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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


„Gefällt sie Dir nicht, die Lore, Mutter?“

„Du brauchst nicht Spott mit mir zu treiben, ich glaube Dir ja doch nicht!“ knurrte sie. „Na, das wäre die Rechte!“

Er schwieg, aber lächelte noch immer.

„Enterben thäte ich Dich,“ erklärte sie plötzlich im vollsten Ernst – „Enterben!“

„Wirklich?“ erkundigte er sich, und es zuckte um seine Mundwinkel. „Und wem wolltest Du das viele Geld vermachen?“

„Ein Narrenhaus ließ ich davon bauen, daß Du es weißt, Du frecher Jung!“ rief sie, „da hinein kämst Du mit sammt Deiner vornehmen Braut.“

„Wenn wir die einzigen Narren darin bleiben, nehme ich es dankbar an. – Guten Abend, Mutter, ich gehe jetzt spazieren.“

Er nahm seine Bücher, Hut und Stock und hatte im nächsten Augenblick die Stube verlassen. Die alte Frau hörte ihn auf der Treppe ein lustiges Lied pfeifen und schüttelte den Kopf.

„Nein,“ sagte sie endlich, „so dumm ist er nicht – so ein glattes Frätzchen und nichts dahinter – nein!“

Und sie legte das Strickzeug säuberlich zusammen, setzte sich mit gefalteten Händen in den Rohrstuhl zurück und wiederholte noch einmal. „So dumm ist er nicht!“

Er stand auf einmal draußen und pochte an die Scheiben. Sie schob den blitzblanken Messingriegel zur Seite und öffnete den Fensterflügel.

„Höre, Mutter,“ sagte er, „bevor die Lore meine Frau wird, müssen wir oben noch die Giebelstube ausbauen; es ist zu wenig Platz im Hause.“

Sie ward dunkelroth und schlug klirrend das Fenster zu, er aber preßte das Gesicht an die Scheibe und lachte mit lustigen Augen hinein, wie er es als kleiner Junge gethan.

Da öffnete sie noch einmal. „Töv, Du Slüngel, Du willst Din oll Mutter foppen?“ Und sie nahm ihm, ehe er sich’s versah, den Hut vom Kopfe, daß er barhaupt da stand und der Wind ihm durch die dichten braunen Haare sauste. „Du wolltest doch spazieren gehen? Geh doch, mein Jungchen, viel Vergnügen! Du kannst ja nun gleich, wie Du da bist, um Deine Lore anhalten.“

Sie wollte das Fenster schließen, da drängte er ihre alte Hand zurück, und im nächsten Augenblick war er mit einem Satz durch das niedrige Fenster gesprungen und stand in der Stube.

Die alte Frau saß in ihrem Lehnstuhl und lachte. „Schämst Dich nicht?“ rief sie, „was sollen nur Deine Schüler sagen, sähen sie, wie Du Dich benimmst! Da sollen sie wohl gar noch Respekt behalten? Wenn ich nur wüßte, was Dich so übermüthig macht –“

Und da hatte er plötzlich einen Stuhl neben sie gezogen und sah sie groß und ernsthaft an.

„Du darfst es ja wissen, Mutter,“ sagte er leise, „das Glück macht es, das süße reine Glück – sie hat mich lieb, die Lore, und will meine Frau werden.“

„Grundgütiger!“ stammelte die Pastorin leichenblaß. „Junge, was fängst Du für Geschichten an!“

In seinen Augen lag ein bittender Ausdruck. „Mutter, halte keine Reden, es wäre doch alles vergebens.“

„O lieber Gott, das ist doch keine Frau für Dich,“ begann die Pastorin, „eine von den Tollens, die nichts weiter wissen und können, als hochmüthig thun, und denen die Edelmannsmucken aus allen Kleiderfalten gucken! Jung, was hast Du denn gesündigt, daß Dir so ein Kreuz auferlegt wird?“

„Du kennst ja Lore nicht,“ erwiderte er und griff nach ihrer Hand. „Sie ist so lieb und einfach, und sie ist mir von Herzen gut.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_057.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)