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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

War Maria Stuart schön?

Die Frage klingt seltsam, besonders uns schillerfesten Deutschen, die wir gewohnt sind, „der hohen Schönheit göttliche Gewalt“ als selbstverständliche Eigenschaft der Vielberufenen zu betrachten, welche nicht nur bei Lebzeiten heiße Leidenschaften weckte, sondern noch über den Tod hinaus einer Theilnahme genießt, wie sie wenigen Figuren der Geschichte entgegengebracht wird, obgleich viele derselben unverdienter litten als Maria. Nicht ihr Unglück allein ist es, was die Herzen bewegt, sondern die Vorstellung jenes seltenen Liebreizes, der seit der trojanischen Helena Zeiten die Poeten auf seiner Seite hat und selbst strengen Sittenrichtern ein Wort der Entschuldigung ablockt. In ihm birgt sich ein Zauber, der noch nach Jahrhunderten wirkt.

Aber seltsam – je bekannter seit neuerer Zeit die wenigen als echt beglaubigten Bildnisse Marias werden (denn die vielen nach ihrem Tode gemachten und als Reliquien verbreiteten zählen nicht), um so stärker erwacht der Zweifel, ob sie das gewesen sein könne, was wir heutzutage schön nennen. Ihren Zeitgenossen galt sie unzweifelhaft dafür; zur Erklärung dieser Thatsache ist neuerdings die Vermuthung ausgesprochen worden, es habe das Renaissancezeitalter über Schönheit andere Begriffe gehabt als das unsere. Aber das ist ein unglückliches Beweismittel gegenüber der Fülle von entzückend schönen Frauenköpfen, welche eben jene kunstfreudige und feinfühlige Zeit auf der Leinwand hinterlassen hat. Was Schönheit ist, wußten die Menschen der Renaissancezeit jedenfalls so gut und vielleicht besser als wir, davon legt ihre Kunst unsterbliches Zeugniß ab. Aber allerdings trug diese Kunst in den nördlichen Ländern härtere und herbere Früchte als in Italien, und hierin ist wohl ein Hauptgrund unserer Enttäuschung beim Anblick von Marias Bildnissen zu suchen. Wäre einem Tizian oder Bordone der Auftrag geworden, das Porträt der Königin zu malen, sicher würden wir ein Spiegelbild der holdseligen Anmuth sehen, welche ihre Zeitgenossen bezauberte, statt der trockenen Abschrift ihrer energisch geschnittenen Züge, wie sie die Mehrzahl der vorhandenen Bildnisse zeigt. – Das früheste derselben, welches wir unseren Lesern auf Seite 238 vorführen, ist eine Zeichnung von Clouet, einem tüchtigen Künstler, der am französischen Hofe unter Franz I. und Heinrich II. viel beschäftigt war. Es stellt Maria Stuart im sechzehnten Jahre vor, als Gemahlin des vierzehnjährigen Dauphin Franz. Wir sehen ein nüchtern blickendes, längliches Gesicht mit gutgeformter, etwas großer Nase, welche alle Bildnisse der Königin übereinstimmend zeigen, so daß man sie wohl für richtig annehmen muß. Die schöne Stirn, schmalgeschnittene dunkle Augen, der feingezeichnete Mund vollenden das Bild einer regelmäßigen Physiognomie. Aber wo bleibt der Ausdruck von lebensfroher Heiterkeit, der damals „die kleine Königin von Schottland“ zur Freude aller Augen am französischen Hofe machte? Er ließ sich offenbar nicht so pünktlich nachmalen wie die Krause und das feine Hemdchen, die dicken Perlenschnüre um Kopf, Hals und Mieder. Und doch muß derselbe ein hervorragend reizender gewesen sein, denn schon das kleine Mädchen eroberte bei seiner Ankunft am Hofe von Frankreich im Sturm die Herzen des Königs Heinrich sowohl als des gesammten Hofstaates. Aber auch die Lehrer, Kammerfrauen und Diener vergötterten das muthwillige Prinzeßchen, dessen natürlicher Liebenswürdigkeit offenbar schon damals niemand widerstehen konnte.

Maria Stuart als Königin von Schottland.

Was Talbot in Schillers unsterblichem Drama sagt,

— „Die Arme rettete kein Gott. Ein zartes Kind,
Ward sie verpflanzt nach Frankreich an den Hof
Des Leichtsinns, der gedankenlosen Freude – –“

bezeichnet das Verhängniß für Marias leicht erregbare, ohnehin dem Schönen, Glänzendem, Künstlerischen maßlos zugethane Natur. Musik, Poesie, Tanz und Gesang waren ihre Lieblingsbeschäftigungen; als kleines Kind schon führte sie mit vollendeter Grazie vor versammeltem Hofe einen künstlichen Tanz zusammen mit ihrem Bräutigam auf und erntete laute Bewunderung. Sie ritt, ehe sie erwachsen war, schon mit zur Jagd, saß zu Pferde wie eine echte Hochländerin und warf ihren Falken nach allen Regeln der Kunst in die Luft, um ihn sicher und geschickt wieder aufzufangen. Zum Entsetzen der französischen Damen trug sie bei solchen Gelegenheiten ihre „wilde schottische Nationaltracht“, aber, so barbarisch man dieselbe fand: daß sie ihr entzückend stehe, wurde doch allgemein zugegeben.

Wie sollte nun in einem solchen Freudenleben die junge Erbin von Schottland auch nur einen Begriff der schweren Pflichten bekommen, die ihrer harrten, als ein Jahr nach der Vermählung 1559 ihr fünfzehnjähriger Gatte Franz II. den Thron von Frankreich bestieg? Sie wurde gleich ihm ein gefügiges Werkzeug in der Hand ihres Oheims, des Cardinals v. Guise, und blieb es, als abermals ein Jahr später der kränkliche Knabe starb, und sie nach Schottland heimkehrte. Sie sollte dort ihre Ansprüche auf den englischen Thron geltend machen, die Freiheit des schottischen Adels brechen und die Reformation vernichten. In dem Eifer, mit welchem Maria diese sämmtlichen unmöglichen Ziele zu den ihrigen machte, lag ihr Schicksal beschlossen.

Das nebenstehende Bild, heute in der Bodleyschen Galerie in Oxford befindlich, zeigt Maria in vollem Pomp königlicher Würde, so wie sie dem schottischen Adel bei ihrer Ankunft zur Audienz entgegengetreten sein mag. Ein schwarzes Sammtkleid umgiebt in reicher Fülle die zugleich anmuthige und majestätische Gestalt, kostbare Spitzen bilden die Krausen um Hals und Arme, unter der ersteren wird ein reicher Juwelenschmuck sichtbar, während vom Gürtel einer jener großen, durchweg aus Gold und Edelsteinen bestehenden Rosenkränze mit kostbarem Kreuz herabhängt, welche einen Hauptluxus fürstlicher Frauen ausmachten. Ein langer weißer Schleier deckt die eigenthümlich geformte „Stuarthaube“, bauscht sich an den Schultern flügelartig auf und wallt dann in

schlichten Falten bis zum Kleidersaum hernieder. Kulturgeschichtlich ist das Bild von hohem Werth, aber nimmermehr kann der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_236.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)