Seite:Die Gartenlaube (1889) 239.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Wie Zeugnisse für Geheimmittel fabriziert werden.

Im Laufe der Jahre war die „Gartenlaube“ oft imstande, nachzuweisen, wie die Geheimmittelkrämer Zeugnisse für ihre werthlosen Heilmittel zu fabrizieren wissen. Wir haben selbst über Fälle berichtet, in denen der Kurschwindler eine empfehlende Erklärung eines geachteten Mannes drucken ließ, während dieser von der Existenz des Schwindlers und seines Präparates keine Ahnung hatte.

Man kann nicht oft genug auf dieses gewissenlose Treiben hinweisen und vor ihm das leichtgläubige Publikum warnen, und so kommen wir heute auf die Frage: „Wie werden Zeugnisse für Geheimmittel fabriziert?“ noch einmal zurück.

Veranlassung hierzu giebt uns die Einsendung des Pfarrers Emil Weiser in Oberprechthal (Baden), welche sich auf seine Erfahrungen mit dem von J. Kirchhöfer in Triest vertriebenen Homeriana-Thee bezieht. Dieser Thee, der sich bei genauerer Untersuchung als Vogelknöterich erwies, wird bekanntlich als Heilmittel gegen Lungenschwindsucht angepriesen in einer Weise, die in den Kranken nur Täuschungen hervorrufen kann.

Schon beim Auftauchen dieses „Heilmittels“ haben wir dasselbe auf Grund eines Gutachtens des Ortsgesundheitsrathes in Karlsruhe niedriger gehängt.[WS 1] Trotz dieser vielfach ist der Presse abgedruckten Warnung fanden sich viele, die im Gebrauch des Homeriana-Thees ihr Heil suchten und sich für 30 Mark einer sechzigtägigen Kur unterzogen.

Welche Erfahrungen dabei gemacht worden sind, darüber geben uns die nachstehenden Mittheilungen des Pfarrers Emil Weiser die beste Auskunft. Er schreibt uns:

„Auf dringende Bitte einer zweiunddreißigjährigen Frau hin, welche infolge einer Rippenfellentzündung lungenleidend geworden war und zwei Jahre lang vergeblich bei verschiedenen Aerzten Hilfe gesucht und erfolglos die angerathenen Schwarzwaldberge aufgesucht hatte, ließ ich mir, nachdem ich zufälligerweise auf die Homeriana aufmerksam gemacht worden war und in einer größeren Zeitung zu gleicher Zeit eine empfehlende Anzeige derselben gelesen hatte, einen Prospekt kommen. In dem ‚Auszug aus den Heilerfolgen‘ notirte ich mir verschiedene Adressen, an welche ich mich wandte. So schrieb ich an den königl. Sanitätsrath Dr. med. C. in Stettin, erhielt aber die Nachricht, daß derselbe gestorben sei. Ich schrieb ferner an einen Pastor L., unter dessen Namen sich S. 20 des Prospekts folgende Empfehlung findet: ‚Ich sende Ihnen abermals 20 Mark für eine zweite Kranke, für die Sie mir wieder Herba Homeriana, die ihre Lebensretterin zu werden scheint, senden wollen. Ich empfehle Ihre Homeriana, wo ich nur kann etc.‘

Die Empfehlung, welche ich auf meine Anfrage erhielt, lautet: ‚Alle scheinbaren Erfolge der Homeriana erwiesen sich zuletzt als völlig nichtig. Beide Kranke der Gemeinde, bei denen sie zur Anwendung kam, ruhen längst im Grabe. Ich kann, nachdem in öffentlichen Blättern von kompetentester Seite auch sehr nachdrücklich vor dem Homeriana-Schwindel gewarnt ist, überhaupt keinem mehr ihren Gebrauch anrathen.‘

