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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Blätter und Blüthen.

Hexenschlaf. (Mit Illustration S. 184 und 185.) Die Entwickelungsgeschichte der Menschheit weist einzelne Zeiträume auf, in welchen nicht durch einzelne Länder oder Völker bloß, sondern durch ganze Welttheile ein fremdartiger Zug hindurchweht, wie ein Rausch oder ein Wahnsinn, der die Massen erfaßt hat. Dann greift etwas Unmenschliches oder Uebermenschliches mit unwiderstehlicher Macht in den geregelten Gang der Dinge, verwirrt und betäubt die klare Einsicht, die vernünftigen, einfach menschlichen Triebe und Ziele der Gesammtheit und spielt mit den Geschicken einzelner grausam und herzlos.

Solch eine schauerliche Krankheit der ganzen Kultur war der Hexenglaube und sein Gefolge, die Hexenprozesse. Durch drei Jahrhunderte, vom fünfzehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert herein, zog sich der Irrwahn, daß es Menschen gäbe, die mit dem Teufel in Person Bündnisse schlössen, in Zaubernächten auf Besenstielen nach den Hexentanzplätzen führen und dort unheilige Feste feierten. Und drei Jahrhunderte lang flammten in allen Ländern abendländischer Kultur die Scheiterhaufen, auf welchen die unglücklichen Opfer dieses Irrwahns ein Ende voll Schmerz und Verzweiflung fanden. Wie viele Tausende die Zahl dieser Opfer betrug, weiß die Weltgeschichte nicht, aber die Chronisten verzeichnen, daß auf den Richtstätten einzelner Städte die Brandpfähle wie Wälder dagestanden hätten, und daß während einer fünfjährigen Verfolgung im Stifte Bamberg allein an sechshundert, im Bisthum Würzburg neunhundert Menschen wegen Hexerei hingerichtet worden wären. Man weiß wahrhaftig nicht, worüber man sich heutzutage mehr verwundern soll: über die Gesetzgeber, welche es möglich machten, solche Verfolgungen einzuleiten, über die Richter, welche es übers Herz brachten, mittels der Folter aus ihren armen zitternden Opfern Geständnisse herauszulocken, oder über die Völker, welche die Urtheile und ihre grausame Vollstreckung als gerecht und vernünftig erduldeten. Am unbegreiflichsten aber erscheint es, daß allen der furchtbare und zugleich lächerliche Widerspruch nicht in die Augen sprang, der zwischen der allgemein geglaubten übermenschlichen Macht der Hexen und ihrem jämmerlichen Ende bestand. Man sah nicht ein, daß Personen, die sich nicht vor einem qualvollen Tode durch Henkershand zu schützen vermochten, unmöglich Zauberkräfte besitzen konnten. Aber auch zur Beseitigung dieses Widersinns hatte der Aberglaube ein Mittel bereit.

Man hatte mitunter bemerkt, daß einzelne zum Feuertode verurtheilte Hexen furchtlos den Scheiterhaufen bestiegen und anscheinend völlig gefühllos oder in einem Zustande ekstatischer Verzückung den Flammentod erlitten. „Hexenschlaf“ nannte man diesen Zustand und glaubte, derselbe sei ein Geschenk des Teufels an seine Verbündeten.

Es wird für alle Zeit ein Räthsel bleiben, wie es sich in Wahrheit mit diesem Hexenschlafe verhielt. Die Quellen über ihn sind getrübt von finsterem Aberglauben und die letzten Seufzer der Opfer dieses Aberglaubens wurden von Rauch und Flammen erstickt. Ob es natürlicher Heldenmuth oder stumpfsinnige Verzweiflung, ob es ein hypnotischer Zustand oder eine eigenthümliche Krankheit des Geistes und der Sinne oder eine durch narkotische Mittel herbeigeführte Gefühllosigkeit war, was den Verurtheilten die Fähigkeit gab, angesichts der um sie her auszüngelnden Flammen zu lächeln: unsere Zeit wird es nicht mehr erklären können.

Der Künstler aber, dessen Bild wir heute mittheilen, hat es in meisterhafter Weise verstanden, uns den seltsamen Zustand des „Hexenschlafes“ vor Augen zu führen. Das jugendliche Opfer mittelalterlicher Verblendung, das da an den Brandpfahl gefesselt ist, empfindet keinen Schmerz und wird keinen empfinden, bis es hinübergegangen ist. Die Augen dieses Mädchens schauen in eine andere Welt; aber nicht in die Welt des Teufels. Was ihr die Kraft giebt, so zu sterben – ist’s jene Begeisterung, die einst die Märtyrer im römischen Cirkus beseelte? Oder ist’s die warme Hand des Freundes, der verstohlen ihr Handgelenk umfaßt hält, daß in der letzten bangen Minute noch eine feine Nervenströmung in ihr Wesen hinüberfluthet und sie den Schmerz vergessen läßt, der um ihre Füße zuckt?

