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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

bei den letzten Worten. „Willst Du, Käthe, willst Du? Ach, sag doch ‚ja!‘ – Du weißt ja nicht, wie sehr ich ihn lie – geliebt habe,“ verbesserte sie sich weinend.

„Wie merkwürdig, daß Dir das jetzt plötzlich einfällt!“ sagte Käthe.

„Er hat meinen Abschiedsbrief nicht bekommen; statt dessen – es muß ihm ja völlig unverständlich sein, daß ich –“

Käthe hatte die Arme unter einander geschlagen und sah an Lore vorüber. „Wenn mal die Rede darauf kommt,“ sprach sie, „so kann ich vielleicht –“

„Nein, Du sollst nicht so lange warten!“ drängte Lore.

„Aber, ich – ich weiß nicht, ob sich das schickt,“ rief Käthe trotzig. „Ich will es versuchen, es ist aber doch so peinlich!“

Lore senkte den schönen Kopf; sie bat nicht mehr.

„Essen wir denn nicht bald, Lore?“ fragte die Schwester nach einer Pause, „ich bin recht hungrig, und um den Kartoffelpuffer bei Schönbergs hast Du mich auch gebracht; der Doktor und ich haben der Frau Pastorin so nett geholfen in der Küche beim Schälen und Reiben, das heißt, er nicht, er saß auf dem Küchenschemel und sah zu.“

Lore antwortete nicht; sie blickte starr gerade aus – sie sah die blitzblanke Küche vor sich und sie kannte den weißgescheuerten Küchenstuhl am Kachelherd. Sie hatte sich so tausendmal in Gedanken dort gesehen, schaltend und waltend und für ihn sorgend.

„Gnädige Frau, der Thee ist servirt,“ meldete der Diener und öffnete die Flügelthüren, die zu dem behaglichen Speisezimmer führten, das am entgegengesetzten Ende der Etage lag.

Sie saß dort mit Mutter und Schwester, fremd im eigenen Hause, am eigenen Tische. – –

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Lapplands Vogelberge.

Als der Weltenschöpfer sein Lieblingsgestirn, die Erde, just vollendet hatte und des gelungenen Werkes sich freute, da gedachte der üble Teufel dies Werk zu vernichten. Damals noch nicht Himmels verwiesen, wohnte er unter den Erzengeln und in den Räumen, in denen die Seligen hausen. Hinauf zu dem siebenten Himmel flog er, und einen gewaltigen Stein ergriff er; den schleuderte er mit Macht hinab auf die in jugendlicher Schönheit prangende Erde. Aber zur rechten Zeit noch gewahrte der Schöpfer das ruchlose Beginnen und sandte einen der Erzengel ab, dem Unheil zu steuern. Der Engel flog schneller noch als der Stein zur Tiefe hernieder, und ihm gelang es, das Land zu sichern. Donnernd stürzte der riesige Stein in das Meer, daß hoch auf die Wogen zischten und das benachbarte Land auf weithin überflutheten. Von dem gewaltigen Falle zerbarst der Stein, und Tausende von Splittern sanken zu seinen beiden Seiten in das Meer, theilweise in dessen Tiefe verschwindend, theilweise noch über dasselbe hervorragend, nackt und kahl wie der Kern selber. Da erbarmte sich Gott, und in seiner unendlichen Güte beschloß er, auch diesen öden Felsblock zu beleben. Aber die Fruchterde war versiegt in seiner Hand und nur noch ein Weniges übrig geblieben. Das reichte kaum hin, hier und dort ein Bröckchen auf den Stein zu legen.

Also berichtet eine uralte Sage, welche unter den Lappen von Mund zu Munde geht. Der Stein, welchen der Teufel warf, ist Skandinavien; die Trümmer, welche zu beiden Seiten in das Meer fielen; sind die Schären, welche im bunten Kranze die Halbinsel umgeben; die Risse und Sprünge, welche er erhielt, sind die Fjorde und die Thäler des Innern; die Brocken belebender Erde, welche aus der milden Schöpferhand fielen, bilden das wenige fruchtbare Land, welches Skandinavien besitzt.

Skandinavien ist ein Alpenland wie die Schweiz und Tirol, und doch von beiden unendlich weit verschieden. Wie unsere Alpen hat es seine Hochgebirge, seine Gletscher, seine Wildbäche, seine klaren, stillen Alpenseen, die dunklen Fichten- und Föhrenwälder unten im Grunde, die lichtgrünen Birkenwaldungen in der Höhe, die weit ausgedehnten, hier zu Tundren gewandelten Moore auf den breiten Rücken der Berge, die Blockäuser an den Gehängen und die Sennhütten in den höchsten Thälern. Und doch ist alles so ganz anders als in den Alpenländern. Das kommt daher, weil hier zwei große und erhabene Gebiete der Erde, das Hochgebirge und das Meer, in wunderbarer Weise sich vereinigen und verbinden.

