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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Pilatusbahn konnte nicht wie andere Bahnen an verschiedenen Stellen zugleich in Angriff genommen werden, nur von einem Punkte aus war ein Vorrücken möglich; denn Wege zur Beförderung des Materials waren nicht vorhanden. Erst wurde eine kurze Strecke fertiggestellt; war sie betriebsfähig, so hatte sie ohne Verzug in Dienst zu treten und die Beförderung des Baumaterials zu übernehmen. Man war aber dessenungeachtet, gerade dieser anzusetzenden Theilstücke wegen, stets auch noch auf andere Hilfe, auf die vereinte Kraft der Arbeiter und auf den Dienst von Maulthieren angewiesen. Steine und Platten, Sand, Cement, Wasser, Eisentheile mußten von den Materialwagen umgeladen und an die Baustelle verbracht werden. Dabei bewährten sich die Maulthiere auf den wilden Höhen, den schwierigen Wegen, in Wind und Wetter vorzüglich; sie wären durch Pferde nicht zu ersetzen gewesen. Die gewaltigen Tessiner Steinplatten wurden auf einem vorläufig angelegten transportabeln Gerüst an starken Tauen, an die sich dreißig, vierzig Arbeiter spannten, vom Wagen aus bergwärts gezogen und an ihre Stelle versetzt.

Unter dem Personal der Arbeiter, meistens italienischen Ursprungs, herrschte während der Bauzeit beinahe durchweg eine heitere, arbeitsfreudige Stimmung, denn die Unternehmer thaten, was Obdach, Verpflegung, Krankenfürsorge anlangt, alles, was in ihren Kräften stand. Bei gutem Lohn wurden den Arbeitern zu billigen Preisen Fleisch, Teigwaaren, Brot, Milch, Kaffee, Bier, alles in guter Beschaffenheit, verabfolgt. Als ich einen der Arbeiter über die Art der Behandlung und Verpflegung befragte, antwortete er sehr befriedigt: „Purchè la montagna fosse alta il doppio“, wenn der Berg nur noch einmal so hoch wäre! Höchst malerisch nahmen sich auf den Höhen droben die Siesta haltenden Arbeitergruppen aus. Die Leute scherzten, sangen, rauchten, und flach auf dem Rücken liegend, ließen sie sich nach italienischer Art an schönen Tagen von der Sonne bescheinen. Die Ingenieure hatten je auf der Arbeitsstation ihre Küchenhütte, die immer reichlich versorgt war und, wie die Arbeiterbaracken, beim Vorrücken des Baues bergwärts weiterbefördert wurde.

Schon früh im Herbste mußte auf die Arbeit im Freien verzichtet werden; nur in den Tunnels wurde sie fortgesetzt. Es bedurfte ausnahmsweise zäher Naturen, um es den Winter über droben in einer Höhe von 1800 bis 2000 Metern auszuhalten. War auch für Unterkunft und Nahrung und für die Verbindung mit der übrigen Welt vorzüglich gesorgt, der Fall einer längeren Unterbrechung des Verkehrs mit dem Thale konnte doch eintreten, und für diese Möglichkeit war die „eiserne Ration“ vorhanden: Zwieback, Käse, Büchsenfleisch, Chokolade, Thee und Medikamente, alles in wohlverwahrtem Verschlusse, der nur in der äußersten Noth geöffnet werden durfte.

Hohe Freude, wahrer Stolz sprach aus den Mienen der wackeren Arbeiter, wenn man über das große Werk staunte und sich in Lobsprüchen darüber erging. Als am 17. August vorigen Jahres der erste Personenzug zu Berge fuhr und den Verwaltungsrath zu einer Sitzung auf den Pilatus brachte, da war lauter Jubel unter ihnen. Bis spät in die Nacht hinein ertönte ihre Musik, ein Horn, eine Klarinette und eine Handharmonika, und als ein heftiges Gewitter tief unter der Pilatushöhe losgebrochen war und in rascher Folge die Blitze herauffuhren und flammend die Felskuppen erleuchteten, brannten die Leute ein Feuerwerk los, dessen Raketen sich in dem nächtlichen Gewitter und angesichts der gewaltigen Alpennatur fadenscheinig genug ausnahmen; allein die Befriedigung über das Erreichte wollte ihren Ausdruck haben.

