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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

einerseits ihrem Familienstolz und ihrem Haß Ausdruck und zeigten sich zugleich doch dem Spruch der Signoria gehorsam.

Die blonde Ginevra wurde gleich den andern Tag in aller Form Rechtens dem jungen Rondinelli angetraut, und der Priester vernahm diesmal ein lautes, freudiges Ja von ihren Lippen.

Messer Cione söhnte sich in der Folge ganz mit dem neuen Schwiegersohn aus, und da seine Freundschaft für Messer Baldassarre durch die letzten Ereignisse einen schweren Stoß erlitten hatte, brachte er von nun an seine Abende meist in Gesellschaft des jungen Paares zu, das ihn durch den Anblick seines Glückes in der rosigsten Laune erhielt.

Und als er nach Jahresfrist einen kräftigen, kugelrunden, zappelnden Sprößling auf den Armen schwang, der ihm zu Ehren Cione getauft wurde, war seine Zufriedenheit vollkommen und er vergaß ganz, daß er einst geschworen hatte, seine Tochter lieber todt als in den Armen eines Rondinelli zu sehen.

Seine Vergeßlichkeit ging mit der Zeit noch so weit, daß er, als ihm eines Tages zu Ohren gekommen war, Messer Ricciardo habe sein ganzes Erbe im Spiel vergeudet und noch seinen alten Vater in Schulden verwickelt, zu seiner Tochter sagte:

„Siehst Du, ich hab’ es Dir ja immer gesagt, daß der Mensch ein Taugenichts ist und nie für Dich paßte.“

Das alte stolze Geschlecht der Amieri sank mit Messer Cione in die Grube, aber von seinem herrlichen Palast sind noch die Ueberreste vorhanden, die jedoch wer weiß wie bald der herrschenden Zerstörungswuth zum Opfer fallen werden. Nicht lange, so erlosch auch der söhnereiche, weitverzweigte Stamm der Agolanti. Aber von Leonardo und Ginevra sproßte ein Geschlecht, das jahrhundertelang eine Zierde seiner Vaterstadt war und dessen Name noch heute in einer der Hauptstraßen von Florenz erhalten ist.

Noch lange Zeit nach den Ereignissen, die wir hier erzählt haben, zeigte man in Florenz das leere Grab der blonden Ginevra, und das Gäßchen, durch welches die Auferstandene an jener für sie so verhängnißvollen Nacht von der Domkirche nach dem Haus ihres ersten Gatten zurückgekehrt war, heißt bis auf heute die Via della Morte (Weg der Todten).

Wer aber dem gestrengen, fürsichtigen und wohlweisen Magistrat von Florenz kein so salomonisches Urtheil zutraut und daher diese schöne Geschichte für die Ausgeburt eines müßigen Hirnes hält, der mag auf der Laurentianischen Bibliothek zu Florenz in einer ungedruckten, vergilbten Chronik des vierzehnten Jahrhunderts den ganzen Hergang mit allen Namen, Daten und Umständen nachlesen.




Blätter und Blüthen.

