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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ich stamme aus dem Hause der Bardi, wie Du wissen wirst, einem der ersten und ältesten in Florenz. Die Sonne des reinsten Glückes strahlte über meiner Jugend, denn vom Himmel war mir die seltene Gnade zu theil geworden, daß die Neigung meines Herzens mit der Wahl meiner Eltern zusammentraf. Der Gegenstand meiner heimlichen Liebe wurde mir von den beiderseitigen Familien zum Gatten bestimmt. Mein ganzes Leben hindurch unter den härtesten Prüfungen, die mir das Schicksal auferlegte, stand die Erinnerung an jene goldenen Zeiten wie ein tröstlicher Stern über meinem Haupt. Nichts stellte sich der Verbindung in den Weg, die sofort mit großem Pomp in Gegenwart aller Verwandten gefeiert wurde, und wohl nie hat eine Braut mit seligeren Gefühlen den Ring aus der Hand des Bräutigams entgegengenommen. Aber die Ehe begann unter trüben Vorzeichen.

Ein begüterter Popolane, dessen Bewerbungen um meine Hand von meinem Vater zurückgewiesen worden waren, hatte eine falsche Denunziation gegen meinen Gatten vorgebracht und es einzurichten gewußt, daß der unglückliche Piero mitten aus den Vermählungsfeierlichkeiten heraus, noch ehe er mich in sein eigenes Haus abgeholt hatte, vor die Signoria gestellt und von da ohne Urtheil noch Verhör ins Gefängniß geworfen wurde, wo er zwanzig lange Monate schmachtete.

Ich ward von dem Gipfel des Glücks plötzlich in die Nacht der tiefsten Verzweiflung hinabgestürzt. Tage lang stand ich vor dem Gefängniß und starrte die düstern, fensterlosen Mauern an, die mein köstlichstes Kleinod verschlossen. Noch hatte ich ihn nicht ein einziges Mal ans Herz gedrückt und doch war er mein, mein Gatte, dem jedes Haar von meinem Haupte gehören sollte. Und ich wußte nicht, ob er aus den Kerkermauern je wieder an das Tageslicht zurückkehren würde, denn schon mancher war hinter jener schwarzen Eisenthür auf immer verschwunden. Alle Schritte, etwas von dem Gang des Prozesses und dem Schicksal des Gefangenen zu erfahren, waren vergeblich. Man begann mich als eine Witwe zu betrachten, neue Freier stellten sich ein, die den geschlossenen Bund für ungültig erklärten, da ich ja das Haus meines Gatten noch nicht betreten hatte, aber ich wies sie mit Entrüstung zurück. Auch jener Popolane wiederholte seine Bewerbungen, indem er durchblicken ließ, daß meine Antwort auf das Los des Gefangenen von Einfluß sein könnte, und noch jetzt danke ich es meinem Vater, daß er den Versucher mit Schimpf aus dem Hause trieb, ohne mich den Seelenqualen einer solchen Entscheidung auszusetzen.

Endlich, nach fast zwei Jahren, wurde Piero in Freiheit gesetzt[WS 1], ohne je eine Erklärung über die Ursache seiner Gefangenschaft zu erhalten. Die Denunziation hatte sich als falsch erwiesen, aber von einer Bestrafung des Schuldigen war nie die Rede. Doch sollten wir auch jetzt keines ungetrübten Glückes genießen, denn Pieros Gesundheit hatte unter der langen Haft und den vielen Entbehrungen und Mißhandlungen schwer gelitten.

Ein Jahr nach unserer endlichen Vereinigung ward uns zur Erfüllung unserer heißesten Wünsche ein Knäblein beschert und wir glaubten darin ein Zeichen zu sehen, daß der Grimm des Schicksals nun versöhnt sei. Aber dieser flüchtige Sonnenstrahl war nur der Vorbote neuer entsetzlicher Stürme.

Ein paar Wochen nach der Geburt unseres Sohnes ward mein Vater unter Anklage des Hochverraths verhaftet. Seit der ungerechten Gefangennahme Pieros hatte ihm der Groll über die Unterdrückung des Adels keine Ruhe mehr gelassen und er war – ohne unser Wissen, das kann ich bei Christi Blut beschwören – einer Verschwörung beigetreten, die den Umsturz des Staates bezweckte. Das Komplott wurde entdeckt. Wie Feuer flog die Nachricht von Haus zu Haus, ganz Florenz gerieth in Bewegung, alle Handwerker stellten ihre Arbeit ein, die Glocken wurden geläutet, die Läden geschlossen und in den Straßen wogte es Kopf an Kopf, als feiere Florenz ein Freudenfest. Die Zünfte traten unter Waffen und sperrten mit wehenden Fahnen den Zugang zu meinem väterlichen Palast.

