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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Ritterstiefeln an“, womit jene Machtfülle und Thatkraft versinnbildlicht wird, welche man im bürgerlichen Leben dadurch kennzeichnet, daß man der betreffenden Dame den Besitz eines sonst dem Manne unentbehrlichen, jedoch weniger pathetischen Kleidungsstückes zuspricht.

Die Schauspieler sind sehr geneigt, der „Alten“ die Rolle zuzutheilen, welche die „Frau Meester’n“ im Handwerkerleben spielt, jedenfalls darf man es mit ihr nicht verderben, wenn man gute Rollen bekommen will. Ihr Zorn soll fürchterlich sein. – Darauf baute wohl jener teuflische Bassist seinen Plan, der gern aus einem ihm unangenehmen Engagement „loskommen“ wollte.

„Sie kommen nicht los,“ meinten die Kollegen, „gutwillig läßt Sie der Alte nicht, und auch nicht, wenn Sie irgend einen dummen Streich machen. Er braucht Sie zu nothwendig!“

„Wollen sehen!“ dröhnte das tiefe „Doch“, wie der Sänger des Sarastro bekanntlich genannt wird.

Am nächsten Abend war „Freischütz“, und als in der grauslichen Wolfsschlucht der Theatermeister auch die obligate Wildsau mit transparenten feuerfunkelnden Augen und feurigem Rachen in bedächtiger Schnelle vorüberschlurren ließ, zog der entlassungssüchtige Tückebold seinen Federhut und sagte verbindlich. „Ei, guten Abend, Frau Direktorin! Wo wollen Sie denn noch so spät hin?“

Gleich nach Schluß der Vorstellung bekam er den ersehnten Abschied, aber auch die letzte Monatsgage nicht ausgezahlt. – Wir wollen ihm beides gönnen!

Mir aber sei vergönnt, mein Gastspiel hier zu schließen –

 „Aktus!“




Lore von Tollen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Und Sie, Madame, müssen so bald als möglich zu Ihrem Sohne reisen,“ wandte sich der General wieder an Frau Elfriede.

„Ich?“ Es klang wie ein Schrei.

„Um meiner armen Nichte willen wäre es mir lieb, wenn ein Skandal vermieden würde.“

„Barmherziger! Wenn es möglich wäre! Ich überlebte es nicht, wenn Adalbert – –“

„Ich hoffe es, Madame. Wenn Sie ruhiger geworden, morgen, werde ich mit Ihnen darüber sprechen.“

„Excellenz!“ schrie die Frau und schlug die Hände vor das Gesicht, „ich habe es nicht gewußt, ich habe es nicht geahnt! Verlassen Sie uns nicht, rathen Sie ihm, er liebt Lore zu sehr – deshalb, nur deshalb –! Wie schwer leidet doch das Herz einer Mutter unter der Schuld ihrer Kinder!“

Die aufgeputzte, unfeine Frau jammerte den alten Herrn in diesem Augenblick, wo alles falsche Gethue abfiel, wo sie nur noch den Sünder zu vertheidigen suchte, dessen Mutter sie war.

„Beruhigen Sie sich; und vor allen Dingen: das tiefste Stillschweigen, gnädige Frau, um meiner Nichte willen!“ Er hielt inne und ging langsam in dem Zimmer auf und ab. „Ihr Sohn muß von jetzt ab ‚seiner Geschäfte wegen‘ wieder in New-York leben,“ sprach er, vor die Frau tretend, die noch immer wie verstört auf dem Sofa verharrte.

Sie sah ihn unsicher an. „In New-York leben,“ wiederholte sie.

„Und meine Nichte weigert sich, ihrem Gatten dorthin zu folgen. Verstehen Sie?“

„Ja!“

„Er fordert sie wiederholt auf, er läßt sie durch das Gericht anfordern, zu ihm zu kommen – sie beharrt dabei, hier zu bleiben.“

„Ach Gott, Excellenz!“

„Danach wird Ihr Sohn Scheidung beantragen und meine Nichte wird mit Freuden darauf eingehen. Auf diese Weise erspare ich dem armen Mädchen wenigstens die Schande, vor der Welt als eine Düpirte dazustehen. – Wäre das nicht, Madame, bei Gott –!“ Der Zorn überwältigte ihn; er trat mit geballter Faust vor die zitternde Frau.

