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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Berechnungen einige Erdbebencentra eintragen – aber wir sind damit an der Grenze unseres Wissens angelangt und wir können nur vermuthen, daß tiefer unten im Erdinnern eine Zone des Schmelzflüssigen vorhanden ist und daß unter ihr in Tiefen, die auf unserer Tafel nichtmehr zu sehen sind, der Eisenkern der Erdkugel sich befindet. Unsere Skizze ist in Anbetracht des Raummangels und der wenigen willkürlich gewählten Eintragungen nur eine äußerst schwache Nachahmung eines wirklichen Erdprofils, und doch wirkt sie bereits in ihrer Einfachheit und Dürftigkeit in vielfacher Beziehung anregend.

Schematische Darstellung des Erdprofils.

Wenn wir aber anstatt dieser Skizze eine wirkliche Zeichnung des Erdprofils ausführen würden, wenn wir die Erde so mitten durchgeschnitten durch die beiden Pole und die Kaiserstadt Berlin uns dächten und dann auf diesem Durchschnitt alles das von Forschungsergebnissen eintragen würden, was der Fleiß der Gelehrten seit Jahrhunderten zusammengetragen hat, müßte nicht eine solche Abbildung des Erdprofils lehrreich im höchsten Grade sein? Eine solche Zeichnung würde gewiß ein förmliches Buch bilden, in dem wir Stunden und Tage lang studiren könnten und aus dem wir eine wirkliche Anschauung von der Größe und dem Bau der Erde erhalten müßten. Nun, eine solche Zeichnung bietet uns eben „Das Erdprofil“ von Ferdinand Lingg. Es umfaßt allerdings nicht den Durchschnitt der ganzen Erde Nordpol bis zum Südpol; denn was hätte wohl Ferdinand Lingg als Erdprofil am Nordpol oder mitten im „dunklen Welttheil“ eintragen können? Doch nur Vermuthungen, denn wir kennen noch so wenig von dem Planeten, auf dem wir wohnen, und nur einen sehr, sehr geringen Theil desselben haben wir wirklich wissenschaftlich erforscht.

Darum mußte sich Lingg Beschränkung auferlegen und giebt uns nur das Erdprofil der Zone von 31° bis 65° n. Br. und zwar in einer Linie, die von Drontheim in Norwegen über Berlin bis nach Tripolis reicht. Dieses Erdprofil bezieht sich aber gerade auf einen der bestdurchforschten Theile unserer Erde und giebt uns darum wahre Thatsachen. Wie in dem geplanten Pariser Globus sind auch hier die Maßverhältnisse derart, daß 1 mm der Zeichnung 1 km der Wirklichkeit entspricht.

Auf diesem Erdprofil ist nun eine überaus große Zahl von wichtigen Thatsachen eingetragen, welche sich auf den Bau der Mutter Erde und ihre atmosphärische Hülle beziehen.

Jeder Naturfreund, nicht nur der Fachmann, wird diese eigenartige Leistung mit Freuden begrüßen und aus ihr die überraschendste Belehrung schöpfen können. Für denjenigen, der mit den Elementen der Erdkunde bereits vertraut ist, ist das „Erdprofil“ Linggs ein ausgezeichnetes Selbstbildungsmittel, welches ihn aufs nachhaltigste zu weiteren Studien anregen wird. *

