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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 11.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Hast Du es ihm gesagt, Käthe?“ Das war die stehende Frage Lores, wenn die Schwester kam, und als ewig ein: „Nein es ließ sich nicht machen,“ erfolgte, fragten nur noch vorwurfsvoll ihre großen Augen, der Mund war verstummt. Käthe kam auch immer seltener, und seitdem Lore einen Brief des Bruders, der sich nochmal wegen Geld an sie wandte, ablehnend beantwortet hatte, zürnte ihr sogar die Mutter ein wenig.

„Mama,“ sagte verzweifelt die junge Frau, „siehst Du denn nicht ein, daß ich das nicht kann?“

„Ja, ja, es thut ja auch nichts!“ war die leise Antwort gewesen.

Und Lore hatte thatsächlich kein Geld. Das einzige, was sie besaß, war eine kleine Summe, die sie von dem Berliner Geschäft für eine Tischdecke erhalten hatte, ihre letzte Mädchenarbeit. Am Tage vor ihrer Hochzeit war das Geld noch eingetroffen, und es lag in ihrem Schreibtisch bei der Häkelnadel, mit der sie es verdient hatte. Hundertmal schon hatte ihr die Hand gezuckt, es der Mutter zu geben, und immer wieder ließ sie es liegen; es war ihr ein so beruhigendes Gefühl, etwas Geld ihr eigen nennen zu können.

Acht Tage vor Weihnachten erhielt sie den ersten Brief von ihrem Manne, die Dienerin brachte ihn auf silbernem Tellerchen, als die junge Frau frühstückte, und fixirte dabei das erschreckte Gesicht ihrer Herrin, die mit zitternden Fingern das Schreiben nahm. Als das beobachtende Mädchen, das sich ein Weilchen noch im Zimmer zu schaffen machte, gegangen war, legte sie den Brief uneröffnet vor sich hin, und so lag er noch, als Frau Elfriede möglichst geräuschvoll herauf kam, um sich zu erkundigen, was denn ihr Mignon für Nachrichten von dem Gatten empfangen habe. Lore nahm das Schreiben und öffnete es. Es war kein langer Brief, aber so süßlich zärtlich, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. „Er ist glücklich angekommen,“ sagte sie, das Schreiben zusammenfaltend, zur Schwiegermutter, die erwartend in der Fensternische stand.

„Hast Du schon fertig gelesen?“

„Ja! Er läßt grüßen.“ Sie zerpflückte langsam das Papier in lauter kleine Stücke und warf es in die Flammen des Kamins.

„Der gute Junge! Er muß geschrieben haben, als er kaum angekommen war in New-York,“ lobte die Mutter und zerknüllte ihr Taschentuch in der Hand vor Zorn. So wurde der erste Brief behandelt!


Unsere Kaiserin mit ihren Kindern.
Nach einer Photographie von Selle und Kuntze in Potsdam.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_165.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)