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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Nacht und die dämonische Gewalt des Verführers über das leidenschaftbethörte Weib:

„Wie bebte Königin Marie,
Als durchs geheime Pförtlein spat
Mit ungebog’nem Haupt und Knie
In ihr Gemach Graf Bothwell trat!

Ihr schön Gesicht ward leichenweiß;
Sie zuckt’ und sah ihn fragend an;
Er wischte von der Stirn den Schweiß
Und sagte dumpf: ‚Es ist gethan.

Es ist gethan, Dein süßer Mund
War nicht für Buben solcher Art,
Heut’ abend um die achte Stund’
Hielt Heinrich Darnley Himmelfahrt.‘

Sie schrie empor: ‚Verzeih Dir Gott!
Nimm all mein Gold, nimm hin und flieh!‘
Da lacht er laut in grimmem Spott:
‚Was soll mir Gold für Blut, Marie?

– – – – – – – – – – –

Die Hand, die einen König schlug,
Greift auch nach einer Königin.‘
Er rief’s, und Grau’n in jedem Zug,
Starr wie ein Wachsbild sank sie hin.

Er hub sie auf – sie fühlt’ es nicht,
Daß ihr ins Fleisch sein Stahlhemd schnitt
– – – – – – – – – – –
Er schwang sie vor sich fest aufs Roß
Und jagt’ ins wetterschwüle Land
Hinaus mit ihr gen Dunbar-Schloß.

Schwarz war die Nacht, als wäre rings
Erloschen jeder Stern des Heils;
Nur manchmal in den Wolken ging’s
Gleichwie das Blitzen eines Beils.“ –[WS 1]

Wohl waren die guten Sterne der Unglücklichen versunken, und die furchtbare That trug schwere Frucht! In ihrer Leidenschaft zu dem Ruchlosen ließ sich Maria zu Thaten hinreißen, die keine noch so gefahrvolle Lage entschuldigt. Höchstens wird man mit ihrem milden Anwalt Talbot sagen können:

 „– es geschah
In einer finster unglücksvollen Zeit,
Im Angstgedränge bürgerlichen Kriegs,
Wo sie, die Schwache, sich umrungen sah
 Von heftigdringenden Vasallen, sich
 Dem Muthvollstärksten in die Arme warf –“

aber gerechte Vergeltung war es, daß ihre Großen sie von dem Throne stießen, den sie drei Monate nach dem Mord schon mit dem Mörder theilte. Und doch – so unwiderstehlich wirkte der Zauber dieser neuen Helena auch auf ihre Feinde, daß in der strengen Gefangenschaft auf Schloß Lochleven, wo man sie für immer unschädlich zu machen dachte, der jüngste ihrer Wächter, von Liebe und Mitleid hingerissen, ihr den Weg zur Freiheit öffnete.

Es war nur ein letztes Aufleuchten vor dem Erlöschen ihrer Glückssonne. Geschlagen und flüchtig eilte Maria vierzehn Tage später der englischen Grenze zu, um bei derselben Elisabeth Schutz und Hilfe zu suchen, deren Thronrecht sie früher bestritten und sich selbst angemaßt hatte. Und somit standen sich die beiden merkwürdigen Frauen gegenüber, deren tiefer Gegensatz im Innern und Aeußern für alle Zeiten ein Gegenstand des größten Interesses bleiben wird.

Maria Stuart in ihrem 16. Lebensjahre.

