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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Braut und Bräutigam,“ wiederholte Lore und ging vom Fenster zu dem baufälligen Kachelofen in dessen Röhre ein Wasserkessel summte.

„Du bist so so roth geworden, Lore?“

„So? Bin ich’s? – Hat Papa nicht eben gerufen? Bitte, sieh doch nach.“

„Sieh Du doch nach,“ schmollte Käthe, „Papa ist so sehr schlechter Laune, ich habe sie schon zur Genüge genossen heute abend.“

In diesem Augenblick trat der Bruder wieder ein, er sah ärgerlich aus und forderte seine Mütze, die er nicht finden konnte.

„Willst Du ausgehen?“ fragte Lore.

„Ich habe mich noch mit Becker verabredet.“

„Ich glaube aber, Papa hatte gehofft, Du würdest heute wenigstens bei ihm bleiben?“

Er antwortete nicht und ging suchend aus dem Zimmer; im Flur schien er die Mütze gefunden zu haben, denn er verließ gleich darauf das Haus.

„Lore,“ sagte Käthe, „weißt Du, die haben ein Souper mit den Schauspielerinnen.“

„Schweig doch!“ erwiderte Lore.

„Ich weiß es von der alten Dierks, die hat die Einladungen ausrichten und den Champagner kalt stellen müssen, die Blonde wohnt ja bei ihr.“

„Schweig!“ wiederholte Lore dunkelroth, „es sind das gar keine Sachen, die uns interessiren könnten.“

„Vielleicht mich nicht, aber – Dich.“

„Schäme Dich, Käthe!“

„Warum soll sich denn Rudi nicht amüsiren?“

„Aber, Käthe, ich bitte Dich!“

„Es ist so gräßlich langweilig bei uns, Lore, ich verdenk’s ihm gar nicht, wenn – er nur nicht gerade mit Adalbert Becker –“

„Aber jetzt zum letzten Male, was geht uns das an, Käthe?“ rief Lore empört.

„Vielleicht geht’s uns doch an, Lore.“

Das junge Mädchen kam herüber und blieb vor der schönen schlanken Schwester stehen.

„Lore,“ sagte sie mit sprühenden Augen, „wenn er es wagen sollte, so gieb ihm eine Ohrfeige!“

Wer denn? Was denn?“

„Wenn Adalbert Becker Dich heirathen will, dieser Mensch –“

Lore lächelte plötzlich. „Sei ganz ruhig, Käthe.“

„Ich habe Angst für Dich, Lore, er ist so zudringlich und er ist in Dich verliebt, fürchterlich verliebt.“

„Ich bitte Dich, Käthe, schweig endlich. Thue mir den Gefallen und gehe zu Papa, ja Kleine? Ich habe noch mit Mama zu sprechen.“

Käthe lief, diesmal wirklich gehorsam, aus dem Zimmer. Lore folgte ihr langsam. Da tönte von oben die Stimme des Majors: „Bekümmert sich denn niemand von Euch um Eure Mutter?“

Lore flog die Treppe empor. „Was ist’s mit Mama?“ rief sie angstvoll.

„Was es ist?“ donnerte der alte Herr, „krank ist sie, ihre alten Nervengeschichten hat sie! Hol der Teufel die ganze Wirthschaft im Hause!“

Krachend flog die Thür ins Schloß, während die Töchter nach dem kleinen Schlafstübchen der Mutter eilten und sich um die Kranke zu schaffen machten, die eisigkalt und zitternd auf dem Bette lag und leise stöhnte.

„Aengstigt Euch nicht,“ flüsterte sie, während ein Frost sie schüttelte, „ängstigt Euch nicht, gute Kinder, es geht gleich vorüber.“ Aber Lore saß die ganze Nacht bei ihr und streichelte die Hände der Leidenden, sie kannte ja die Ursache der Krankheit.

Gegen Morgen fuhr sie aus einem leichten Schlummer auf, sie hörte Schritte auf der Treppe, unsichere schwere Schritte. Leise erhob sie sich und öffnete ein wenig die Thür – in dem grauen Morgenlichte erkannte sie den Bruder; er hatte die Mütze schief auf dem Kopfe und sah eigenthümlich blaß aus, und als er über die Schwelle seines Zimmers trat, stolperte er und hielt sich schwankend an dem Pfosten.

Lore wandte sich in das Krankenzimmer zurück mit einem Ausdruck von Ekel auf ihrem Gesichte. Sie wickelte sich fröstelnd in ein Tuch und legte, auf dem Fußbänkchen am Bette der Kranken sitzend, ihren Kopf auf das Kissen der Mutter; sie erwachte erst, als eine heiße Hand sie streifte.