Ein weiteres Schreiben richtete ich an einen Dr. med. A. Sch. ist E. (S. 7 des Prospekts). Die Antwort, welche ich erhielt, lautet: ‚Den fraglichen Thee glaubte meine Frau während ihres Aufenthalts in Südtirol mit Erfolg gegen ihren Bronchialkatarrh gebraucht zu haben. Deshalb bestellte ich nochmals für sie trotz meines Mißtrauens eine Sendung. Diese meine Bestellung hat der Homerianahändler zur Reklame benützt, indem er mein ‚Dr.‘ durch den Zusatz ‚med.‘ ergänzte; ich bin nämlich Gymnasiallehrer. Aber ganz abgesehen von dieser Manipulation hat auch das Kraut bei nochmaliger Anwendung in unserem rauhen Klima nichts genützt. Dies meine Laienerfahrung!‘ Endlich wandte ich mich noch an einen S. W. in Fr., unter dessen Namen S. 15 des Prospektes folgende Empfehlung zu lesen ist: ‚Nachdem ich nun 23 Tage mich der Theekur unterzogen habe, kann ich Ihnen mit frohem Herzen berichten, daß in meinem Zustande allmählich eine wesentliche Besserung eingetreten ist. Ich erfreue mich jetzt wieder eines starken Appetits und bin seit wenigen Tagen bedeutend kräftiger geworden, auch ist wieder Lebensfarbe in mein Gesicht zurückgekehrt. Der Schlaf ist ziemlich ruhig, Blutungen haben sich keine mehr eingestellt.‘ Die Nachricht, welche ich erhielt, lautet: ‚er rathe nicht zu dem Thee, das sei ein bloßer Schwindel, er habe kein Zeugniß ausschreiben lassen. Er habe bloß demjenigen, von welchem er den Thee habe, geschrieben, daß er Besserung verspüre, es sei aber hernach gleich wieder schlimmer geworden. Er wäre schon lange auf dem Gottesacker, wenn er nicht aufgehört hätte.‘ Zwei Briefe endlich blieben unbeantwortet. Nun hatte ich genug „Empfehlungen“. Auch die junge Frau, welche mich bat, den Thee für sie zu bestellen, und sich einer 60tägigen Kur unterzog, ruht im Grabe. Der Thee war ihre letzte Hoffnung, aber es war eine nichtige Hoffnung.

Solche Erfahrungen zeigen, daß man sich auch nicht auf solche in den Prospekten angeführte Empfehlungen, bei denen die volle Adresse angegeben ist, unter denen sich Namen von Beamten, Professoren, Aerzten, Lehrern etc. finden, verlassen darf. Mögen diese Zeilen dazu beitragen, daß die Leser derselben ernstlich prüfen, ehe sie zu einem Mittel greifen, vor dem allseitig gewarnt wird und das, zu einem theuren Preise verkauft (das Packet für 2 Tage reichend 1 Mark), werthlos, wenn nicht schädlich ist.“




Blätter und Blüthen.

Gute und böse Geister. (Zu den Bildern S. 224, 225 und 229.) Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist“: in tausendfältiger Abwandlung wird das Wort tagtäglich gebraucht. Ich lobe mir die folgende Variante: „Sage mir, was du trinkst, und ich will dir deinen inneren und äußeren Menschen künden.“ Oder hält es jemand für möglich, daß hinter der überraschenden Antwort „Wasser“ ein bärtiger Kriegsheld mit klirrenden Sporen, jeder Zoll ein Eisenfresser, zum Vorschein käme? Oder erwartet man nach der Stimme, die da flüstert „Milch“, einen klugen Diplomaten und nicht vielmehr ein bleichsüchtiges Backfischchen, welches die Meierei auf ärztlichen Befehl besuchen muß? Denken wir bei „Kaffee“ an eine Wahlschlacht im Wirthshaus? oder bei „Chartreuse“ an eine Waschfrau? Trinkt ein Seemann Selterswasser? oder ein Volksschullehrer „Heidsiek Monopol“? Also es wird wohl stimmen, es muß stimmen!

Warum muß es stimmen? Ei nun, weil die geistige und, sagen wir es frei heraus, auch die körperliche Physiognomie des Menschen weit mehr in ihren Eigenthümlichkeiten herausgebildet wird durch das, was er trinkt, als durch das, was er ißt. Essen muß jeder Mensch, um sich zu erhalten, er folgt einem Naturtriebe. Trinken aber, ja das ist etwas anderes, das Trinken wird – sobald wir von dem kindlichen Alter, wo ein Königreich für ein Stück Kuchen preisgegeben wird, absehen – bewußt oder unbewußt als Wissenschaft betrieben, es gehört zu den feineren Genüssen, welche den Plackereien des täglichen Lebens die Thür vor der Nase zuschlagen und dem Menschen erlauben, sich frei und leicht, als Herr der Welt, zu fühlen. In diesem Hochgefühl ergeht sich der Mensch, wenn er den ihm passenden „guten Tropfen“ vor sich hat. Der Geist regt sich, er ringt sich los von den Gewichten, die seinen Flug beschweren, und baut sich ein Paradies nach seinen Ideen aus. Da nun der vernünftige Mensch, seinem Geldbeutel und seiner Zunge zugleich Rechnung tragend, zum Gewohnheitsthier auch in diesem Falle wird, so kommen schließlich durch dauernde Verbindung der beiden Geister, jenes im Glase und jenes hinter der Stirne, ganz charakteristische Physiognomien zu stande, und damit wäre die Behauptung des Satzes: „Sage mir, was du trinkst“ etc. begründet. Diesen inneren Zusammenhang zwischen Physiognomie und Lieblingsgetränke im Bilde zu erweisen, das hat nicht leicht je ein Künstler so gut verstanden wie Eduard Grützner, dessen humorvolle Schilderungen trinkfroher Mönche und Jäger in Tausenden von Nachbildungen verbreitet sind. Ihm verdanken wir auch die drei Bilder unserer heutigen Nummer, die wir im folgenden zu Führern genommen haben.

