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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Seidensticker, Karl Rümelin – wenn nirgends anders in Deutschland, so sind ihre Namen in den Listen der deutschen Gefangenenhäuser und der deutschen Festungen zu finden, drüben aber wurden sie mit offenen Armen empfangen, die Führer der ihnen voraufgegangenen Landsleute.

Und ein nachhaltigerer, mächtigerer Schub folgte in den Jahren 1848 bis 1850, in den Jahren, die man den „Völkerfrühling“ nannte. Hier ist es ganz unmöglich, auch nur annähernd denen gerecht zu werden, die sich in ihrer neuen Heimath ausgezeichnet haben. Den Lesern der „Gartenlaube“ sind viele von ihnen bekannt als liebe Mitarbeiter oder als Männer, deren gemeinnütziges Wirken in ihren Spalten geschildert wurde. Es genüge, den Namen Karl Schurz zu nennen, um den gewaltigen Einfluß heraufzubeschwören, den dieser eine Mann auf die innere Gestaltung der Angelegenheiten der Union gewonnen, den Namen des edlen Friedrich Kapp zu erwähnen, der in Wahrheit ein Bürger zweier Welten gewesen, Otto Ruppius , der dem Vaterland wiedergewonnen ward, Theodor Kirchhoff in San Francisko und Konrad Krez, dessen rührendes Gedicht „An mein Vaterland“ vor zwei Jahrzehnten in der „Gartenlaube“ Aufsehen erregte. Aus der Zeit des badischen Aufstandes finden wir in Führerrollen in Krieg und Frieden in Amerika Lorenz Brentano, Friedrich Hecker, Franz Sigel. Zum Heile für das Deutschthum Amerikas nahmen ihre Zuflucht in dem freien Lande so hervorragende Männer wie Hermann Raster, Oswald Ottendorfer und Karl Douai. Es würde die Aufgabe einer knappen Schilderung wesentlich überschreiten, wollte diese Liste Anspruch auf Fortsetzung erheben, aber das kann gesagt werden, daß noch Hunderte und aber Hunderte von Namen genannt werden können, die durch ihr ganzes Leben und ihren Einfluß auf ihre Landsleute dazu beitrugen, den amerikanischen Charakter mitformen zu helfen und die Union zu ihrer heutigen Machtstellung zu führen.

Es ist unter solchen Umständen nur natürlich, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten stets herzliche und freundschaftliche waren. Und wenn es auch nicht ganz an Augenblicken der Verstimmung fehlte, wie z. B. in der samoanischen Angelegenheit, wir sehen darüber hinweg, wir erinnern uns daran, daß in den Kämpfen um ihre Unabhängigkeit wie in dem Secessionskriege Deutschlands Sympathien der Union gehörten, wie andererseits die Union uns in unserem letzten Kriege mit Herz und Hand zur Seite stand. Und deshalb wünschen wir, daß in dem zweiten Jahrhundert ihres Bestehens die Union in inniger Freundschaft zu Deutschland verbleiben und wie bisher wachsen, blühen und gedeihen möge! Max Horwitz.




Blätter und Blüthen.


Franz von Holtzendorff †. Einer derjenigen deutschen Rechtslehrer, die sich durch gemeinnütziges Wirken und Unabhängigkeit der Gesinnung mit Recht einen Namen gemacht, Franz von Holtzendorff, ist am 5. Februar in München gestorben.

Er war am 14. Oktober 1829 zu Vietmannsdorf in der Uckermark geboren, studirte Jurisprudenz, habiltirte sich 1857 zu Berlin, wo er 1861 außerordentlicher, 1873 ordentlicher Professor wurde. Noch in demselben Jahre folgte er einem Rufe an die Universität zu München, wo er bis zu seinen Tode als Lehrer des Straf- und Staatsrechts thätig war.

Ausnehmend zahlreich sind seine Reformschriften, welche meist die Verwaltung des Gefängnißwesens, die Umgestaltung der Staatsanwaltschaft vom Standpunkte unabhängiger Strafjustiz, die Aufhebung der Todesstrafe betreffen. Wir haben in dem Artikel „Ein Vorkämpfer der humanen Rechtswissenschaft“ (Jahrg. 1875, S. 537) eingehend diese Seite seines öffentlichen Wirkens beleuchtet; auch über sein Auftreten im Prozeß Arnim haben wir gesprochen in dem Artikel „Die Hauptakteurs im Drama Arnim“ (Jahrg. 1875, S. 9.)

