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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

kraftvolles Gesicht. Seit der Zeit, daß er und Alfred von Haumond einige Semester zusammen studiert hatten, liebte er ihn mit einem ihm selbst unerklärlichen, zärtlichen Mitleid.

Alfred fühlte den Blick des neben ihm Sitzenden. Er streckte ihm die Hand hin und nickte ihm dankbar zu.

„Mach Dir keine Gedanken meinetwegen. Du weißt, ich habe einmal nicht das Temperament zum Glücklichsein,“ sagte er lachend.

Es war noch immer das kindliche und liebenswürdige Lachen, das Marbod schon früher so an ihm geliebt; ein Lachen, mit welchem er die Sorgen, den Zorn und die Ungeduld zu entwaffnen pflegte; ein Lachen, welches sein von vielen und vorzeitigen Spuren seelischer Erregungen gezeichnetes Angesicht zu bestrickender Jugendschöne verklärte.

Marbod schüttelte den Kopf, mißbilligend, ärgerlich. Jedoch er sprach nichts weiter, er wußte, daß alle Fragen ihm nicht beantwortet würden, aber daß, in der rechten Stunde dazu, der Freund ihm sein Herz eröffnen werde.

Ihr Wagen gerieth allmählich in eine ganze Reihe anderer hinein, und Alfred hatte jetzt dieselbe Ungeduld wie vorher bei ihrem Gange unter langsam schlendernden Menschen. Alle Welt entrann der heißen Stadt und strebte dem kühlen Garten zu, wo Natur und Leben in jenem den Großstädtern gewohnten Gemisch genossen werden konnten. Alfred sagte. „Wir wollen aussteigen“ und verließ den Wagen so schnell, daß der andere über ihn lächelte wie über ein launenhaftes Kind.

„Siehst Du, das sind unsere Freuden: ein paar grüne Bäume, ein bißchen Musik, viel geputzte Menschen, umherrennende Kellner mit überlaufenden Bierseideln, zuweilen ein fernes Löwengebrüll, der Schrei eines Affen, Thiergeruch, und über dem allem der erblassende Abendhimmel. Ein Gemisch von Salon-, Wüsten- und Waldstimmung. Wo ist da Harmonie? Wenn Du wüßtest, wie ich nach Harmonie lechze!“

Zu diesem Erguß seines Freundes sagte Marbod Steinweber verwundert. „Ja, warum suchst Du sie denn nicht in der Stille und Schönheit Deines Landsitzes? Wenn ich solche Scholle mein nennte, hielte mich nichts in der Stadt.“

„Du sprichst wie der Taube von Musik. die Noten kannst Du lesen, aber dem Klange ist Dein Ohr verschlossen. Was ist diese Scholle? Ein Landgut, das ich bebauen kann? Nein, die kleinen Acker- und Wiesenstreifen, die dazu gehören, ernähren kaum das Pferd und die Kuh meines Verwalters. Eine herrschaftliche Villa? Nein, es fehlt der Park, es fehlt die Dienerschaft, die Equipage, der große Stil. Es war eine sonderbare Idee von meinem einsiedlerischen Vater, sich an einem der theuersten Plätze Deutschlands in so unpraktischer Weise anzukaufen und damit den dritten Theil meines kleinen Vermögens in vollkommen nutzloser Weise todt hinzulegen. Jedes Jahr, wenn ich da in meinem Landhäuschen den Herbst verbringe, erkenne ich von neuem, daß ich für diese thatenlose Einsamkeit nicht passe. Ich brauche Menschen, Menschen. Ein Weib!“

„So heirathe doch! Mit einem Weibe wird Dir die kleine Villa an dem Schwarzwald ein Paradies sein, und brauchst Du dann doch noch Menschen, hast Du Baden-Baden ja nahe genug,“ rieth Marbod herzlich.

„Heirathe! Wie Du das so einfach sagst! Ich weiß ein Weib, – eines – aber sprechen wir nicht davon! Sieh dort, unser alter Verbindungsbruder Ludolf Ravenswann mit seiner Frau. Wollen wir sie begrüßen? Ich verkehre ein wenig bei ihnen, obgleich es mir sozusagen gegen den Strich geht, denn Ravenswann ist mir nicht lieb und die Frau haßt mich, während sie mir entsetzlich ist,“ sagte Alfred, indem er den Freund am Arm festhielt und mit dem Stock auf einen fernen Tisch hindeutete, den Marbod natürlich nicht sogleich aus dem Gewirr von sitzenden Menschen herausfinden konnte.

„Wie, Ravenswann hat geheirathet? Das wird eine sehr wichtige und umständliche Sache für ihn gewesen sein, zu entscheiden, welches Mädchen er mit seiner Person beglücken solle,“ lachte Marbod. Sie waren unter einem Baume zwischen dem Musiktempel und dem Restaurationshause stehen geblieben, und Marbod setzte sich den Kneifer auf, um den Besprochenen zu suchen.

