worden, wo Madonna Gianetta sie liebreich aufnahm und pflegte. Aber von der Erscheinung des Jünglings am Fenster, für den eine ganz leise Stimme in ihrem Herzen um Verzeihung flehte, sprach sie nie ein Wort und Messer Cione, der den Namen des eigentlichen Brandstifters nicht erfahren hatte, theilte darum seinen Groll zwischen dem ganzen Geschlecht der Rondinelli.

Als Ginevra später den Knaben in männlicher Gestalt wiedersah, erkannten sie sich auf den ersten Blick, und beiden war es, als habe sich von jener Brandfackel ein Funke in ihre Herzen verirrt, der lange Jahre da geschlafen und der nun auf einmal vorbrechen müsse als ein heiliges Feuer, um all den alten Hader in seiner reinigenden Gluth zu verzehren. Auch als der Vater im Zorn von ihr gegangen war, gab sie die Hoffnung nicht auf, sein Herz zu erweichen. Aber der alte Ritter, der wohl wußte, daß seine ganze Stärke in seinem Zorne lag, und daß er nicht sicher war, einen zweiten Sturm siegreich zu bestehen, ließ ihr noch desselben Abends durch die Dienerin sagen, sie solle sein Angesicht nicht wieder sehen, bis sie komme, um ihm ihre Unterwerfung anzukündigen. Indessen habe sie allein auf ihrem Zimmer zu bleiben und mit niemand zu verkehren, damit sie in sich gehen und ihren Trotz bereuen könne.

So saß sie nun die langen Tage in ihrem Thurmzimmerchen, dessen Fenster auf den von drei Seiten eingeschlossenen Hofraum gingen, stickte an ihrem Teppich und in jeden Stich verwob sie einen Gedanken an Leonardo. Und bald wünschte sie, daß er einen Fürsprecher zu ihrem Vater schicken möge, bald zitterte sie vor dem Ausgang eines solchen Versuches. Wenn es Abend wurde, lauschte sie mit klopfendem Herzen nach der Straße hinunter, wo sie seinen Schritt aus allen andern herauszuhören glaubte, und stellte sich seine Gestalt vor, die jetzt wohl spähend über die Piazza schlich. Sie drückte die Brust gegen die kahle Wand, welche ohne Fenster wie eine Klostermauer nach dieser Seite ging, und gab dem fühllosen Stein all die Küsse, die sie bisher dem Geliebten verweigert hatte. Des Nachts, wenn die Fensterscheiben im Wind erklirrten, zitterte sie, daß Leonardo es noch einmal wagen könne, die Leiter an ihr väterliches Haus zu legen, und harrte mit gespanntem Ohr und jagenden Pulsen schlaflos bis zum Morgen.

Messer Cione horchte wohl zuweilen auf dem Gang, und wenn sich lange nichts regte, ward er ängstlich und schickte die Dienerin mit irgend einem Vorwand in die Stube, ob das Kind sich in der Einsamkeit kein Leides angethan habe; aber sobald er ihre Stimme wieder vernahm, erwachte sein Groll aufs neue und er ging von dannen mit dem festen Vorsatz, sich nimmermehr von seinem gegebenen Wort abbringen zu lassen.

Diese Dienerin, Laurella mit Namen, ein häßliches, aber aufgewecktes Geschöpf, hatte sich während Ginevras Haft in das Vertrauen der jungen Herrin eingedrängt und wäre wohl zu einem geheimen Botengang willig gewesen, hätte nicht Messer Ciones Argwohn auch ihr die Flügel beschnitten, indem sie das Haus ohne seine besondere Ermächtigung nicht verlassen durfte. So blieb nur die Hoffnung auf Madonna Gianetta, die bisher die Schutzpatronin der beiden Liebenden gewesen; aber die edle Dame, die sonst auf Messer Cione das Sprichwort anzuwenden pflegte, daß Hunde, welche bellen, nicht beißen, war durch des alten Ritters Drohungen so eingeschüchtert worden, daß sie die Stadt in der Stille verlassen und sich auf ein Landgut zurückgezogen hatte. Bald folgte noch schlimmere Mär, denn auf mancherlei Umwegen kam es Laurella zu Ohren, der alte Rondinelli sei gesonnen, seinen Sohn in Handelsgeschäften nach Frankreich zu verschicken, und was diese Sendung bedeuten sollte, wußte Ginevra nur allzu wohl; hatte sie doch aus Leonardos eigenem Munde gehört, daß es seines Vaters Lieblingsgedanke sei, ihn mit der Tochter eines reichen Handelsfreundes in Lyon zu vermählen. Und um das Maß voll zu machen, theilte ihr Laurella gleichzeitig mit, daß der Notar den Kontrakt ihrer Heirath mit Ricciardo schon aufgesetzt habe und daß das Kränzlein von goldenen Blättern, welches nach Florentiner Brauch ihr Haupt bei der Ceremonie schmücken sollte, für den folgenden Morgen bereit liege.

