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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Eine äußerst wichtige Frage berührt unsere Abbildung 5; sie veranschaulicht fehlerhafte Brunnenanlagen auf dem Lande, die man geradezu gemeingefährlich nennen muß. Diese Abbildung vereinigt eine Reihe von Beobachtungen. Nämlich erstens, daß Brunnen öfters inmitten oder ganz in der Nähe eines Meierhofes angebracht werden, so daß Flüssigkeit aus dem reichlichen Dünger durch den Erdboden in den Brunnen sickern muß. Zweitens, daß, obschon es unbegreiflich scheinen mag, es dennoch wirklich vorkommt, daß Kloakenröhren quer durch den oberen Theil eines Brunnens geleitet werden.

Fig. 5. Wie die Milch „vergiftet“ wird.

Pridgin Teale führt folgenden wirklich beobachteten Fall als Beleg an: ein Kanalisationsrohr lief durch die Seitenwand eines Brunnens; die Röhren standen so hervor, daß sie sichtbar wurden, wenn man den Deckel des Brunnens abnahm. Aus der schadhaften Verbindungsstelle der Röhren rieselte ein Strom von Kanalflüssigkeit, die hauptsächlich aus dem Abfluß eines Schweinestalles und eines Kuhstalles bestand, an der Innenwand des Brunnens hinab. Es waren mehrere Fälle von Unterleibstyphus im Hause vorgekommen. Die Bewohner verkauften Milch, welche reichlich durch „Typhuslösung“ vom Brunnen her verdünnt war.

Fehlerhafte Brunnenanlagen in Milchwirthschaften haben in der That schon vielfach Typhus-, Scharlach- und Diphtheritisepidemien hervorgerufen, was leicht erklärlich ist; denn die Milch braucht nicht erst mit einem schlechten Brunnenwasser verdünnt zu werden, um ansteckend zu wirken, schon das bloße Aufwaschen der Kannen mit diesem Wasser genügt, die Milch zu vergiften.

Bedenkt man, wie groß eine solche Gefahr ist und wie leichtfertig und unwissend oft die Leute sind, so erscheint in der That die Forderung, die schon vielfach gestellt wurde, nicht unberechtigt: „Jede Milchwirthschaft, aus der Milch verkauft wird, sollte von Rechtswegen einer beständigen sanitären Ueberwachung unterworfen sein.“ Wir glauben aber, daß auch auf dem Wege der Selbsthilfe viel in dieser Beziehung gebessert werden könnte, und möchten hier den Spruch Disraelis beherzigt sehen. „Sanitäre Belehrung ist wichtiger als sanitäre Gesetzgebung.“ Dringt diese tiefer in die Volksschichten hinein, werden die großen wissenschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit in ihren allgemeinen leichtverständlichen Grundsätzen zum Gemeingut der Nation, dann wird auch das erreicht werden, daß unser Haus oder im engeren Sinne unsere Wohnung unsere Burg sein wird, in die wir uns aus dem Getümmel des Lebens ruhig flüchten können, eine feste Burg, die uns nicht allein vor fremder Willkür schützt, sondern zu der auch die geheimen Feinde unserer Gesundheit und unseres Lebens keinen Eingang finden.

Fig. 6. Schlimme Nachbarschaft.

Die Arbeit eines einzelnen auf diesem Gebiete ist jedoch nicht immer ausreichend. Ein Blick auf unsere Abbildung 6 überzeugt uns, daß wir uns auch vor bösen Nachbarn schützen müssen. In dem vorliegenden Falle ist der Vorrathskeller eines Hauses durch die schadhafte Leitung eines Nachbarhauses verpestet. Bei Verhältnissen dieser Art muß die Sanitätspolizei eingreifen und der strengen polizeilichen Beaufsichtigung müssen auch alle Fälle unterworfen sein, wie derjenige, den wir in Abbildung 7 wiedergeben. „Eine Villa in Cannes“, lautet die Unterschrift dieser Skizze, welche die böse Sieben unserer Beispiele voll macht. Die Geschichte dieser Villa ist die folgende. Vor einigen Jahren wurde einer Dame gerathen, ihrer Gesundheit wegen den Winter im südlichen Frankreich zuzubringen. Während ihres Aufenthaltes in Cannes erkrankte ihre Kammerfrau am Unterleibstyphus. Infolge dessen nahm die Dame sofort eine sanitäre Untersuchung des Hauses vor und fand unter dem Zimmer der Kammerfrau ein schlechtes Wasserklosett, welches sich

Fig. 7. Eine Villa in Cannes.

zum Theil in einen Kasten entleerte, der in einem unterhalb befindlichen Raume stand. Der überlaufende Behälter verpestete diesen Raum, neben welchem die Speisekammer und hieran anschließend die Küche lag. – „Die Gefahren für die Gesundheit werden nicht vermindert, indem man Badeorte aufsucht,“ bemerkt hierzu Pridgin Teale und ermahnt die Badeverwaltungen, daß sie nur durch häufige Untersuchung und scharfe Ueberwachung der Miethwohnungen ihren Ruf bewahren und ihr eigenes Interesse fördern können. Wir können mit Genugthuung feststellen, daß in Deutschland das Bewußtsein dieser Pflicht längst erwacht ist und die bereits eingeleitete Bewegung auch die „Lebensgefahr in Kurorten“ beseitigen wird.

Die deutsche Herausgabe des Werkes, welches uns die Anregung zu diesem Artikel gegeben, hat Professor Dr. Esmarch veranlaßt. Das Buch ist keineswegs für Aerzte allein bestimmt. Jedermann kann es mit Nutzen studiren, der auch auf gesundheitlichem Gebiete den stolzen Wahrspruch zur Wahrheit machen will:

„Mein Haus meine Burg.“




Blätter und Blüthen.

Mitternachtsprediger. Im Lande der „Heilsarmee“ finden sich allerlei merkwürdige Erscheinungen auf dem Gebiete religiösen Lebens; zu diesen gehören auch die Mitternachtsprediger. Wer spät abends am Sonntag durch die Straßen Londons geht, wenn die Menge von den Ausflügen aufs Land zurückkehrt und die verschiedenen Stadteisenbahnen Hunderte von Passagieren heimbringen, der hört oft an den Kreuzungspunkten vieler großer Straßen mitten im dichtesten Gedränge ein klägliches „O!“ ertönen, das sich mehrfach noch jämmerlicher wiederholt. Die Menge sammelt sich um ihn; da fügt er die erklärenden Worte hinzu: „Ihr elenden Sünder!“ Man könnte glauben, es mit einem Irrsinnigen zu thun zu haben; doch bald erfährt man, daß es ein Prediger sei. Nachdem sich ein Zuhörerkreis um ihn gebildet, spricht er wohl eine halbe Stunde fort in ruhigem Ton, ohne sich um muthwillige Störungen und spöttische Heiterkeit zu kümmern; die Zuhörer wechseln, einige kommen, andere gehen. Doch ein nicht geringer Theil hält aus, hört andächtig zu und begleitet den Redner sogar bis zur nächsten Straßenecke, wo er seine Predigt von neuem beginnt.

Die Engländer nehmen diese Prediger durchaus ernst und sind überzeugt, daß dieselben ein gottgefälliges Werk thun. Es existiren große und mächtige Gesellschaften, welche diese Bewegung unterstützen, und im Lande sind fortwährend Sammlungen für diesen Zweck im Gange, die ein stattliches

Ergebniß liefern. Tiefe Börsen thaten sich auf; es besteht eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_035.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)