Nach einem Weilchen, als er sich durch erneutes Auf- und Abgehen beruhigt hatte, fuhr er fort. „Missis Becker werde ich veranlassen, morgen abzureisen, wenigstens vorläufig nach Hamburg; und Ihnen gebe ich ein paar Tage Frist, um hier noch alles zu ordnen. Und nun die Depesche, bitte, ich werde sie aufsetzen.“

Er zog ein Notizbuch aus der Tasche, riß ein Blatt heraus und schrieb:

„Bleibe in New-York, ich komme so bald als möglich. E. hier angekommen. Mündlich alles Nähere.
  Elfriede Becker.“

„So; schicken Sie das sofort nach dem Telegraphenamt!“

„Ja!“ sagte sie, gehorsam wie ein Kind.

„Haben Sie sich gemerkt, was ich Ihnen vorschlug, Gnädigste?“

„Ja! Lore will nicht mit meinem Sohn in Amerika leben, deshalb beantragt er Scheidung.“

„Schön! Leben Sie wohl!“ Er griff nach seinem Hut und schritt der Thür zu.

„Excellenz!“ schrie Frau Elfriede, „ich – ich – sagen Sie Lore, daß ich trostlos sei, daß –“

„Leben Sie wohl!“ wiederholte er, dann ging er.

Lore war von Frau von Tollen zur Ruhe gebracht worden; die Mutter hatte ihr das eigene Lager eingeräumt. Sie hätte das arme Ding am liebsten auf ihren alten schwachen Händen hinaufgetragen, wenn sie das Trostlose damit hätte ungeschehen machen können.

Sie saß dann am Bett und hielt der Tochter Hände und fragte einmal über das andere. „Wie geht’s Dir, Lorchen, fühlst Du Dich gut? Du weinst doch nicht?“

„O, so gut, Mama. Es ist so schön daheim!“ war die Antwort. „Und nicht wahr, wenn Onkel kommt, so soll er sich mit Dir hierher setzen, er soll mir erzählen?“

„Ja, mein Kind, und ich denke immer, er bringt gute Nachrichten.“

„Ich hoffe es, Mama.“

Sie hofften es beide, aber sie dachten beide das Entgegengesetzte.

Endlich kam er. Er setzte sich auf den Bettrand und nahm die Hände der jungen Frau in die seinen.

„Na, meine gute Deern?“ Das klang so weich, als schlucke der alte Haudegen an heimlichen Thränen.

„Sage doch, Onkel!“ bat sie.

„Hm, ja! Also, Lorchen, Du bleibst vorläufig bei Deiner Mama, oder sagen wir, bei mir. Sieh, ich habe in Rom in der Nähe des Forum Trajanum eine nette kleine sonnige Wohnung gemiethet für die Wintermonate. Dahin gehst Du mit, und wenn wir müde sind von allem Schauen und Bewundern, dann machst Du es dem alten Onkel gemüthlich daheim; das wird ihm gutthun, zumal wenn er des Abends den Thee zu Hause nehmen kann und nicht noch herumbummeln muß, um in irgend einer Trattorie zu essen. Und wie schön wird es für ihn sein, wenn er die Herrlichkeiten der ewigen Stadt so einem Paar junger Augen zeigen kann und –“

„Onkel!“ – Sie setzte sich aufrecht im Bett – „ich will die Wahrheit wissen – sprich, ist sie getraut mit ihm?“

„Ja, die Wahrheit, Lorchen! Sieh ’mal, das müssen die Gerichte entscheiden. Aber ich denke, es giebt einen ekelhaften Skandal; Dir kann es gleichgültig sein, ob sie ihm angetraut war oder nicht, betrogen hat er das arme Geschöpf auf alle Fälle und gesündigt hat er an dem Kind. Ein Lump ist er so oder so – Pardon – ich meine, Du trennst Dich auf jeden Fall von ihm.“

Sie sank langsam in die Kissen zurück und faltete die Hände.

„Wird er das wollen, Onkel?“ fragte sie enttäuscht.

„Ja!“ erwiderte der alte Herr bestimmt.

„Er hat gesagt, nie, nie würde er seine Ansprüche an mich aufgeben,“ flüsterte sie angstvoll.

Der General wandte sich ab; die Augen wurden ihm feucht. Sie durfte es nicht wissen, daß ihr Bündniß null und nichtig,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_231.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)