„Aber er hat wie immer das Praktischste gethan. Er hat eine schwer reiche Hansestädterin genommen, ich weiß nicht, ob aus Hamburg, Lübeck oder Bremen. Sie kocht vorzüglich, sage ich Dir, ist groß, schön gewachsen, vielleicht ein bißchen platt in der Taille, hat einen rosigen Teint und auf den Wangen einige Aederchen, die auf spätere Kupferröthe hindeuten, ist immer so glatt gekämmt, als tauche sie den Kamm in Oel oder Wasser, und trägt stets ein großkarrirtes braun-gelbes Kleid, eine Spitzenrüsche am Hals und diese mit einer großen Gemme geschlossen. Philosophische Gespräche dürfen in ihrer Gegenwart nicht geführt werden, und übrigens heißt sie Mietze.“

Steinweber lachte.

„Du bist noch immer boshaft, merke ich. Aber da entdecke ich sie, – in einem hast Du unrecht, sie hat ein helles Kleid an.“

Ernsthaft versicherte Alfred:

„Komm, sieh selbst; Du irrst Dich. Es ist gewiß gelb und braun karrirt. Es kann gar nicht anders sein. So habe ich sie zuerst gesehen und sehe sie ewig vor mir.“

Sie wanden sich durch die Menschen und Stühle und näherten sich dem Tisch, wo die von Alfred beschriebene Dame neben einem großen, mageren, blondbärtigen Manne saß. Er trug eine Brille und hatte ein ernstes, fast sorgenvolles Gesicht.

„Die Grazien standen nicht an seiner Wiege,“ murmelte Alfred noch und hob dann seine Stimme zu lauter Begrüßung.

„Meine gnädigste Frau, lieber Ravenswann, hier bringe ich einen lieben Menschen, der von nun an der unserige werden will,“ sagte er, indem er Marbod auf die Schulter schlug.

Ravenswann erhob sich, über sein trockenes Gesicht flog ein Schimmer wirklicher Freude, der Sonnenschein der Erinnerung an einstigen Jugendübermuth. Er schüttelte Marbod die Hand und stellte ihn seiner Frau vor, eine Handlung, welche Alfred mit einer ganz ernsthaften Erläuterung begleitete:

„Doktor Steinweber ist als Rechtskonsulent bei der großen Lebensversicherungsgesellschaft Borussia mit einem Gehalt von zehntausend Mark angestellt. Aber er hat nebstbei, gleich mir, die üble Angewohnheit, die Erscheinungen des modernen Lebens in Feuilletons, Novellen und Aufsätzen zu glossiren, ein Beweis von Leichtsinn, meine gnädigste Frau, der ihn in Ihren Augen verdächtig machen kann, aber den Sie ihm vielleicht um seiner erst erwähnten beruhigenden Eigenschaft willen verzeihen.“

Frau Marie Ravenswann lächelte ein wenig, halb höflich, halb unbehaglich. Sie konnte der Wortgewandtheit Alfreds mit ihren erfassenden Gedanken nie schnell genug folgen, um sich gleich klar zu werden, ob er spotte oder verbindlich sei. Als sie einmal ihrem Gatten klagte, daß sein Freund sich über sie zu belustigen scheine, sagte dieser abwehrend und voll Würde. „Das wird er sich meiner Frau gegenüber nie erlauben.“

Man setzte sich und Steinweber sah seine Jugendgenossen aufmerksam an.

„Wie sehr Ihr Euch verändert habt, trotz der hundert kleinen vertrauten Züge, insbesondere in Alfreds Gesicht und Wesen! Und wie wenig muß in mir vorgegangen sein, denn soweit man über sich selbst urtheilen kann, bin ich noch ganz derselbe,“ sagte er.

„Sehr natürlich, mein Alter,“ antwortete Alfred heiter, „Du bist wie ein stolzes edles Roß Deinen ruhigen Gang vorwärts geschritten, und wenn Dir Hindernisse kamen, hast Du sie im sicheren Sprung genommen. Ravenswann dagegen wühlt wie ein Maulwurf in seiner Berufsarbeit weiter – da flieht das Licht von Stirn und Augen; und ich, nun ich bin wie ein Spatz auf dem Wege, ducke mich im Regen, lärme vergnügt im Sonnenschein und bin ein vollkommen nutzloses Individuum.“

Marbod lachte und Ravenswann mußte wenigstens seine Mundwinkel ein wenig in die Höhe ziehen.

Frau Ravenswann aber sagte gereizt: „Das geht denn doch über den S-paß, daß Sie meinen Mann mit einem Maulwurf vergleichen.“

„Aber Mietze!“ beschwichtigte sie der Gatte, dem sie oft genug die Schwäche vorgeworfen, daß er sich von Alfred von Haumond alles gefallen lasse.

„Nein, das s-teht ihm nicht an,“ beharrte sie ärgerlich.

„Womit kann ich Sie versöhnen?“ fragte Alfred und sah sie mit einem Ausdruck fast zärtlicher Neckerei an. Er hatte immer eine liebevolle Aufwallung für diejenigen, denen er eine von ihm verursachte Kränkung ansah. Und eigentlich gegen ihren Willen fühlte Frau Marie sich stets durch diesen Ton besänftigt.

Marbod begann nach alten Genossen zu fragen, die er durch einen mehrjährigen Aufenthalt im Ausland aus dem Blick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_222.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)