„Du müßtest Dich wohl um die Wirthschaft kümmern, Lorchen,“ schalt die müde Stimme, „wenn ich mich zu Mittag besser fühle, werde ich aufstehen; armes Ding, Du bist gewiß sehr müde?“




Im Beckerschen Hause, das inmitten eines weiten im englischen Stil gehaltenen Gartens lag, begann eben das längst besprochene Fest. Das ganze Parterre der Villa, die in ihrem modernen Ungeschmack einem weißen Würfel glich, war glänzend erleuchtet, der Diener, Kutscher und Gärtner staken in Livree, die nach der Schneiderwerkstatt roch, so neu war sie, und außerdem figurirten die beiden bekannten Lohndiener des Städtchens, als die gewandtesten von allen.

Eben waren die ersten Gäste eingetroffen; seidene Schleppen rauschten durch das teppichbelegte Vestibül nach dem Zimmer, wo die Damen ihre Mäntel abzulegen hatten, und nach einem Weilchen rauschten dieselben Schleppen, anderen Platz machend, in den violett dekorirten Salon der Frau Elfriede Becker, die in bordeauxrother Moireerobe, auf dem stark gefärbten Haar echte Spitzenbarben, von Brillantnadeln fest gehalten, ihre Gäste mit einem Schwall von liebenswürdigen Worten empfing. Ihre Stimme hatte etwas Lautes, Kreischendes, sie war sehr korpulent, von rother Gesichtsfarbe und ihre kleinen dunkeln Augen fuhren blitzgeschwind über die Toiletten der Eintretenden, es sah aus, als kontrollire sie, ob man auch ein festliches Kleid angelegt habe und somit die Ehre ihrer Einladung gebührend zu würdigen wisse.

Herr Adalbert Becker unterstützte seine Mutter mit mehr Gewandtheit, als diese zeigte; er führte die älteren Damen zu den Sofaplätzen unter das lebensgroße Porträt der Frau Elfriede, geleitete die jüngeren in das im Rokokostil gehaltene Boudoir der Mama, klopfte den Herren auf die Schulter und rieb sich, im vertraulichen Geflüster mit verschiedenen jungen Dragoneroffizieren die von X. herübergekommen waren, das Fest zu verherrlichen, die Hände, lachte laut über seine eignen Witze, warf plötzlich das Monocle aus dem Auge und stürzte auf die Thür zu, in welcher soeben Fräulein Melitta von Tollen erschien, hinter ihr Lore.

Frau von Tollen war noch immer leidend; sie hatte ihre Schwägerin bitten müssen, Lore auf dieses Fest zu führen. Das Flehen des jungen Mädchens, sie doch zu Hause zu lassen, war vergeblich gewesen, sie hatte sich seufzend gefügt. Tante Melitta in penseeseidener Robe etwas sehr unmoderner Art, mit einem ebenso unmodernen Spitzenshawl um die mageren Schultern, die Haube mit einem Bouquet Stiefmütterchen verziert, knixte nach allen Seiten und begrüßte ihre „liebe Nachbarin“ mit einer Freundlichkeit ohne gleichen, die dennoch eines Beigeschmacks von Herablassung nicht entbehrte. Lore begnügte sich mit einer graziösen stummen Verbeugung vor der Dame des Hauses.

„Mein liebes Fräulein von Tollen,“ kreischte Frau Becker über das ganze Zimmer hinweg, „wie bedaure ich, daß Ihre Frau Mama unwohl, wie lieb von Ihnen, daß Sie dennoch gekommen sind! – Adalbert! Adalbert! Du hattest doch – Du weißt –“

Der große blonde Mann drängte sich eben wieder durch all die Menschen, die da plaudernd umherstanden, und überreichte Lore einen prachtvollen Strauß aus weißen und rothen Rosen. „Erlauben Sie mir, mein gnädiges Fräulein, und gestatten Sie zu gleicher Zeit die Bitte um den Kotillon.“

Aller Augen richteten sich auf diesen Vorgang.

Lores Kopfhaltung wurde in diesem Moment geradezu hochmüthig. „Ich bedaure sehr, Herr Becker, ich kann selbstredend nicht bis zum Schluß des Festes hier bleiben – Mamas wegen.“ Sie umklammerte dabei mit beiden Händen den einfachen Holzfächer, auf dessen obersten Stab Käthe das Tollensche Wappen gemalt hatte, und wandte sich ab.

„Aber doch die Blumen, mein gnädiges Fräulein,“ bat er, „was haben Ihnen die armen Blumen gethan?“

Er hielt ihr mit lächelnder Miene den Strauß entgegen und seine Augen sahen von unten herauf bittend in die ihrigen.

Lore ward roth. Sie hatte ein erneutes. „Ich danke!“ auf der Zunge, da fühlte sie, wie ihr Bruder leise mahnend ihren Arm drückte.

Er hatte wohl recht; sie stand im Begriff, unartig zu sein dem Manne gegenüber, dessen Gastfreundschaft sie eben, wenn auch widerwillig, in Anspruch nahm.

Zögernd griff sie nach den Blumen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_038.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)