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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ankunft durch einen vertrauten Diener vorausgesandt hatte, der die Unterstützung erhabener Freunde für mich werben sollte, um mir in die Stadt zu helfen.

Aber ach, das Glück, das mir niemals lächelte, versagte auch bei diesem Unternehmen seinen Beistand. Mein Bote, der ein gutes Wams trug und ein edles Roß ritt, um schneller vorwärts zu kommen, wurde auf Florentiner Markung von bewaffneten Dieben angefallen und ausgeraubt. Als sie statt Geldes meinen Brief bei ihm fanden, beschlossen sie, aus diesem Funde Nutzen zu ziehen und den hohen Preis, der auf die Entdeckung staatsgefährlicher Umtriebe – denn so nennt man den Verkehr mit den Verbannten – gesetzt ist, zu verdienen.

Ich erreichte Florenz am andern Morgen und stahl mich mit einem Knecht, der mir gefolgt war, verkleidet durch den Thorweg, durch denselben, auf dem ich vor vier Jahren von Piero Abschied genommen hatte im herzbeklemmenden Vorgefühl, es könne der letzte sein. Laß mich schweigen von der entsetzlichen Aufnahme, die mir bereitet war! Kannst Du Dir den äußersten Schimpf vorstellen, der je einer Frau widerfahren ist? Kannst Du Dir denken, daß man Matronen aus edlen Häusern, Frauen wie die Landstreicherinnen auffängt und sie entblößt unter dem Hohngelächter und den Kothwürfen der Menge durch die Straßen von Florenz peitschen läßt? An diesem schrecklichen Tage haben selbst die Engel Gottes ihr Haupt verhüllt!

Im Gefängniß fand ich meine Besinnung wieder, aber mein Gott, in welcher Gemeinschaft! Mit schlechten Dirnen, vagabundirenden Weibern, die man täglich von der Straße auflas, mit Diebinnen und Kupplerinnen wurde die Tochter des stolzen Alessandro de’ Bardi zusammengeworfen, denn sie hatten, um mich desto tiefer zu demüthigen, meine Uebertretung als Landstreicherei bezeichnet. Zuerst erstarb jedes andere Gefühl in mir, nur der tödliche Haß gegen das übermüthige, frevlerische, von Gott verfluchte Krämergeschlecht tobte in meiner Seele. Aber Monde um Monde vergingen, ohne daß ich eine Aenderung erfuhr, ohne ein Zeichen von der Außenwelt, allein, der schmachvollsten Gesellschaft preisgegeben, die quälende Angst um meinen Gatten und um mein verlassenes Kind im Herzen. Meine Mitgefangenen wechselten, denn die einen starben weg, die andern wurden freigegeben, und für mich schlug die Stunde der Erlösung nicht.

Da fiel endlich in meine verfinsterte Seele ein Strahl der Gnade, ich überdachte all das entsetzliche Leid, das seit Anbeginn auf Erden gewaltet hat, und wie keiner verlangen darf, vor seinen Mitgeschöpfen bevorzugt zu sein.

Ich warf meine Augen umher und sah meine Mitgefangenen leiden; nun verachtete ich sie nicht mehr, sondern richtete sie auf und suchte sie zu trösten, und ich fand auch noch inmitten der tiefsten Verderbniß Spuren der Menschlichkeit. Auch rief ich mir zurück, was ich von den alten Geschichten dieser Stadt gehört hatte, und ich erkannte, daß die Vergehen von beiden Seiten gleich gewesen vor dem Herrn, und daß jede Partei ihre Stärke gemißbraucht habe. Da beugte ich meine Seele nicht vor den Menschen, aber vor Gott.

Doch der Herr hatte mir das Herz nur gereinigt, um mich auf neue noch härtere Prüfungen vorzubereiten. Während ich im Gefängniß schmachtete, war in Florenz die Verfassung umgestürzt worden, die Granden behielten wieder einmal auf kurze Zeit die Oberhand und die Verbannten wurden zurückgerufen.