Auf religiösem Gebiete schloß sich Holtzendorff der freien kirchlichen Bewegung an; die Eingriffe der Brüderschaft des Rauhen Hauses in die Strafanstalten, gegen die er schon 1861 und 1862 heftige Broschüren geschleudert hatte, mochten ihm die Betheiligung am Protestantentag nahe legen. Er gehörte seitdem zu den Führern des Vereins (vergl. „Protestantische Charakterköpfe“, Jahrg. 1868, S. 470). Nicht geringere Verdienste hat er sich um den deutschen Juristentag erworben. Wenn sein „Handbuch des Strafrechts“ und andere Schriften ihn als gediegenen Vertreter der strengen Wissenschaft erscheinen lassen, so ist er ebenso thätig gewesen als Verbreiter volksthümlicher Bildung und zwar durch seine „Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge“, die er mit Virchow seit 1866 herausgab, und durch die „Zeit- und Streitfragen“.

So tritt das Bild des Verstorbenen als ein scharf ausgeprägter Charakterkopf vor uns hin; der Muth der Wahrheitsliebe, der rastlose Eifer, zwischen der Gelehrsamkeit und dem Volksleben zu vermitteln, die Gewandtheit in Rede und Schrift sichern ihm ein ehrenvolles Angedenken.

Die Schneewegschaffung in Berlin. (Mit Illustration auf S. 133.) Berlin im Schnee – ein hübsches Ausstattungsstück von eigenem Reiz, zumal wenn sich die Residenz an einem schönen Wintermorgen in diesem weißen, aber kalten Daunenkleide präsentirt. Hei, wie werden da schnell vor Schulanfang die heißesten Kämpfe geliefert, wie mancher Schneeball fliegt aus sicherem Versteck dem harmlosen Passanten an den Kopf, wie rasch verkündet lustiges Schellengeläut, daß nun auch die Schlitten in der Kaiserstadt zu ihrem seltenen Recht gelangen! Und als Gegensatz zu dieser fröhlichen Seite der Medaille: wie viele ärgerliche Ausrufe werden laut, hier von den dienstbaren Hausgeistern, welche flink die Bürgersteige fegen müssen, dort von den Kutschern, deren Pferde unversehens zu Fall kommen, da von den Fahrgästen der Pferdebahnen, denn trotz des sogleich angelegten Vorspanns und der von den frühesten Morgenstunden an arbeitenden Salzstreumaschinen geht es nur langsam und unpünktlich vorwärts. Lange freilich dauert die Herrlichkeit nicht an, der Magistrat einer wohllöblichen Haupt- und Residenzstadt läßt sich von niemand, am wenigsten von einer Frau, selbst wenn sie Holle heißt, in sein Sauberkeitsgefühl pfuschen, und so wird im Umdrehen ein erbarmungsloser Vernichtungskrieg gegen die auf den Straßen und Plätzen liegenden Schneemassen eröffnet. Sind dieselben sehr umfangreich, so rückt alsbald ein Heer von etwa zweitausend Arbeitern ins Treffen und beginnt mit Schaufeln, Hacken und Besen zur selben Stunde von zwanzig Centren aus – in so viele Sektionen ist Berlin zum Zweck der Straßenreinigung getheilt – den Kampf. Als begleitender Train erscheinen etwa tausend Wagen, die unaufhörlich hin- und herfahren und von denen jeder durchschnittlich täglich bis acht Fuhren erledigt.

Ausstattungsstücke verursachen aber viele Kosten, das merkt recht deutlich der Magistrat, und je mehr der Himmel an Schnee ausschüttet, desto schmaler und hohlwangiger wird der Stadtsäckel. Die Arbeiter erhalten pro Person und pro Tag zwei Mark, jede Fuhre wird mit einer Mark fünfundsiebzig Pfennig bezahlt – werden also die eben genannten Kräfte in vollem Umfang in Anspruch genommen, so ergiebt dies allein bereits an einem Tage 18 000 Mark, zu denen sich noch mancherlei Unkosten, wie Neubeschaffung von Geräthen, Schmiedearbeiten, Reparaturen an den Wagen etc. gesellen, so daß ein tüchtiger Schneefall der Stadt an einem Tage 20 000 Mark kosten kann. Im Jahresetat des Magistrats sind allein für diese Fälle 125- bis 170 000 Mark ausgesetzt, welche Summe aber in schneereichen Wintern (z. B. im vergangenen, wo die Kosten der Schneeabfuhren 454 000 Mark betrugen; die Gesammtausgaben für die Straßenreinigung Berlins stellten sich in jenem Etatsjahre auf 2 094 000 Mark!) bedeutend überschritten wird.

