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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 13.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Im Boudoir brannte die rosa verschleierte Lampe. Die beiden Frauen standen sich dort gegenüber. Lore groß, stolz, mit vornehmer Ruhe, erwartend, was sie erfahren sollte. Die andere, das Kind an der Hand, den Kopf gesenkt wie betäubt von einem rohen Schlage.

„Mit wem habe ich das Vergnügen?“ fragte Lore und wies auf einen Stuhl.

Die Fremde, unfähig, länger zu stehen, sank darauf nieder und zog das Kind an sich. „Ich bin – Verzeihung, wenn ich Sie tödlich verletze – ich bin Adalberts – ich bin seine Frau und dies ist sein Sohn.“ Anfänglich leise sprechend, schrie sie das Letzte fast und schlug verzweifelt die Hände vor das Gesicht.

„Ich bitte Sie,“ sprach Lore kalt und laut, „legitimiren Sie sich, ich kann mir nicht denken, daß man es gewagt hätte, mir – mir –“

Die Fremde nestelte an ihrem Täschchen und übergab Lore einige Papiere. „Hier der Trauschein und der Taufschein des Kindes, in der St. George Church in New-York wurden wir getraut eines Sonntags, Madame. Ich kam hierher, um ihn an die Pflicht des Vaters zu erinnern. – Er giebt mir, seitdem er mich das letzte Mal verließ – es war vor anderthalb Jahren, er hatte zuletzt noch einen Streit vom Zaune gebrochen – keinen Pfennig mehr zum Lebensunterhalt; alle Briefe, die ich ihm schrieb, blieben unbeantwortet. Wäre ich allein – nie, nie hätte ich diesen Schritt unternommen, aber des Kindes Ansprüche – ich darf nicht dulden, daß es lebt mit einem Makel. – Ach, Madame, ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen –“

Lores Augen waren indessen auf dem Papier umhergeirrt – Ellen Smith aus Washington mit Mister Adalbert Becker, New-York – flirrte es vor ihren Blicken. „Ich vermag es nicht zu beurtheilen,“ stotterte sie, indem eine brennende Röthe ihr Antlitz färbte, „entschuldigen Sie einen Augenblick –.“

Sie ging in den anstoßenden Salon, klingelte und befahl dem Mädchen, den Herrn General heraufzubitten. Es drehte sich alles mit ihr. Was sie empfand, sie hätte es nicht zu sagen vermocht; es war ein Chaos widersprechendster Empfindungen. Klar rang sich nur eines los und flammte strahlend auf in ihrem armen verdüsterten Gemüth, die Hoffnung auf Freiheit, wenn jene die Wahrheit sprach.

Sie schritt wie im Fieber auf und ab. Besorgt trat der General ein.

„Onkel,“ rief sie ihm entgegen, „da drinnen sitzt eine Frau, die behauptet, sie sei die rechtmäßige Gattin Beckers! Geh hinein, und wenn sie die Wahrheit spricht, dann, Onkel, dann –“

Der alte Herr wußte nicht, wie ihm geschah, er glaubte eine Kranke vor sich zu sehen. „Aber Lore,“ sagte er milde und zog die Bebende an sich, „aber Lore, was fällt Dir ein, Kind?“

„Onkel, wenn sie die Wahrheit spricht,“ begann


Ein stolzes Fahrzeug. Nach einem Gemälde von K. Raupp.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_201.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)