„Nein, bei Gott,“ rief Ginevra außer sich, „dies Kränzlein wird mich niemals schmücken, es sei denn, daß Leonardo mich zum Altar führt oder sie setzten es mir als Leiche aufs Haupt – denn wisse, eher stürz’ ich von diesem Thurm zerschellt aufs Pflaster, als daß ich dem Manne folge, vor dem mein Inneres sich entsetzt.“

Sie zog Laurella in die entlegenste Ecke des Gemachs, und nachdem sie ihr den Schwur der Treue und Verschwiegenheit abgenommen, holte sie ein zusammengefaltetes Blatt aus dem Busen und sagte mit gedämpfter Stimme:

„Nimm diesen Brief und verwahr’ ihn wohl. Ich habe ihn heute nacht geschrieben; aber ich wollte ihn nicht absenden, bis es zum Aeußersten gekommen wäre, denn nur aus höchster Noth werfe ich die Sitte und Bescheidenheit von mir, die einem Mädchen geziemen. Aus den Erzählungen unserer Dichter weiß ich, wie bedrängte Liebende sich Hilfe schaffen, und manche Heldin, die im Liede gepriesen wird, hat Schlimmeres gethan als ich, um den Weg zu ihrem Liebsten zu finden. So höre den Rath, den mir der Himmel eingiebt: Wenn Leonardo treu ist – und ach, ich würde eher am Licht der Sonne zweifeln als an ihm – so soll er heute nacht um die zweite Stunde nach Sonnenuntergang in der Kirche des heiligen Andreas auf mich warten. Mein Vater kann mir diesen Gang nicht weigern, wenn ich ihn bitte, mich die Nacht vor meiner Vermählung am Grabe der Mutter beten zu lassen. Ich werde ihm Unterwerfung heucheln, ihn beschwatzen und mit Dir zur Stelle sein. Dort, wenn kein Priestermund uns den Segen sprechen kann, soll Leonardo bei der Nische, welche die Gebeine meiner Mutter birgt, mich zu seinem Weibe nehmen. Im Angesicht Gottes und dieser Todten tauschen wir die Ringe und Du sollst Zeugin sein. Alsdann folge ich ihm, wohin er mich führen will. Und wenn die Seinigen mich zurückstoßen, gehen wir in ein anderes Land, und meine Heimath soll da sein, wo unsere Liebe ein Asyl findet.“

„Madonna, Ihr habt hohen Muth,“ sagte das Mädchen bedächtig. „Aber denkt Ihr auch an die Gefahren, die Ihr heraufbeschwört, Eures Vaters Zorn und die Gesetze dieser Stadt? Wird Herr Leonardo so Großes wagen?“

„O Laurella, was redest Du!“ rief das begeisterte Mädchen. „Leonardo ist kein Ritter, aber zehn Ritter erreichen Leonardos Kühnheit und Treue nicht. Und wenn uns das Schlimmste geschieht, wenn die Verfolger uns ereilen, so sterben wir doch Herz am Herzen als Mann und Weib und sind eine Stunde glücklich gewesen.“

„Ihr sprecht vom Sterben, und ich soll dazu die Hand bieten!“ schluchzte Laurella und umfaßte sanft den Leib der jungen Gebieterin. „Ach, Madonna, was soll aus mir werden, wenn Ihr untergeht?“

„O Laurella, sterben um Liebe heißt ewig leben,“ rief das Mädchen mehr und mehr entflammt. „Wenn Du mich liebst, so sei stark mit mir und denke nur daran, diesen Brief in Leonardos Hände zu besorgen. Um die Stunde, wo er von seines Vaters Bank nach Hause geht, stellst Du Dich am Fenster auf und wartest,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_031.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)