Aufforderung zum Kampf. (Mit Illustration S. 136 u. 137.). Affe zu sein, ist von jeher von unzähligen Menschen als ein humoristischer Beruf betrachtet worden. Fast jeder stellt sich unwillkürlich den Affen als unausgesetzt lustiges Thier vor, allem Ernste abhold, und der alte Fibelvers: „Der Affe sehr possirlich ist, zumal wenn er vom Apfel frißt“ spricht die Ueberzeugung von Millionen gewissenhaft aus. Es ist dies kein Wunder, denn mögen wir junge, wie dies meistens der Fall ist, oder alte, große oder kleine Affen sehen, fast ohne Ausnahme machen sie einen komischen, zum Lachen reizenden Eindruck und veranlassen unbewußt den Schluß, ihr inneres Wesen müsse dem äußeren Anschein entsprechen. Daher könnte man auch ohne die Unterschrift unter dem Spechtschen großen Affenbilde die hier lebendig geschilderte Scene wohl für eine lustige Affenbegegnung halten; aber es wäre dies ein Irrthum, wie auch die vorerwähnte Meinung im wesentlichen irrthümlich ist.

Die Affen, wie die Zoologen behaupten unsere ehrenwerthen Herren Vettern, bilden hinsichtlich ihres inneren Wesens keineswegs durch dessen etwaige unausgesetzte Lustigkeit eine Ausnahme von der Regel. Diese Regel ist, daß alle höher veranlagten Geschöpfe in der Jugend heiter sind, mit den Jahren aber ernster werden. Die Sorge, die dazu kommt, beschleunigt und verstärkt diese Aenderung, verursacht sie aber nicht, denn sonst müßten alle Menschen, denen sorglose Verhältnisse in die Wiege gelegt wurden, stets urvergnügt durchs Leben wandern. So ist es aber auch mit dem Affen. Schon Busch sagt ist seinem naturgeschichtlichen Alphabet: „Im Ameishaufen wimmelt es, der Aff’ frißt nie Verschimmeltes.“ Damit ist schon schlagend ausgedrückt, daß der Affe sehr wohl ernsten, begründeten Erwägungen zugänglich ist und ihnen angemessen handelt, sobald sein Alter ihn dazu befähigt. Wie die Menschenknospe, wenn sie, von Vater und Mutter gepflegt, ein Kinderleben führen darf, ein heiteres, höchstens von schnöden Schulsorgen beeinträchtigtes Dasein genießt, so geht es auch der Affenknospe, allerdings in erweitertem Grade, denn Schulsorgen kennt diese nicht. Von der Mutterliebe behütet, darf sie ein unbegrenzt heiteres Leben führen, denn wenn auch der Affenvater, mag er, wie die Paviane, als Sultan oder Mormone oder als sich bescheidender Gatte leben, seinen Sprößlingen gegenüber meistens von dem Gefühl absoluter Wurstigkeit (um diesen durch den Reichskanzler parlamentarisch gewordenen Ausdruck zu gebrauchen) beseelt ist, so wird dies von der Affenmutter reichlich ersetzt, denn auch bei ihr geht Mutterliebe über alles, selbst über den Verstand. Wird aber die Affenknospe zur Blüthe und Frucht, dann tritt die Heiterkeit zurück, Hunger und Liebe werden auch dem älteren Affen die ernsten Veranlassungen zu seinem Thun, und wenn er uns dann noch komisch und vermeintlich lustig erscheint, so ist dies der Fall, weil eben die Affengestalt, und zwar bei den sogen. menschenähnlichen Affen am meisten, eine Karikatur des Menschen ist und uns daher alle Affenbewegungen lächerlich und lustig erscheinen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_147.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)