Eine entschiedene Familienähnlichkeit fällt jedem auf, der die Bilder der beiden betrachtet; um so merkwürdiger ist es, wie verschieden der äußere Eindruck sein konnte. Bei Maria war offenbar Reiz und Leben in jedem Zuge, bei Elisabeth verstandesmäßige Kühle und Trockenheit, wenn auch mit hoher Intelligenz gepaart. Jene verkörperte alle Fehler des leichtsinnigen, liebenswürdigen Weibes, diese die der scharf gewordenen ältlichen Jungfrau, und deshalb wenden sich auch heute noch, wie damals, die Herzenssympathien Maria zu. Ihr gegenüber handelte Elisabeth im Einverständniß mit ihren Räthen durchaus nach dem Gebot der Klugheit und der Politik: sie durfte die Gefährliche nicht freilassen, die ihr den Bürgerkrieg im eigenen Land würde entzündet haben und mit allen Elisabeth bedrohenden römischen und spanischen Umtrieben Fühlung hatte. Aber das menschliche Mitgefühl neigt sich eben doch der Gefangenen, wenn auch nicht Schuldlosen zu, deren Anmuth und Herzensgüte in den verschiedenen Schlössern ihres Aufenthalts immer wieder die Sympathie ihrer Hüter gewann und Gelegenheit schaffte zu heimlichem Briefwechsel mit denen, die sie zu retten hofften. Achtzehn lange Jahre dauerte die Kerkerhaft, anfangs mild, dann, als die Verschwörungen gegen Elisabeth sich häuften, streng und hart. In ihr hat Maria die Schuld ihrer wilden Jugend gebüßt. Als ein blühendes sechsundzwanzigjähriges Weib war sie ins Gefängniß eingetreten, im fünfundvierzigsten Jahre, mit ergrautem Haar, verließ sie es, um aufs Schaffot zu steigen, als die große Babingtonsche Verschwörung entdeckt wurde, in der sie mitwissend und wahrscheinlich auch mitschuldig war. Für Elisabeth stand es in der That so, wie Burleigh sagt:

„Du mußt den Streich erleiden oder führen.
Ihr Leben ist Dein Tod! Ihr Tod Dein Leben!“

und nach langem Zögern entschloß sie sich zur Unterzeichnung des Urtheils.

Das geschichtlich merkwürdigste unter unsern Bildern stellt Maria Stuart auf ihrem letzten schweren Gange vor (siehe S. 237). Am Morgen ihrer Hinrichtung (8. Febr. 1587) wurde die Skizze von Amyas Carwood für ihren Sohn, König Jakob VI., aufgenommen und das Bild befindet sich heute im Besitz der Königin von England. Das lebensgroße Gemälde zeigt die zum Schaffot Schreitende im schwarzen Sammetgewande mit der großen, feingefältelten Krause und dem lang niederwallenden Schleier. Den einzigen Schmuck der Königin bildet das elfenbeinerne Kreuz auf ihrer Brust. Die ausgestreckte, hier nicht sichtbare, rechte Hand umfaßt mit majestätischer Gebärde ein Kruzifix, welches Maria bis zum letzten Augenblick nicht aus den Händen ließ. Die Gesichtszüge stimmen wieder mit denen der früheren Bilder überein, aber sie tragen einen düsteren und starren Ausdruck, den die Königin nach der Erzählung der Augenzeugen nicht hatte, als sie ernst und hoheitsvoll, aber mit gewohnter Anmuth ihren letzten Weg antrat und zu ihrem strengen Wächter Paulet sagte, als er ihr die Hand zum Emporsteigen reichte: „Sir, dies ist die letzte Mühe, die Ihr um meinetwillen habt!“

So tritt uns bis zum Ende aus Marias Wesen die holde, bestrickende Anmuth entgegen, welche den größten Reiz des Weibes ausmacht, und deshalb ist die Frage, welche die Ueberschrift dieser Zeilen bildet, im weiteren Sinn sicher zu bejahen. Marias königlich hohe Erscheinung mit den von heiterer Liebenswürdigkeit strahlenden, wenn auch etwas scharf geschnittenen Gesichtszügen hat Unzählige entzückt und zu blinder Ergebenheit hingerissen, sie muß also in hohem Grade anziehend gewesen sein. Sehr wahrscheinlich lag bei ihr die Schönheit mehr in dem Ausdruck des Ganzen als in den einzelnen Zügen. Ihre Augen waren offenbar nicht groß, Wangen und Kinn nicht weich gerundet, aber jedenfalls vergaß man, wie bei so vielen schönen Frauen, das Einzelne über dem entzückenden Gesammteindruck. Maria besaß jene Vereinigung von Anmuth, Holdseligkeit und Schönheit, welche Homer meint, wenn er von dem Gürtel der Aphrodite spricht. Und als eine seiner berühmtesten Trägerinnen wird die herzenbezwingende Schottenkönigin im Gedächtniß der Nachwelt fortleben, ohne daß die Betrachtung ihrer unvollkommenen Bildnisse etwas daran zu ändern vermag. R. Artaria.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Bothwell aus Gedichte und Gedenkblätter, 1864
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_238.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)