Ich stand in einem Nachbarhause am Fenster, meinen säugenden Pierino auf dem Arm, und wartete mit Zittern auf das Gericht, das über uns hereinbrach. Noch meine ich den dröhnenden Schritt der Hellebardirer zu hören, der näher und näher die Straße heraufkam. Mit teuflischer Zerstörungswuth und unter dem Beifallsgeschrei der Menge warfen sich die Maurer und Zimmerleute mit eisernen Werkzeugen bewaffnet auf unser Haus; ich vergoß heiße Thränen, als ich die liebe Heimstätte meiner Kindheit, Stein um Stein krachend, in Schutt und Trümmer stürzen sah. Ach, es waren nur Steine, um die ich weinte, ich ahnte nicht, daß zu gleicher Stunde im Gefängnißhof auch das theure Haupt meines Vaters fiel.“

Die Greisin lehnte sich erschöpft an die Wand zurück und schloß die Augen. Ginevra drückte sich schauernd an sie und hielt ihre beiden Hände fest.

„Es war nur der Anfang meines Elends,“ fuhr sie fort. „Doch ich will Dein weiches Herz nicht mit all den schauerlichen Einzelheiten des Prozesses, in den wir alle verwickelt wurden, zerfleischen. Das Ende war, daß die Güter meines Vaters, wie die der andern Verurtheilten, eingezogen wurden und die Familien der Verschworenen, darunter ich mit all meinen Brüdern, in die Verbannung wanderten. Mein Gatte ging wie durch ein Wunder frei aus, denn seine Kränklichkeit ward für einen Beweis seiner Unschuld aufgenommen, während falsche Zeugen meine Mitwissenschaft beschworen. Doch konnte ich mich nie des Verdachts erwehren, daß die, welche mein Unglück wollten, nur diesen Weg gewählt hatten, um mich durch die Trennung noch schmerzlicher zu treffen, denn meines Gatten inständige Bitte, mich ins Exil begleiten zu dürfen, wurde von den Mächtigen abschlägig beschieden. Bologna ward uns als Aufenthaltsort angewiesen; ich nahm mein säugendes Kind auf die Arme und Piero durfte mich bis zum Thor begleiten. Unter dem Bogen der Porta al Prato hielt er mich zum letzten Mal im Arm; ich war so erstarrt vor Jammer, daß ich seinen Abschiedskuß nicht erwidern konnte, meine Brüder machten mich aus seinen Armen los und hoben mich wie eine leblose Statue aufs Pferd. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“

Madonna Alessandra schwieg aufs neue und ihr Geist schien sich ganz in die alten Erinnerungen zu versenken. Erst nach einer Weile nahm sie den Faden ihrer Erzählung wieder auf:

„In Bologna lebten wir ungefähr vier Jahre. Wir waren nicht gänzlich mittellos, denn mein Vater hatte, ehe er den verhängnißvollen Schritt that, Sorge getragen, einen Theil seiner Habe bei auswärtigen Banken zu sichern. Obwohl es Florentinischen Bürgern bei schwerer Strafe untersagt ist, mit Verbannten die mindesten Beziehungen zu unterhalten, hatten Piero und ich doch Mittel gefunden, um in stetem schriftlichen Verkehr zu bleiben. All seine Briefe strömten über von Sehnsucht und dem Wunsch, mich in Bologna aufzusuchen, aber ich wußte ihn durch dringende Vorstellungen zu beschwichtigen, denn ich fürchtete nichts so sehr, als daß er durch eine solche Uebertretung der Gesetze neue Gefahren auf sein Haupt herabbeschwöre; waren wir doch von Spionen umringt. O, daß ich so verblendet war, sein Kommen zu hintertreiben! Aber wessen Seele von so viel Schicksalsschlägen zermalmt ist, der wird feige und wagt das Glücksspiel nicht mehr, in dem alles gegen alles gesetzt werden muß.

Plötzlich, gerade um die Zeit, wo mein Heimweh aufs höchste gestiegen war, blieben Pieros Briefe aus. Wochen und Monate vergingen, ohne daß ich Nachricht erhielt, ich schlich immer noch wie ein Schatten umher und hätten meine Brüder mich nicht aufs schärfste bewacht, ich glaube, ich wäre zu Fuße auf und davon gegangen. Doch eines Tages – ich meine, es sei gestern gewesen – hielt mir ein Mann in Lumpen, dessen Gesicht mir bekannt schien, auf der Straße die Hand entgegen. Ich wollte im Vorübergehen eine Münze hineinlegen, da knitterte ein Papier zwischen meinen Fingern. Mein Beichtvater schrieb mir, daß Piero schwer krank sei und unfähig die Feder zu halten, er bitte um einen letzten Abschiedsgruß von meiner Hand und um ein Löckchen unseres Kindes, das ihn in die Erde begleiten solle.

Als ich dieses Schreiben erhielt, hatte all mein Schwanken und Fürchten augenblicklich ein Ende und der Entschluß, zu gehen und meines Gatten letzten Seufzer zu empfangen – sollte es auch das Leben kosten – stand fest. Meinen Brüdern, die ihre Gewalt über mich brauchen wollten, um mich zurückzuhalten, antwortete ich kühn: Wenn Ihr Männer das Recht habt, Euren Kopf feilzutragen für eine Chimäre von Staatsverfassung, die nicht länger dauert als von Weihnachten bis Ostern, wie sollte es da einem Weibe nicht gestattet sein, für ihre Pflicht und Liebe dasselbe zu wagen?

Meinen süßen kleinen Pierino übergab ich meinem ältesten Bruder und dessen Frau, und der sinkende Abend sah mich unterwegs nach Florenz, nachdem ich schon die Nachricht von meiner

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: gegesetzt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_050.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)