Meine Brüder suchten mich monatelang vergeblich, denn in der allgemeinen Unordnung waren die Listen der Gefangenen vernichtet worden, und sie begannen mich schon für todt zu betrachten, als sie mich eines Tages im Grund meines schmutzigen Kerkers entdeckten. Ich sah die Sonne nur wieder, um sie zu hassen; am selben Tag, wo ich schmachvoll durch die Gassen von Florenz gezerrt wurde, hatte mein theurer Gatte, ohne zu ahnen, wie nah ich ihm sei, in den Armen meines Beichtvaters die Seele ausgehaucht und sein letzter Seufzer war mein Name gewesen. Einige Monate später war mein holdseliger kleiner Pierino, mein Liebling, das Kind meiner Liebe, einer in Bologna ausgebrochenen Kinderkrankheit erlegen. Ich erfuhr das alles und lebte noch.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Die neue Biographie Schillers von Otto Brahm (im Verlag von Wilhelm Hertz in Berlin) ist keine Anhäufung todten Materials, obschon alle Mittheilungen, auch manche erst neuerdings bekannt gewordene Korrespondenzen benutzt worden sind. Die ganze Darstellung ist in lebendigem Fluß gehalten; die einzelnen Kapitel runden sich zu selbständigen Lebensbildern ab, und als Medaillons in diesem Fries der fortlaufenden Erzählung sind die Charakteristiken der einzelnen Dichtwerke angebracht. Es handelt sich in diesem Bande besonders um die drei Jugenddramen: „Die Räuber“, „Fiesco“, „Kabale und Liebe“. Ueber die Quellen, aus denen Schiller bei diesen Werken geschöpft hat, ist ja schon sehr viel gesagt worden, aber eine so erschöpfende und überzeugende Darstellung, nicht bloß dieser Quellen, sondern auch der Anregungen und Vorbilder Schillers bei seinen Jugenddichtungen haben wir in den bisherigen Biographien noch nicht gefunden. Die Kritik trifft die Schwächen der Dichtungen, besonders in Motivirung und Aufbau; aber sie thut der warmen Anerkennung ihrer Bedeutung keinen Eintrag. So sagt Brahm von „Kabale und Liebe“: „Je weiter wir von dem Werk abstehen, je unbefangener wir seinen socialen und seinen poetischen Gehalt haben kennen lernen, in desto wärmerer Bewunderung treten wir vor diese einzige Schöpfung hin. Unzerstört und unzerstörbar ist der dramatische Gehalt des Werkes; und wie hoch auch Schiller an ästhetischer Einsicht und ethischer Klarheit noch gestiegen ist, unmittelbarere Bühnenwirkung hat er nirgends erzielt als hier. In dem weitverzweigten Gebirgsstock, welchen wir das deutsche bürgerliche Drama nennen, ist ‚Kabale und Liebe‘ der alles überragende Gipfelpunkt, und wo immer eine kräftige Weltanschauung modernes Leben abzuspiegeln sucht im Lichte der Scene, mag sie an diesem durch die Folge der Zeiten weithin sichtbaren Bilde sich in Größe und unerschrockener Wahrheit stärken.“

In der That ist die Bühnenwirkung des zweiten Aktschlusses von dem Dichter selbst kaum wieder erreicht worden; sie zündet überall, selbst bei mäßiger Darstellung. Und so war’s schon bei der ersten Aufführung des Stücks im Frühjahr 1784 in Mannheim: „Als die großartige Ensemblescene mit feuriger Wahrheit war gespielt worden, geschah etwas ganz Ungewöhnliches: die Zuschauer erhoben sich enthusiastisch von den Sitzen und brachen in ein stürmisches, einmüthiges Beifallrufen und Klatschen aus.“ Und mit demselben Enthusiasmus wird dieser meisterhaft sich steigernde Aktschluß auch noch jetzt nach hundert Jahren aufgenommen.