Eine seltene Geburtstagsfeier. Deutschland ist in unsern Tagen das Land der wunderbaren Greise, auf welche das Bibelwort: „Des Menschen Leben währt siebzig Jahre“ keine Anwendung zu haben scheint. Bis weit über diese Grenze standen Kaiser Wilhelm und der Historiker Ranke in voller Thätigkeit, stehen heute noch Moltke und Bismarck, ihnen gesellt sich als Nestor der hochgefeierte Gelehrte Professor v. Döllinger, der vor kurzem in voller Rüstigkeit und Geistesfrische den neunzigsten Geburtstag feierte. Wer seine schlanke, kaum etwas gebückte Figur in schnellem Schritt über die Straße gehen sieht, wird ein so hohes Alter nicht für möglich halten. Döllinger macht seinen täglichen Spaziergang von zwei Stunden in jedem Wetter, arbeitet auf der Bibliothek und an seinem Schreibtisch, wie jeder jüngere Gelehrte, und hält jährlich zweimal seine großen Reden als Präsident der Akademie, wobei der Neunzigjährige, anderthalb Stunden vor dem Pulte stehend, mit klarer, durch den ganzen Saal vernehmbarer Stimme spricht, während sein Haupt, wenn auch nicht mehr ohne Silberfäden, wie noch vor wenig Jahren, doch noch entschieden braun über die weißen Häupter der viel Jüngeren im Kreise emporragt. Selbst diejenige Altersspur, die sonst die rüstigsten Greise ertragen müssen, ist ihm erspart: sein Gedächtniß blieb unverändert in jugendlicher Frische, und der Mann, welcher aus persönlicher Anschauung über Napoleon I. sprechen kann, er erinnert sich zugleich jedes Namens und jeder Jahreszahl der Weltgeschichte mit einer erstaunlichen Schärfe und Klarheit. Die in zahlloser Fülle von allen Seiten beiströmenden Huldigungen zu seinem neunzigsten Geburtstag haben gezeigt, daß Deutschland die hohe Bedeutung des Gefeierten voll erkennt, dessen erstaunliche Frische ihm alle Anwartschaft auf die Centenarfeier im Jahre 99 giebt. Br.

Papa und Mama. „Ich bin eine deutsche Frau, nenne mich Mutter, mein Kind!“ So hörte ich einmal eine Mutter gegen das Wörtchen „Mama“ eifern. Als ob „Mama“ und „Papa“ Fremdwörter wären! Was sagt die Forschung dazu? Einige Gelehrten leiten den Ursprung der ersten Worte, mit denen wir unsere Eltern bezeichnen, vom Sanskrit ab. Das Wort „Mutter“ (im Sanskrit matâ) wird von ihnen auf eine Wurzel „ma“, die „bilden“ bedeutet, zurückgeführt, so daß Mama soviel wie die Bildnerin des Kindes heißen würde. Der andere Laut „Papa“ wird mit der Wurzel „pa“ = beschützen, unterhalten, ernähren in Verbindung gebracht. Wie interessant auch diese Ausführungen sind, so werden sie doch nicht allgemein anerkannt; denn nicht nur die Völker des indogermanischen Stammes bezeichnen ihre Eltern mit „Papa“ und „Mama“, sondern man findet diesen Brauch bei fast allen Völkern der Erde. „Mama“, „Imama“, „Himama“, „Pa“, „Baba“ und „Papa“ rufen die Negerkinder; „Amama“ und „Ababa“ heißen die Eltern bei den Eskimos der Hudsonsbai etc. Aus diesem Grunde dürfte die physiologische Erklärung der beiden Wörter zutreffender sein als die sprachgeschichtliche.

Die Physiologie, die sich in den letzten Jahrzehnten vielfach mit der Beobachtung der ersten Entwickelung des Kindes beschäftigt hat, weist nach, daß bei fast allen Kindern unter den Selbstlautern zuerst a, von den Mitlautern dagegen zuerst b, p und m von dem Kinde gebildet werden, so daß die Silben ba, pa und ma als Lallworte des Kindes gelten müssen. „Das lallende Kind,“ schreibt H. Ploß, „hat verschiedene Stufen des Sprachverständnisses zu ersteigen; denn es muß zunächst die Erfahrung erwerben, daß bei ma- oder ba-Uebungen entweder die Eltern herbeikommen oder den gegenwärtigen Freude bereitet wird. Dann erst wird der Laut von dem Kinde absichtsvoll geäußert; aber erst viel später und nicht ohne entgegenkommende Bemühung der Eltern gelingt es endlich, daß der eine Laut für den Vater, der andere für die Mutter als Lockruf angewendet wird. Monate, ja Jahre verstreichen, ehe hierauf die Erkenntniß durchbricht, daß ‚Mama‘ und ‚Papa‘ nicht Eigennamen sind, sondern für die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_219.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)