Seite:Die Gartenlaube (1889) 170.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Ein schrecklicher Gang, ein trauriger Gang; arme Marie! Und wenn ich wenigstens zum Begräbniß dagewesen wäre!“

Als das Beefsteak kam, war ihm der Appetit vergangen. Er nahm nur ein paar Bissen, trank den Grog, machte Toilette und ging dann nach der Wohnung seines verstorbenen Bruders.

„Das Nest ist noch gerade so,“ murmelte er und sah sich um. „Also dort hinunter geht’s?“

Er hatte sich vom Oberkellner die Richtung zeigen lassen, in der die Wohnung seiner Schwägerin lag, und schlug nun den bezeichneten Weg ein.

Es war noch ungewöhnliches Leben auf den Straßen; ganze Reihen grüner Tannenbäume standen an den Häusern entlang und wurden von alten Mütterchen und vierschrötigen Männern verhandelt. Da der Christabend auf einen Sonnabend fiel, drängten sich die Bauernweiber mit ihren Kiepen, noch eifrig feilschend, in den Straßen umher und erschwerten die Passage auf den schmalen Bürgersteigen. Die Leiterwagen standen in langer Reihe auf dem Fahrdamm, hier und da lenkte bereits ein heimkehrender Bauer sein Gespann durch das Gewimmel.

Der alte Herr beobachtete dies Weihnachtstreiben, als habe er noch nie dergleichen gesehen. „Hm!“ murmelte er unter dem weißen Schnurrbart. „Alles wie damals, als wäre es so stehen geblieben; es sind nun acht Jahre. Damals hatte ich beide Krabben mit mir; warte mal – die Lore war gerade fünfzehn, ist nun ’ne Frau, ’ne junge Frau – und der kleine schwarze Dachs, die Käthe – die – famos!“ entfuhr es ihm plötzlich. Ein elegantes Coupé hielt vor einem Laden, ein betreßter Diener wanderte dort auf und ab. Der alte General war ganz Auge für die prächtigen Rappen. Dabei bemerkte er nicht, wie ein junges Mädchen eilig an ihm vorüberschritt. Erst jetzt, im Weitergehen, sah er den zierlichen dunklen Kopf auf schlankem Halse, über all den bunten Tüchern und den Dickköpfen des Marktgewimmels schweben. Nun bog die graziöse, ganz schwarz gekleidete Gestalt, die dieses Köpfchen trug, aus der Menge, wand sich zwischen Wagen und Menschen über den Fahrdamm und lenkte in die stille Straße, die dort drüben mündete, ein.

Der alte Herr folgte ihr. „Sollte denn so etwas möglich sein?“ sagte er halblaut.

Sie war ihm schon weit voraus; er sah sie da unten in ein Haus verschwinden und faßte gleich darauf einen Westenberger Straßenjungen in Holzpantoffeln am Arm.

„Jung, wo wohnt die Frau Majorin von Tollen?“

Der Bengel wies auf jenes Haus.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehn.
Lapplands Vogelberge.
(Schluß.)


Die Mutter oder Pflegemutter führt die Küchlein zunächst auf solche Stellen, wo die Miesmuscheln bis zum Stande der tiefsten Ebbe hinauf an den Felsen sitzen, pflückt von denselben, so viele sie und ihre Familie bedarf, zerbricht die Gehäuse der kleinsten und legt den Inhalt ihren Kindern vor. Letztere sind vom ersten Tage ihres Lebens an befähigt, zu schwimmen und zu tauchen, trotz ihrer Eltern, übertreffen diese sogar in einer Beziehung, indem sie ungleich gewandter auch auf dem Lande sind und hier mit überraschendem Geschick sich zu bewegen verstehen. Ermüden sie in der Nähe einer Insel, so führt die Alte sie auf dieselbe hinauf, und sie rennen dann wie junge Rebhühner dahin, wissen sich auch auf den ersten Warnungsruf hin durch einfaches Niederdrücken so vortrefflich zu verbergen, daß man sie nur nach längerem Suchen aufzufinden vermag; ermüden sie, wenn sie sich weiter von den Schären entfernt haben, so breitet die Alte ihre Flügel ein wenig und bietet ihnen diese und den Rücken zum Ruhesitze dar. Da sie niemals Mangel leiden, wachsen sie außerordentlich rasch heran und haben schon nach Verlauf von zwei Monaten beinahe die Größe, mindestens alle Fertigkeiten der Mutter erlangt. Nunmehr findet sich auch der Vater bei ihnen ein, um fortan mit der Familie, meist noch mit vielen andern Familien vereinigt, unter Umständen zu Tausenden geschart, den Winter zu verbringen.