Aber so sehr auch Skandinaviens Schönheit ist, so sinnbestrickend und überwältigend die Fjorde mit ihren Felsenwänden, Schluchten und Thälern, Vorgebirgen und Spitzen sein mögen, eigenartiger sind die Inseln und Schären draußen im Meere, welche dem Lande vorliegen vom Süden bis zum Norden herauf und ein Gewirr von Buchten, Sunden und Straßen hervorrufen, wie man es kaum noch einmal erschauen kann auf der weiten Erde.

Die großen Inseln spiegeln mehr oder minder getreulich das feste Land wieder; die kleinen und die Schären bewahren sich ihr eigenes Gepräge. Dieses aber ändert sich mehr oder weniger mit jedem Breitengrade, welchen man, nach Norden fahrend, überschreitet. Ihnen wie dem Meere fehlt der Reichthum des Südens; sie sind jedoch keineswegs aller Schönheit bar und üben namentlich in den Stunden um Mitternacht, wenn die Hochsommersonne niedrig und groß und blutroth über dem Gesichtskreise steht und ihr gleichsam verschleierter Glanz auf den eisbedeckten Bergesgipfeln und dem Meere wiederspiegelt, überwältigenden Zauber aus. Wesentlich tragen dazu bei die überall zerstreuten Gehöfte, Wohnungen aus Holz gezimmert, mit Brettern verschlagen und mit Rasen gedeckt, prangend in seltsam blutrother Farbe, welche sich lebhaft abhebt von dem grünen Rasendache darüber, dem schwarz erscheinenden Dunkel der Bergwand dahinter und dem Eisblau der Gletscher im Hintergrunde des Bildes.

Nicht ohne Verwunderung nimmt der dem Lande noch fremde Südländer wahr, daß diese Höfe größer, stattlicher, geräumiger werden, je weiter nach Norden hin man vordringt, daß sie, obgleich nicht mehr von Aeckern, höchstens noch von kleinen Gärtchen eingehegt, durch Größe, Geräumigkeit und Ausstattung der hüttenähnlichen Gebäude die des südlichen Skandinaviens bei weitem übertreffen, ja, daß die stattlichsten und großartigsten von ihnen vielleicht auf verhältnißmäßig kleinen Inseln liegen, auf denen nur Torf die Felsen bedeckt und deren undankbarem Boden nicht einmal mehr ein kleines Gärtchen abgerungen werden kann.

Das scheinbare Räthsel löst sich, wenn man sich erinnert, daß in Nordland und in Finnmarken nicht das Land, sondern das Meer der Acker ist, welcher gepflügt wird, daß man nicht im Sommer säet und die Sense schwingt, sondern inmitten des Winters erntet, ohne gesäet zu haben, daß gerade in denjenigen Monaten, in denen die lange Nacht unbestritten ihre Herrschaft ausübt und anstatt der Sonne nur der Mond leuchtet, anstatt des Morgen- und Abendrothes nur das Nordlicht erglüht, der Mensch dort oben reichlichen Segen des Meeres einheimst.

Um die Zeit der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche rüsten sich in allen Küstenorten ganz Norwegens kräftige Männer, um die nordische Ernte zu bergen. Jede Stadt, jeder Flecken, jedes Dörfchen entsendet ein oder mehrere reichlich bemannte Schiffe hinauf zu den Inseln und Schären jenseit des Polarkreises, um in allen geeigneten Buchten für Monate Anker zu werfen und vom Schiffe, von den Gehöften aus den Erntesegen zu bergen.

Während des Hochsommers ist das Land dort oben still und menschenleer; während des Winters wimmeln Buchten, Inseln und Sunde von geschäftigen Männern, und arbeitsame Menschenhände regen sich Tag und Nacht. So geräumig auch die Gehöfte erscheinen, sie vermögen die Menge der hier zusammengeströmten Leute nicht zu fassen, und neben den Schiffen müssen noch roh errichtete, torfbedachte Hütten am Strande nothdürftige Unterkunft gewähren.

Um die Zeit der Tiefsonnenwende, wenn wir unser Weihnachts-, die Normannen ihr Julfest feiern, regt sich das Getriebe am lebendigsten. Schon seit Wochen spendet das Meer seinen Segen. Beherrscht von dem mächtigsten Drange, welcher die lebenden Wesen erregt und bewegt, geleitet von dem unwiderstehlichen Triebe, Samen zu streuen für die kommenden Geschlechter, erheben sich aus den tiefsten Gründen des Meeres unschätzbare Scharen von Fischen; Kabeljaus, Schellfische und andere steigen zu den oberen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_154.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)