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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Augusta Viktoria“ besitzt z. B. bei einer Breite von fast 20 Metern eine Länge von 140 Metern. Nehmen wir die Gesammthöhe eines derartigen Dampfers, welche wenig hinter der eines stattlichen zweistöckigen Hauses zurückstehen wird, hinzu und bedenken wir, daß diese riesige Masse gewissermaßen freischwebend zusammengefügt werden muß, daß für ihren Bau fast ausnahmslos die schwersten Materialien verwendet werden, daß endlich nur die genaueste Arbeit die Haltbarkeit des Schiffskörpers zu gewährleisten vermag, so tritt die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe des leitenden Ingenieurs in ihrem ganzen Umfang hervor. Allerdings wird sie wesentlich erleichtert durch die ausgedehnteste Anwendung aller maschineller Hilfsmittel der Neuzeit, ja es wäre der Bau eines Panzerschiffes ohne die ausgiebige Unterstützung der Dampfkraft bei der Handhabung der riesigen Werkstücke, deren Gewicht häufig nach Hunderten von Centnern zählt, überhaupt unmöglich. Ich glaube, wenn Herr Vulkan allerhöchst selbst sehen könnte, wie der im Betriebe befindliche Dampfkrahn die gewaltigen eisernen Streben und Träger, die trotzigen Panzerplatten mit Leichtigkeit hebt und senkt, dreht und wendet und die Hand eines Arbeiters am Dampfventil seine Arbeit beaufsichtigt und leitet, er würde betrübt den Kopf schütteln und sein armseliges Werkzeug zerbrechend sich in die tiefsten Klüfte zurückziehen; dieser Konkurrenz wäre selbst der Göttersohn nicht gewachsen.

Die Wasserseite der Werft bietet überhaupt naturgemäß die interessantesten und mannigfachsten Bilder. Was an hundert Stellen des großen Etablissements im einzelnen zugerichtet und vorbereitet wird, hier strömt es schließlich zusammen. Die lange Reihe der Hellinge mit ihren thurmhohen Gerüsten, ihrem scheinbar unentwirrbaren Chaos von Streben und Balken, Trägern, Stützen, Treppen und Dächern, die der Vollendung entgegengehenden Fahrzeuge der verschiedensten Art, welche sich bereits seetüchtig auf der leichtbewegten Fläche des Stromes wiegen, die hohen Spieren der rastlos arbeitenden Krähne, das mächtige Schwimmdock endlich umrahmen eine Fülle von Einzelbildern, welche in ihrem reichen Wechsel dem Apparat eines Momentphotographen die denkbar günstigsten Vorlagen bieten müßten. Hier führt die schwerkeuchende Lokomotive auf massigem Wagen eine mächtige Panzerplatte an das Ufer, dort wird von einer zahlreichen Arbeiterschar eine zweite bereits am Bug einer Korvette angepaßt – auf dem Deck jenes fast fertigen Dampfers ist man mit dem Zusammensetzen des eleganten Mobiliars der Kajüten beschäftigt, das zum Theil ebenfalls in den eigenen Tischlereien der Werft hergestellt wurde und dessen Zierlichkeit in sonderbarem Gegensatze zu den ungefügen Bohlen und Balken steht, die unmittelbar daneben zum Bau eines Gerüstes aufgethürmt werden. Dort dampfen über den breiten Strom schwerfällig die drei Transportdampfer „Tyras“, „Sultan“ und „Pique-Aß“ heran, welche die kohlenbeladenen Waggons selbst an Bord führen, dem Bedarf der nimmersatten Oefen der Gießerei, der Gasanstalt zu genügen. Ab und zu taucht zwischen dem Heer von Arbeitern – die Werft beschäftigt seit Jahren durchschnittlich 5200 Mann – die ernste Gestalt eines der leitenden Beamten auf, hier anordnend, dort messend, hier zur Eile mahnend, dort mit Notizbuch und Bleistift in der Hand kontrollirend und kalkulirend!

Arbeiten auf der Werft: Ausbohren eines Hinterstevens für die Schraubenwelle.

