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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Doch zurück zu unserer bescheidenen „Bude“! Wird sie, im räumlichen und künstlerischen Betracht, gar zu klein, so heißt sie, wie männiglich bekannt, eine „Schmiere“, und das „Brettel“ schrumpft dann zum „Nudelbrett“ zusammen. Mit dem „Meerschweinchen“ wird dann die Reihe der Bezeichnungen für kleine und Wander-Bühnen geschlossen. Was unbedeutender sei, die Schmiere, das schmale Nudelbrett oder das winzige Meerschweinchen, ist schwer zu entscheiden. So viel steht fest, daß die zwei letzteren noch verhältnißmäßig „anständige Verhältnisse“ sein können, wogegen der Schmiere stets der im Worte liegende üble Begriff anhaftet. So wird denn auch manches größere Theater, bei dem etwas faul im Staate Dänemark ist, Schmiere oder auch „höhere Kunstschmiere“ genannt, und auch der schlechte, nicht nur der kleine Schauspieler heißt „Schmieren-Komödiant“.

Der echte und rechte Schmieren-Komödiant, das heißt der schlechte Wandermime, ist sehr stolz, sieht zwar mit großem Neid zur Gage seiner Hoftheaterkollegen hinauf, doch mit noch größerer Verachtung auf ihre Kunstleistungen hinab. Dort wird „auch nur mit Wasser gekocht,“ sagt er wegwerfend und tröstet sich leicht mit diesem unbestreitbaren Grundsatz.

Der Kochkunst entlehnt ist auch die Benennung „alter Schmarr’n“ für ein Ritterstück oder sonstige urzeitliche Dichtung von zweifelhaftem litterarischen Werthe. Der erfahrene „Schmierenhäuptling“ weiß übrigens sehr gut, daß er im kleinen Städtchen mit einem solchen „alten Schinken“, wenn es nur ein gehöriger „Reißer“ ist, eine fettere Benefizeinnahme ergaukeln kann als mit einem meist mißtrauisch angesehenen neuen Stück; giebt es doch selbst große Städte, in welchen das Publikum den Erfolg einer „Novität“ erst vorsichtig abwartet, ehe es sein Geld ins Theater trägt. Die Stücke können aber leider keinen Erfolg haben, wenn sie vor leeren Bänken „agirt“ werden müssen.

„Wir sind heute in der Mehrzahl, wenn’s zum Gefechte kommt,“ heißt es bei solcher betrübenden Gelegenheit oben auf der Bühne. Fragt dann einer. „Ist’s heute voll?“ so erwidert man: „Jammervoll!“ oder mit leicht zu durchschauendem Doppelsinn: „Einige Plätze sind recht gut besetzt!“

Nun schaut er wohl durch das Loch im Vorhang und ruft schmerzlich aus: „Aber wo ist denn heut das Publikum?“

Worauf stets irgend ein Witzbold mit dem uralten Scherz zur Hand ist: „Er ist hinausgegangen“ oder „er holt Bier!“

„Holt Bier“ ist überhaupt eine beliebte Antwort, wenn nach einem nicht aufzutreibenden Garderobier oder Friseur gerufen wird. Selbst die Abwesenheit eines Darstellers, der gerade auftreten soll, wird höhnischerweise mit dieser schnöden Redensart bemerkt. Dagegen meldet sich der Anwesende oft mit dem aus Laubes „Essex“ beliebt gewordenen: „Hier hängt er!“

Aus obigem läßt sich leicht entnehmen, in wie hoher Werthschätzung guter Gerstensaft bei der Bühne steht, sowie daß Wein noch nicht zum Nationalgetränk des deutschen Bühnenvolks geworden ist, man müßte denn gerade den Ausdruck: „eine Rolle verzapfen“ auch vom Weinfaß ableiten wollen, wogegen gewichtige Gründe sprechen, die wir hier nicht näher erörtern wollen. Uebrigens wird eine Rolle niemals „gespielt“ oder „gegeben“, sondern, wie bereits bemerkt, „verzapft“, was etwas ansäuerlich klingt, oder, und das kann auch ein Lob sein, „gemacht“. Aus ganz grauen Zeiten klingt noch das Wort: eine Rolle „performiren“. Ist das Latein und stammt wohl gar von den mittelalterlichen Passionsspielen und Mysterien her, oder weist es auf das englische „perform“ und auf die Anfänge regelrechter Theaterkunst in Deutschland, auf die englischen Komödianten des 17. Jahrhunderts hin?

Gegen das französische „kreiren“, welches sich in den Zeitungsberichten einen hohen Ehrenplatz zu erringen wußte, hat sich die Bühnensprache bisher stolz ablehnend verhalten.

Die Vorstellung und das Stück, sei es ein Trauerspiel oder eine Posse, werden „Komödie“ schlechtweg genannt. Der verantwortungsvolle Mann, der darüber zu wachen hat, daß niemand seinen Auftritt versäumt, daß es zur richtigen Zeit donnert und daß zur richtigen Zeit die Sonne aus- und untergeht, der durch Glocken eine Kuhheerde oder einen Schlitten „markiren“ muß, mit einem Wort: der „Inspicient“, mag wohl auch ein Nachkomme des „inspiciens“, des Aufsehers auf der Moralitäten- und Mysterienbühne, gewesen sein. Oder sollten diese und andere lateinische Ausdrücke von den Studententruppen des wackern Magisters Velthen herstammen, der zuerst um das Ende des 17. Jahrhunderts mit geordneteren Darstellungen durch Deutschland streifte und junge Studenten unter seine Fahne zog, die dann nach einiger Zeit wohl auch wieder hübsch ordentlich zu ihrem Studium zurückkehrten? Im Französischen, dem doch sonst die meisten technischen Bezeichnungen für Bühnenämter entlehnt sind, giebt es keinen Inspicienten, sondern einen „régisseur de la scène“. Es giebt übrigens auch in Deutschland Regisseure, welche nur Inspicienten höheren Grades sind.