Der hohe, von Jahr zu Jahr steigende Preis der unvergleichlichen Dunen erhebt die Eidervögel zu den werthvollsten aller Bergvögel. Tausend Paare Eidervögel gelten für ein Besitzthum, mit welchem gerechnet wird. Auf den meisten Eiderholmen brüten jedoch mindestens drei- bis viertausend Paare, und der glückliche Besitzer noch zahlreicher besuchter Brutstellen erzielt durch die Vögel Einnahmen, um welche ihn mancher Gutsbesitzer Deutschlands beneiden könnte. Außer den Eidervögeln brüten aber auf den Holmen auch noch Austernfischer und Teisten, deren Eier ausgehoben, monatelang zu allerlei Nahrungsmitteln verwendet und auf weithin versendet werden. Zudem salzt man hier und da die Jungen für den Winter ein, und somit bilden die Holme auch ihrerseits Aecker, welche reiche Ernte bringen, dementsprechend unter strenger Aufsicht gehalten und durch besondere Gesetze geschützt werden.

Ebenso eigenartig als fesselnd ist das Schauspiel, welches eine mit Eidern und anderen Seevögeln besetzte Brutinsel gewährt. Eine mehr oder minder dichte Wolke von blendend weißen Möven umhüllt das Eiland. Diese Möven sind es, welche vor allem die Brutholme auf weithin zur Geltung bringen und von anderen genau ebenso aussehenden Schären unterscheiden lassen. Von der übrigen gefiederten Bevölkerung bemerkt man wenig, obwohl sie nach vielen Tausenden zählt. Erst wenn man in einem jener leichten, unübertrefflichen Boote des Landes dem Holme zurudert, ändert sich das Stillleben der Vögel. Einige Austernfischer, welche unmittelbar über der Fluthmarke ihre Nahrung suchten, haben das Boot bemerkt und fliegen ihm eilig entgegen, denn diese Vögel, welche keiner größeren Insel, kaum einer Schäre fehlen, sind die Sicherheits- und Wohlfahrtsbeamten der friedlich vereinigten Bergvögel. Jedes neue, ungewohnte oder ungewöhnliche Ereigniß reizt ihre Wißbegier und bewegt sie, eine genauere Untersuchung anzustellen. So fliegen sie jedem Boote entgegen, umschwärmen es fünf- bis sechsmal in immer enger sich schlingenden Kreisen, schreien dabei ununterbrochen und erregen schon jetzt die Aufmerksamkeit aller übrigen klugen Vögel der Ansiedelung. Sobald sie sich von dem Vorhandensein wirklicher Gefahr überzeugt haben, eilen sie rasch zurück und theilen das Ergebniß ihrer Untersuchungen in warnenden Tönen allen Bergvögeln mit. Einige Möven beschließen nun, ebenfalls durch eigenen Augenschein sich von der Ursache der Störung zu überzeugen. Ihrer fünf bis sechs fliegen dem Boote entgegen, stellen sich in der Luft nach Falkenart auf, stoßen vielleicht jetzt schon kühn auf die Eindringlinge herab und kehren schneller, als sie gekommen, zum Holme zurück. Gerade als ob man ihnen mißtraue, erhebt sich nunmehr die doppelte, drei-, vier-, zehnfache Anzahl, um genau ebenso zu verfahren, wie die ersten Späher thaten. Schon schichtet sich eine aus Vögeln bestehende Wolke über dem Boote. Sie dichtet sich mehr und mehr und wird immer bedrohlicher, da die Vögel nicht allein mit beständig steigender Kühnheit nach den Insassen des Fahrzeuges stoßen, sondern sie auch mit Stoffen begaben, welche Gesicht und Kleidern nicht gerade zum Schmucke gereichen. In der Nähe der Brutinsel steigert sich die Erregung zu scheinbar sinnlosem Wirrwarr, das Geschrei der einzelnen, zu tausendfach wiederholtem, sinnbethörendem Lärm.

Noch ehe das Boot gelandet, sind die zum Besuche ihrer Weibchen zugegen gewesenen männlichen Eidervögel dem Strande zugewatschelt und schwimmen jetzt unter warnendem „Ahua, Ahua“ auf das Meer hinaus. Ihnen folgen Schopfscharben oder Kormorane und Säger, wogegen Austernfischer, Regenpfeifer, Teisten, Eidervögel, Möven und Seeschwalben, sowie die etwa vorhandenen Felsenpieper und Bachstelzen sich nicht entschließen können, das Eiland zu verlassen. Aber die Laufvögel rennen, wie vom bösen Feinde getrieben, zahllos am Strande auf und ab; die Teisten, welche geneigte Felsblöcke rutschend erklommen hatten, ducken sich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_170.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)