Ja, kalkulirend! Denn schließlich beruht doch wie jedes große industrielle Werk auch das Gedeihen dieser Werft hauptsächlich auf richtigen Berechnungen, und wenn irgendwo, rächt sich hier jeder Fehler in der Kalkulation aufs empfindlichste. Unsere deutschen Werften haben diesen bei den schwankenden Material- und Arbeitspreisen des letzten Jahrzehnts doppelt fühlbaren Umstand bitter empfunden, und auch dem „Vulkan“ sind zeitweise Schwierigkeiten nicht erspart geblieben. Das Etablissement hat sie indessen überwunden, und man darf wohl sagen: heute steht der „Vulkan“ auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Es läßt sich erwarten, daß er bei dem von Jahr zu Jahr wachsenden Umfang des deutschen Seehandels und der allmählichen Verdrängung des Segelfahrzeuges durch den Dampfer, des Holzschiffes durch das Eisen- oder Stahlschiff, bei der Ausdehnung, welche die deutsche Postdampfschifffahrt durch die staatlich unterstützten Linien erhalten hat, noch weiter reiche Gelegenheit zu lohnender Beschäftigung finden wird. Aber auch von Seiten unserer Marine wird es nicht an Aufträgen fehlen, hat doch die kürzlich dem Deutschen Reichstag vorgelegte Denkschrift des Marineministeriums einen Bedarf von 28 Fahrzeugen mit einem Gesammtwerthe von 116 Millionen Mark berechnet, und hat doch der Chef der deutschen Admiralität, der leider so früh dahingeschiedene Graf Monts, in der Sitzung des Deutschen Reichstags feierlich erklärt: „Unsere Schiffe sollen deutsch sein vom Kiel bis zur Flagge!“

Wenn man die Bedeutung eines Werkes, wie der „Vulkan“, voll würdigen will, darf man es nicht losgelöst aus dem Rahmen der vaterländischen Gesammtindustrie betrachten. Es muß daher kurz auf die Wechselwirkung hingewiesen werden, die zwischen ihm und der deutschen Eisenindustrie sich im Lauf der Jahre entwickelt hat. Wie das Aufblühen des Baus eiserner Fahrzeuge, wie die Konkurrenz der deutschen Werften mit dem Auslande überhaupt erst möglich wurde, als die Produktion der Hütten und Walzwerke sich hob, so haben jene den letzteren ihren Dank durch ihren gesteigerten Bedarf (für den „Vulkan“ allein täglich etwa 50000 kg) abgetragen; es ist für beide Theile ehrenvoll, daß die deutschen Werften fast ausnahmslos nur deutsches Material benutzen.

Das letzte bedeutende Werk, das aus dem Etablissement hervorging, ist der für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft erbaute Doppelschraubenschnelldampfer „Augusta Viktoria“, das größte Schiff, das bisher auf der Werft des Vulkan erbaut worden ist. Es hat eine Länge von 140,21 m in der Wasserlinie, und eine Breite von 17,07 m, eine Ladefähigkeit von 2450 Tonnen, eine Maschinenkraft von 12000 bis 12500 Pferdekräften, die den Koloß zu einer Fahrgeschwindigkeit von 19 Knoten befähigen. Es hat Raum für 392 Passagiere erster Klasse, 120 Passagiere zweiter Klasse und 580 Zwischendeckspassagiere, sowie für eine Besatzung von 237 Köpfen einschließlich Kapitän und Offiziere. Am 1. Dezember 1888 fand der Stapellauf des Dampfers statt, von dem unser Bild S. 105 die wichtigsten Momente zeigt.

Wir sehen links vor dem hochaufragenden Bug des Schiffes die jugendliche Tochter des Vorsitzenden der Hamburger Gesellschaft, Fräulein Antonie Nissen. Sie hat die Weiherede gesprochen, ein Zug an der Leine zu ihrer Rechten und die Champagnerflasche zerschellt klirrend am Bug; dann ein Wink des leitenden Ingenieurs, die mächtigen Fallbeile sausen hernieder, kappen die Taue, die den Riesenbau noch fesseln, und langsam erst, dann schneller und schneller gleitet der Dampfer unter dem Jubelruf einer tausendköpfigen Menge majestätisch in sein nasses Element. Ganz Deutschland nahm Theil an dem Ereigniß. Kaiser und Kaiserin, Prinz Heinrich sandten Glückwünsche. Am 22. Dezember erschien Kaiser Wilhelm selbst in Stettin und stattete der Werft des „Vulkan“ einen Besuch ab, eine glänzende Anerkennung der Verdienste, die sich das Anwesen um die deutsche Industrie und um ihren Ruf

im In- und Auslande erworben hat. H. v. S.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_111.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)