Merkwürdigerweise hat sich für das wichtigste und unentbehrlichste Glied im weitverzweigten Bühnenorganismus, für den Souffleur, kein Wort im Bühnenjargon gebildet, so wenig wie für Garderobier, Garderobe, Kostüme, Requisiteur und andere, wohl ein Beweis, daß dies alles neuere Errungenschaften sind. Verächtlich sagte daher jener wackere mecklenburgische Thespiskarrenführer zu seinen Leuten: „Wat bruukt ju Requisiten, speelt man gaud!“, ein klassischer Ausspruch, der zum geflügelten Wort bei uns wurde und oft gebraucht wird, wenn jemand in höchster Angst um ein nicht aufzufindendes unentbehrliches Requisit jammert.

„Prospekt“ für „Hintergrund“ klingt auch ziemlich antiquarisch, und ganz feierlich liest sich in den Soufflirbüchern das „Aktus“ hinter dem Schluß eines Aufzuges. Aktus heißt: „Hier fällt der Hauptvorhang“; auch der Inspicient antwortet auf die Frage: „Wie weit ist es draußen?“ nicht: „Es ist Zwischenakt,“ sondern einfach: „Aktus.“

Das Aufziehen des Vorhangs wird manchmal mit dem wenig schmeichelhaften: „Fetzen hoch!“ oder: „Hoch den Lappen!“ angedeutet, namentlich wenn der erste Held und Liebhaber der Meinung ist, durch recht rasches Auf und Ab der Gardine ließe sich ganz gut noch ein zweiter Hervorruf „herauskitzeln“. Seine bezüglichen Wünsche und Bestrebungen rufen natürlich die abfälligste Kritik seitens seiner Kollegen wach. Da tönt wohl halbleise das bekannte „Coulissenreißer“, auch schlechtweg „Reißer“, oder man nennt ihn einen „scharfen Spieler“. Letzteres kann jedoch auch im lobenden Sinne gebraucht werden. Unbedingt ehrenvoll ist das vielleicht von der studentischen Mensur abgeleitete: „Er geht los!“ oder die Bemerkung: „Er kniet sich hinein!“

Der Charakterspieler jedoch, der gewöhnlich weniger Organ aufzuwenden hat als jener, wird meist zu kalten Spieles beschuldigt. „Er macht’s mit der kalten Hand“ oder mit der kalten „la main“ ab! Auch führt er die Ehrentitel: „Alter Brunnenvergifter“ und „Intriguant auf Gummischuhen“. Dieser Beiname schreibt sich von dem „alten Schütz“ her, der lange Jahre hindurch auf dem berühmten Volkstheater der „Mutter Gräberten“ in Berlin alle Bösewichter „verzapfte“ und, um recht unheimlich als „schleichender Bösewicht“ aufzutreten, stets Gummigaloschen statt der Schuhe getragen haben soll. Böse Leute sollen schon damals behauptet haben, es habe ihn dabei weniger ein höheres Kunstinteresse als die gewöhnliche Rücksicht auf seine Hühneraugen getrieben.

Da der Intriguant und „Charaktermacher“ gern seine Aufgabe mit geistvollen „Details“ auszustatten liebt, so wird er auch „Nuancenjäger“ gescholten, man dichtet ihm ein „großes Nuancenbuch“ an, in welchem er die Arabesken für seine Rollen sorgfältig und gewissenhaft vermerken soll. Er schafft kein Ganzes, sondern macht lauter „Maffeeken“, was echt berlinisch ist und nach Lindenbergs dankenswerthem und lustigem Idiotikon des „echten Berliners“ so viel bedeutet wie unnütze Umstände machen. Ueber den Ursprung des seltsamen Wortes kann Lindenberg nichts angeben.

Der Komiker hingegen versichert, wenn er gut bei Humor und ihm eine Rolle „recht auf den Leib geschrieben“ ist, er wolle „seinem Affen einmal Zucker geben“. Welch ein tiefsinniger Gedanke, der jedem Mimen einen gewissermaßen selbständigen Vierfüßlersgeist in Brust und Kopf einlogirt!

Der erste Held seinerseits, der eben sein „Paradepferd geritten“ hat, das heißt die einzige Rolle gespielt hat, die ihm „liegt“ und die er daher gut „machen“ kann, kümmert sich wenig um das Gerede der „Lappigen“ – soll wohl sagen derjenigen, die statt der feinen Garderobe und der besten Kleidungsstücke, auf die ein für allemal nur der Held und Liebhaber Anspruch erhebt, nur in bunten Lappen zu geben haben. Diese sind ja gut genug für die „zweite Garnitur“ – man sieht, auch der Militarismus hat uns von seinem Sprachschatze etwas abgegeben.

Unser Held weiß, dem Publikum zu gefallen ist schwer, den Kollegen zu gefallen am allerschwersten. Nur die Anfänger bewundern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_228.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)