Professor Albert Keller, der Schöpfer dieses Bildes, welches der letzten Münchener internationalen Kunstausstellung zur Zierde gereichte, hat mit demselben einen neuen Beweis seiner Vielseitigkeit gegeben. Ein Schüler des leider zu früh verstorbenen Professors v. Ramberg und unter den angenehmsten Verhältnissen zu München lebend, hat sich Keller zuerst durch Genrebilder aus der eleganten Gesellschaft, dann auch durch seine Damenporträts einen Namen geschaffen. Das vorliegende Bild, wie mehrere, die ihm vorangingen, zeigen aber, daß der Künstler, was wir ihm hoch anrechnen, sich keineswegs darauf beschränken will, ein einmal erobertes Gebiet bloß festzuhalten, sondern daß ihm auch daran gelegen ist, den Kreis seiner künstlerischen Ideen stets zu erweitern. M. H.

An den Fabeldichter Wilhelm Hey erinnert der 26. März dieses Jahres, der hundertjährige Geburtstag des Kinderfreundes, dessen „50 Fabeln“ und „Noch 50 Fabeln“ seit mehr als einem halben Jahrhundert in jedem deutschen Hause bekannt und heimisch sind, ein unübertrefflicher Schatz für Herz und Gemüth unserer Jugend. Hey war Theologe, lange Zeit Pfarrer in Töttelstedt, später Hofprediger in Gotha und endlich Superintendent in Ichtershausen, wo er am 19. Mai 1854 starb. Seine theologischen Schriften erwarben ihm in den Kreisen der Amtsgenossen einen verdienten Ruf, ohne daß sie deshalb in weitere Kreise eindrangen; aber die Fabeln, von Otto Speckters Meisterhand illustrirt, trugen seinen Namen schnell in alle Winde. Es ist schwer zu sagen, in wie vielen Exemplaren die Fabeln heute verbreitet sind; „es werden jedenfalls,“ schreibt der Verleger derselben, Friedrich Andreas Perthes in Gotha, mit dessen Familie Hey aufs innigste befreundet war, „anderthalb bis zwei Millionen sein. Von den hauptsächlichsten Ausgaben werden jedes Jahr ein bis zwei Neudrucke veranstaltet, aber eine Auflage ist nie angegeben worden.“ Zahllose Nachahmungen der Heyschen Fabeln haben die meisterhaften Vorbilder weder erreichen noch verdrängen können und wenn auch für den Dichter in den meisten Literaturgeschichten kaum ein Platz von wenigen Zeilen übrig ist, seine Dichtungen selbst sorgen dafür, seinem Namen den gebührenden Ehrenplatz dauernd zu sichern. Die Fabeln prägen sich dem Gedächtniß geweckter Kinder geradezu unauslöschlich ein und mit der heranwachsenden Jugend wächst der Dichter in jede neue Generation hinein.

Eine eingehende Biographie Heys besitzen wir von Theodor Hansen (Gotha, F. A. Perthes), eine weniger umfassende von J. Bonnet (ebenda). Beide machen uns mit dem Wesen des Dichters und seiner Werke, theils nach seinen eigenen Briefen, theils nach Mittheilungen von Freundeshand, vertraut. Aber beide lassen eines vermissen, was wir gern in ihnen gefunden hätten: ein Bildniß des Dichters. Es ist keines vorhanden. Der allzu bescheidene Hey verweigerte es standhaft, irgend ein Porträt von sich anfertigen zu lassen. Eine von Freundeshand heimlich ausgeführte Zeichnung wanderte vor dessen Augen in den Ofen. **

Bilderräthsel.

Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 181. – Wie erkennen und verbessern wir schlechte Zimmerluft? Von Professor Dr. A. Wolpert. II. Der richtige Feuchtigkeitsgehalt der Zimmerluft und Feuchtigkeitsprüfer alter und neuer Zeit. S. 186. Mit Abbildungen. S. 188. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Der Rettungsball. Mit Illustration S. 189. – Der Sänger der „Bezauberten Rose“. Von Gustav Karpeles. S. 189. – Durch Neu-Mexiko. Von Rudolf Cronau. S. 192. Mit Illustrationen S. 181, 192 und 193. – In den Wolken. Eine Waldgeschichte von Heinrich Noé (Schluß). S. 195. – Blätter und Blüthen: Hexenschlaf. S. 200. Mit Illustration S. 184 und 185. – Der Fabeldichter Wilhelm Hey. S. 200. – Bilderräthsel S. 200.


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonennten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen Reichspostamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).

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Die Verlagshandlung.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_200.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)