Arabische Trick-Track-Spieler. (Mit Illustration S. 81.) Es giebt kein spielseligeres Volk als die Araber. Selbst ihre Kunst ist ein phantastisches Spiel aus Ornamenten, mit geometrischen Linienverschiebungen, die niemals zum Denken anregen, niemals einer Idee Ausdruck geben, sondern nur den Sinn des träumerisch Dahinlebenden spielend beschäftigen und zerstreuen wollen. Der Araber spielt überall und mit allem. Fehlt es ihm an jeder andern Gelegenheit dazu, so greift er zu der Schnur dicker Bernsteinperlen, die er, wie der Katholik seinen Rosenkranz, im Gürtel trägt, und läßt dieselben langsam durch die Finger gleiten. Die feine, milde Masse des fossilen Harzes schmeichelt den empfindlichen Nerven der Fingerspitzen angenehm, deshalb zieht der Orientale den Bernstein allen anderen Stoffen zu diesem Spielzwecke vor. Wo wir in Marokko, in Tunis, in Aegypten Menschen beisammen sehen, da spielen sie entweder selbst oder schauen einem Gaukler, einem Schlangenbändiger, einem Taschenspieler zu. Die Kaffeehäuser sind angefüllt mit Schachspielern, weniger häufig werden dort Karten hervorgesucht. Es ist wohl kein Zufall, daß die meisten unserer Spiele aus dem Orient stammen. In seiner Spielsucht unterscheidet das niedrige arabische Volk sich durchaus nicht von den höheren Ständen, nur greift ersteres mehr zu einfacheren Spielen, das königliche Schach ist ihm zu hoch. Es ist offenbar ein Kaffeehaus für das niedrige Volk, das wir im Bilde überblicken. Der Wirth führt wohl nicht viel mehr als jenen braunen, schokoladendicken, aromatischen Trunk, der nirgends vorzüglicher bereitet wird als im Orient. Seine Gäste sind an Komfort nicht gewöhnt, selbst die Schale Kaffee, auf deren Abnahme der Wirth anderswo wohl Anspruch machen würde, versagen sie sich, sie treten, auf die orientalische Gastlichkeit vertrauend, nur ein, um zu spielen.

Auf den Teppich gekauert folgen sie mit fast leidenschaftlicher Erregung den Zügen auf dem Trick-Trackbrette. Die in ihre Burnus und Kopftücher gehüllten Gestalten sind so ernsthaft bei der Sache, daß sie auf die anderen Besucher des Kaffeehauses nicht achten. Diese aber zieht das Spiel herbei. Der eine hat seine Nargileh bei Seite gestellt, der Schlauch der Wasserpfeife liegt am Boden, er selber hockt auf einem Hühnerkäfig, um von den Schwankungen des Kampfes nichts zu verlieren. Ein junger Arbeiter sitzt zwischen den Kämpfenden, ein anderer blickt von der gemauerten Bank an der Wand zu ihnen hinunter. Keinen aber interessiren die Spielenden, jeden nur das Spiel selbst, das augenblicklich wohl bei der Entscheidung angelangt ist. Alle semitischen Stämme, die an den Küsten des Mittelmeeres wohnen, theilen mit einander dieselbe Vorliebe für unthätiges, träumerisches Dahinleben und für die leichten Anstrengungen, die ihnen das Spiel gewährt. Bei allen orientalischen Spielen handelt es sich niemals um Einsatz und Gewinn, wie zumeist bei unseren europäischen, sondern allein um die Freude am Spiele selbst. Deshalb behält es hier völlig die harmlose kindliche Art und weit lieber als an den grünen Tischen unserer Spielhöllen bleibt der europäische Fremdling bei diesen malerischen Gruppen stehen, weniger um den von Spitze zu Spitze vorgeschobenen Damenbrettsteinen des Trick-Track zu folgen, als die interessanten Charakterköpfe zu beobachten, die der Spielenden sowohl als der Zuschauenden, wie der Künstler sie hier charakteristisch wiedergegeben hat, indem er einen der hervorragendsten Züge orientalischen Volkslebens schildert.

Ruhm und Nachruhm. Die schwierigste aller Voraussagungen ist doch die über geistige Unsterblichkeit. Wie viele von ihrer Mitwelt in die Wolken gehobene Namen sind heute zu Sternlein dritter und vierter Größe zusammengeschrumpft, wie viele andere strahlen heute als Leuchten ersten Ranges, von denen ihre Zeitgenossen wenig wußten! In welchem Dunkel Shakespeare lebte und webte und dahinging, ist bekannt – haben sich ja doch auf diesen Umstand die abenteuerlichsten Hypothesen gegründet! Auch Cervantes, der größte Dichter Spaniens, wurde nicht entfernt nach Gebühr gewürdigt, und Molière, der Corneille und Racine so weit überragt, galt der großen Menge gegen sie nur als lustiger Possenreißer. Selbst Ludwig XIV. war hocherstaunt, als ihm der feinsinnige Boileau auf seine Frage, wen er für den größten Dichter Frankreichs halte, ohne Zögern erwiderte: „Molière, Majestät!“