Trotz der Vollendung der Bahn wimmelt es auf den Pilatushöhen immer noch von emsigen Arbeitern, und zu bestimmten Stunden des Tages donnert es laut durch die Berge von Dynamitschüssen, welche die Felsen sprengen, um Platz zu schaffen für das neue Hotel, das, ein gewaltiger Bau, hart am „Oberhaupt“ an den Berg sich lehnen wird und, nach Morgen und Mittag ausschauend, geschützt ist vor den Stürmen aus Nord und Nordwest. Weiterhin wird längs des „Tomlishorngrates“ ein Weg in den senkrecht aufstrebenden Fels gesprengt, der über einem Absturze von zweihundert und mehr Metern nach dem „Tomlishorn“, dem höchsten Pilatusgipfel, führen wird, wohl der wunderbarste Spazierweg Europas, der Ausblicke von einer Erhabenheit sondergleichen bieten wird.

Es ist nicht zu zweifeln, die Pilatusbahn wird nach ihrer Eröffnung einen der mächtigsten Anziehungspunkte für die Touristenwelt bilden. J. Hardmeyer.




„Mein Vater lebt noch!“

Mein Vater lebt noch!“ – O welch köstlich Wort,
Und Heil! Heil dir, darfst du es freudig sagen!
Du hast auf Erden keinen treuern Hort
In froher Zeit wie in des Unglücks Tagen!
Der oft in Krankheitsnoth mit Angst und Bangen
Um dich, um seines Kindes Wohl gebebt:
Mit ganzem Herzen sollst du an ihm hangen,
O Glücklicher, dem noch ein Vater lebt!

Und wenn du ihn beleidigt und gekränkt,
Ja, wenn du nur ein einzig Mal im Leben
Den Zorn des Vaters auf dein Haupt gelenkt,
So ruhe nicht, bis er dir ganz vergeben!
Leicht ist’s, von ihm Vergebung zu erlangen,
Wenn reuevoll die Liebe danach strebt:
Mit ganzem Herzen sollst du an ihm hangen,
O Glücklicher, dem noch ein Vater lebt!

Für dich hat er gemüh’t sich Tag und Nacht,
Dir stand sein Herz zu jeder Stunde offen,
Und jedes Opfer hätt’ er dir gebracht,
Dein Glück war seines Lebens schönstes Hoffen!
Oft küsse heiß des Vaters liebe Wangen,
Es naht die Zeit, da man ihn still begräbt:
Mit ganzem Herzen sollst du an ihm hangen,
O Glücklicher, dem noch ein Vater lebt!

Hermann Köhler.




Auf der Hallig.

Von Helene Pichler.

Mutter, Mutter, die See brüllt doch! Ich höre, wie sie näher kommt, immer näher.“

„Sei ruhig, Tochter! Dein Kopf ist ’n bißchen heiß; darinnen schmerzt’s. Du mußt still liegen und ’n Trunk Wasser nehmen, dann wird’s besser. So – das thut gut! Hübsch kühl, nicht wahr? Ja, wir haben auf unserer Hallig das beste Wasser, viel besser, als sie’s drüben auf Pellworm haben. Nun guck’ ich noch mal nach unseren Jungens, ach die schlafen ganz prächtig; ’s sind doch ’n paar stramme Kerle und hübsch wie die dicken Engel in der Kirche von Tönning. Hast Du die mal gesehen, Beta? Nicht? Schadet nichts, unsere Kinder sind noch hübscher. Wie wird Arnt sich über die volle Wiege freuen! Nun schlaf’, Beta, und ich will ’s Schwatzen lassen.“

Beide schwiegen. Die Alte ging hinaus und kehrte bald zurück mit einer Schürze voll brauner Torfstücke, die sie zum größten Theil in das enge Thürchen des mächtigen, ein Drittel des ganzen Gemaches einnehmenden Lehmofens zwängte; den Rest legte sie daneben zum späteren Nachheizen. Dann guckte das alte, gute Gesicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_208.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)