Zufriedenheit und sichtliches Wohlbehagen herrschen in dem ersten Kreise, wo aus kostbaren alten Gläsern die Blume der edlen Rebe emporsteigt. Sind es nicht prächtige Herren, diese Herren Ordensbrüder? Als Bruder Kellermeister das jüngst angekommene Fäßlein Malvasier auf grünbauchige Flaschen zog und dabei mit vorsichtig gespitztem Munde kostete, machte er nicht umsonst ein lächelndes Gesicht: „Der Tropfen wird den Herren schmecken, er ist köstlich, mild und kräftig zugleich,“ schmunzelte er. In der That, nun die Herren zur Weinprobe in der Bibliothek des Klosters beisammen sitzen, mundet ihnen nicht nur das köstliche Getränk, sondern es rührt und regt sich auch hinter den hohen Stirnen, die Gedanken werden flüssig, die Geister nehmen höheren Flug. Im Wein ist Wahrheit! Während der jüngste Ordensbruder ein lustiges Stücklein aus Juvenal oder Ovid oder sonst einem alten Knaben aus längst versunkenen Jahrhunderten vorliest, färbt der Malvasier die Stirn mit jener feinen flüchtigen Röthe, welche den edlen Trinker eines edlen Trankes ziert. –

Ignaz Pößl ist seines Zeichens Metzgermeister – das heißt, er war es bis vor zwei Jahren, jetzt aber hat er sein Geschäft seinem Aeltesten übergeben und hat sich ausschließlich aufs Privatisiren und – Politisiren verlegt. Ja, die Politik, die ist sein Steckenpferd, seine Stärke und seine Schwäche, und wenn er seine Maß „Bürgerliches“ vor sich hat, kommen ihm die besten Gedanken. Die muß er mittheilen, es wäre schade, wenn sie verloren gingen. Josef, der Förster, und sein Schwiegervater, der alte Schreiber, haben auch gute Ideen, aber – – – und dann baut sich die Welt so rosig auf, die Steuern würden geringer werden, die Kriege würden abgeschafft und jede Militärvorlage überflüssig werden, wenn nur die Welt plötzlich so dastünde, wie Ignaz Pößl sie in seinem frischen Krug erblickt. Dabei ist er aber meilenweit von Umsturzideen entfernt, „nur immer stat“ ist sein Grundsatz. Kühlfeuchter Dunst wallt durch den Keller, die Cigarre ist auch nicht übel und Ignaz Pößls Gesicht und Bäuchlein werden immer rundlicher und behäbiger.

Der Denker und der Dichter Trank ist der Wein; Bier ist der Stoff, in welchem ehrenfeste, gut bürgerliche Gemüthlichkeit gedeiht. Beide stehen in unmittelbarem Gegensatz zum Getränk des Proletariers, zum Branntwein, zum Schnaps.

„Nur heute komm gleich nach Haus, nur dies eine Mal gehe am Wirthshaus vorbei und bringe mir den Lohn heim für die hungernden Kinder!“ So bittet die Frau am Sonnabend Morgen. Am Abend wartet sie natürlich vergeblich. Um wenigstens etwas vom Wochenverdienst zu retten, muß sie die weibliche Scham verleugnen und sich in die abscheuliche Alkoholatmosphäre der Kneipe begeben, den Mann herausholen und noch höhnende Reden mit anhören. Zuerst war der Feuertrank dem Mann als Sorgenbrecher willkommen, aber als die Sorgen vergessen waren, da ließ der Schnaps den Mann nicht mehr los, und nun ist es der vermeintliche Sorgenbrecher, welcher Sorgen über Sorgen auf die Familie häuft. Wie er wirkt auf Geist und Körper des Trinkers? Man braucht den Mann nur anzusehen, und man hat das Gegentheil von den Wirkungen des Bieres: statt Zufriedenheit und Verträglichkeit Auflehnung gegen alles Bestehende und Rauflust; statt des hohen Gedankenfluges, den die Geister des Weins anfachen, seelische Rohheit. –

Sage mir, was du trinkst, und ich will dir sagen, wer du bist! H. P.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe Allen Brustleidenden zur Warnung! in Jg. 1883, S. 236
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_239.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)