„Wirklich?“ entgegnete zweifelnd der König. „Das hätte ich nicht für möglich gehalten!“

Es gereicht demselben Boileau zur hohen Ehre, daß er, im Gegensatz zu den Gelehrten seiner Zeit, unter der schlechten Uebersetzung den Geist Homers fühlte, während später Voltaire die Aeneis des Virgil hoch über die Ilias stellte und in Deutschland Thomasius versicherte, daß jeder vorurtheilsfreie Leser Hans Sachs unbedingt den Vorzug vor Homer geben müsse!

Und wie erging es erst den Musikern! Mozart mußte sich nach der ersten Aufführung des „Don Juan“ von der Berliner Kritik die unsterblichen Werke „eines Gretry, Montigny und Philidor“ vorrücken lassen im Gegensatz zu seiner „gekünstelten Oper“; über Beethovens „Fidelio“ schrieb 1806 Kotzebues Blatt, alle unparteiischen Musikkenner seien einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, das Ohr Empörendes noch nie in Musik geschrieben sei!

Aber auch Weber, der melodienreiche, entging demselben Schicksal nicht. Zelter, dessen musikalisches Urtheil für Goethe so maßgehend war, schreibt nach der ersten Aufführung des „Freischütz“: „Von eigentlicher Leidenschaft habe bei allem Gebläse wenig bemerkt – Teufel schwarz, Tugend weiß, Orchester in Bewegung, und daß der Komponist kein Spinozist ist, magst Du aus dem Umstand abnehmen, daß er ein so kolossales Nichts aus eben benanntem Nihilo erschaffen hat.“

Ludwig Tieck aber, das ästhetische Orakel seiner Zeit, nennt den „Freischütz“ ganz kurz „das unmusikalischste Getöse, das je über die Bühne getobt ist“.

Sollte man solchen Beispielen der Vergangenheit, die sich noch unendlich vermehren ließen, gegenüber nicht auch manchmal an der Unfehlbarkeit unseres heutigen Geschmackes im Bewundern und Verdammen einen stillen Zweifel hegen? Br.

Gedichte von Isolde Kurz. Den Lesern unseres Blattes ist die Dichterin wohl bekannt als beliebte Erzählerin, wie durch Aufsätze über italienische Zustände, deren lebendiges Kolorit ihre Vertrautheit mit denselben hinreichend bewies. Italien ist ihre zweite Heimath geworden; singt sie doch in ihrer soeben erschienenen Sammlung „Gedichte“ (Frauenfeld, J. Huber) ein begeistertes Loblied dem schönen Lande, das mit den Worten beginnt:

„Hingestreckt zwischen beiden Meeren
Liegst du und träumst in Mittagsruh,
Götterliebling!
Und die Wellen singen ihr altes Lied,
Das wellenalte,
Von deiner Schöne, von deinem Ruhm.“

Auch benutzt sie mit Vorliebe die Formen der italienischen Dichter, und in dem Todtenkranz „Asphodill“ sind es vorzugsweise Sonette mit anmuthig verschlungenen Strophen, die sie auf das Grab eines beweinten Todten legt.

Ueberhaupt muß man der Dichterin das Lob großer Formgewandtheit, schöner Klarheit in Gedankengängen, harmonischer Vers- und Reimbildung spenden, ein Lob, das man vielen ihrer Schwestern in Apoll vorenthalten muß, deren Gedanken oft so verworren sind wie die aus einem Haufen Werg hervorgezausten Fäden. Und wir wollen nicht einmal diesen künstlicheren Strophenformen den Vorzug geben, obschon die hier überwundenen Schwierigkeiten am meisten für die Formbeherrschung der Dichterin sprechen; unter den kleineren Liedern und Gedichten in der ersten Hälfte der Sammlung finden sich einige, die so zartempfunden, so

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