Der erste Band der Biographie Otto Brahms umfaßt die Heimathsjahre und Wanderjahre des Dichters und reicht bis zu der Zeit, wo er den Süden Deutschlands verließ und sich nach Leipzig wandte.

Die Knabenjahre des großen Dichters werden uns recht anschaulich geschildert, ebenso die Jünglingsjahre mit ihrer spannenden Romantik: die Flucht aus Stuttgart, der Aufenthalt in Mannheim, Oggersheim und Baumbach. Zum ersten Male wird darauf näher eingegangen, daß Schiller eigentlich schon in Ungnade gefallen sein mußte, als er die Karlsschule verließ; denn der Herzog wies ihm die subalterne Stellung eines Regimentsmedikus ohne Portepée mit 18 Gulden Monatsgehalt an. Schillers Vater ohne die acht Jahre akademischen Studiums hatte es als Regimentsfeldscheer bei seinen Husaren einst auf das Doppelte gebracht. Den Freunden aus der Akademie, welche in den Militärdienst getreten waren, sah sich Schiller nun untergeordnet: Lieutenant Scharffenstein und Lieutenant Kapff waren seine Vorgesetzten. Bei 21 Jahren und dem Ehrgeiz Schillers war über solche Rangfragen mit keiner Philosophie hinwegzukommen; seinen Degen ohne Quaste sah er als ein Abzeichen an, das ihn unablässig an die Subordination erinnern sollte.

Die Bilder der andern Charaktere, welche in Schillers Leben damals eingriffen, sind alle durchaus anschaulich und mit lebensvollen Farben geschildert. Das gilt besonders von Schillers Vater, über den alle Ueberlieferungen sorgfältig zusammengetragen und zu einem mit Vorliebe ausgeführten Bilde verwerthet worden sind. Auch das Bild des Herzogs Karl tritt in scharfen Umrissen vor uns hin, der tyrannische Zug in ihm wird aus dem Geiste seiner Zeit begriffen.

Von den Jugendgenossen Schillers treten der wackere Streicher und Scharffenstein am meisten in den Vordergrund. Der Theaterintendant Freiherr von Dalberg wird ohne Ueberschätzung geschildert, seinem Enthusiasmus der Vorwurf eines flüchtigen Strohfeuers nicht erspart. Wohl gelungen, nach guten Vorlagen gezeichnet und retouchirt sind die weiblichen Gestalten, welche den Antheil des jugendlichen Dichters gewannen, vor allem Margarethe Schwan und Charlotte von Kalb. Doch man darf aus dem Gefüge dieser künstlerisch aufgebauten Lebensbeschreibung, deren Stil ein maßvoller und wohlerwogener ist, nicht einzelne Steine herausbrechen; man muß sich ihrer Gesammtwirkung erfreuen, und diese ist, soweit das Werk erschienen, eine durchaus harmonische. Diese neueste Biographie des unsterblichen Lieblingsdichters des deutschen Volkes wird – wir zweifeln nicht daran – zu einem Lieblingswerke der Deutschen werden.  

Die Göttin der Vernunft. (Mit Illustration S. 40 und 41.) Das lebendige Gemälde von Coëssin de la Fosse[WS 1] zeigt uns das in den stürmischen Jahren der ersten französischen Revolution feierlich begangene Fest der Vernunftgöttin, welche die Freigeister des Konvents, die Stürmer und Dränger der Kommune an die Stelle der bisher andächtig verehrten Gottheit setzen wollten. Anacharsis Cloots, der Apostel des Menschengeschlechtes, Chaumette, der Syndikus der Pariser Gemeinde, Hebert, der Herausgeber des Schmutzblattes „Père Duchesne“, und andere Gleichgesinnte waren die Urheber dieses Festes, welches die Bevölkerung der Hauptstadt in einen wilden Taumel versetzte und mit der Entweihung der Kirchen und wüsten Gelagen jeder Art verbunden war. Die damaligen Machthaber Frankreichs, vor allem Robespierre, hielten sich grollend beiseite, ließen das Volk eine

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Coëssin de la Tolle
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_051.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)