Seite:Die Gartenlaube (1889) 240.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ein alter Schwerenöther. (Mit Abbildung S. 221.) Reineke, dem alten Sünder – wann, wo und unter welchen Umständen ein Jäger, der den höchsten Jagdgenuß nicht im Erlegen, sondern im Beobachten des Wildes sucht, ihm auch begegnet, immer muß er den eleganten, geriebenen, interessanten Gauner bewundern, den er gründlich haßt bis in den Tod, und dessen Thun und Treiben er doch stets von neuem gern belauscht. Du stehst 100 Schritt ab von einem Fuchsbau. Da kommt die Fehe (Füchsin) angeschnürt, ein dickes Bündel vor dem Rachen, und verschwindet in einer Röhre, doch nicht so schnell, daß du mit deinem scharfen Glase nicht gesehen hättest, daß es 10 oder 12 todte Mäuse sind, welche die Alte an den Schwänzen haltend dem noch ganz jugendlichen Geheck (Jungen) zuträgt. Zehn Tage später sitzst du auf derselben Stelle und erfreust dich an dem muntern Spiele der Spitzbubenbrut, die sich im hellen warmen Sonnenscheine übermüthig vor dem Bau herumtummelt. Wieder schnürt Mama herum, diesmal mit dick geschwollenen Backen. Was die wohl bringt? Die jugendliche Schar eilt ihr entgegen. Da fällt ein dunkles Etwas aus dem Rachen der Fehe. Alles greift zu, purzelt über einander, läuft vorwärts – einer ist der Glückliche gewesen und flüchtet mit dem Fraße in den Bau. Noch ein schwarzes Klümpchen springt der Fehe aus dem Rachen, verfolgt und erhascht von einem aus der graubraunen Räuberbrut. Jetzt hast du gesehen, was es war. Die Alte hat lebende Mäuse im Rachen herbeigeschleppt, 5 oder 6 Stück, und giebt der jungen Gesellschaft den ersten Unterricht.

Ein anderes Mal weidewerkst du Ende Mai auf einem jungen Schlage nach einem Bocke. Auch Reineke hat sich eingefunden, jedoch nicht, um dir Konkurrenz zu machen, denn er schleicht um die Buchenbüsche, und wo ein Maikäfer aufschnurren will oder wo er einen an den Blättern sitzen sieht, erhascht er ihn mit elegantem Sprunge. Sein Magen scheint sehr schief zu hängen, daß er sich mit Käfern begnügt, oder sind es für ihn nur Mandeln, die er zum Dessert knackt? Ich habe ihn aber auch in der Dämmerung in freiem Felde beobachtet, wie er, wenn in lauem Frühjahrswehen die frisch entpuppten Maikäfer aus dem Felde zum Walde zogen, mit hohen Luftsprüngen dem Sport des Käferfangens oblag.

Du willst anfangs August einen liebestollen Rehbock beim Blatten schießen, stellst dich im Hochwalde an eine Buche 70 Schritt von einer Fichtendickung und entlockst einem Buchenblatte die sehnsüchtigsten Arien einer Rehjungfrau: piu! piu! piupiu! – 40 Takte Pause. –

Da schiebt sich aus den Fichten ein rothes spitzes Gesicht, und statt des erhofften Kapitalbockes schnürt Meister Reineke aus dem Gebüsch und leckt sich appetitvoll die Lippen. Rothrock, alter Schwerenöther! magst du auch Rehbraten? Nein! so haben wir nicht gewettet, der Sache wollen wir ein Ende machen! – Dann wieder pirschst du an einem Schlage entlang, auf welchem Heidelbeeren wachsen. Wie genügsam scheint doch der rothe Schuft! Von einem Büschel zum anderen schnürt er und pflückt sich die schwarzen Beeren. Jetzt bleibt er sichernd stehen. Langsam duckt er sich, als versänke er in die Erde, und ist verschwunden. Das Glas ist vor den Augen – was der wohl hat? Platt auf die Erde gedrückt – fast ganz durch die Heidelbeerbüsche gedeckt, du siehst nur den röthlichen Schein – liegt Reineke, aber du siehst auch noch etwas anderes Lebendes 15 Schritt vom rothen Freibeuter entfernt – ein blaues Köpfchen und einen Hals mit schneeweißer Binde, eine Ringeltaube, die auch dem Beerenpflücken obliegend hin und her und dem Fuchse immer näher trippelt. Plötzlich ein rother Streifen – die Taube klatscht in die Höhe – ein Sprung – Reineke will nach dem Dessert erst Braten speisen. In solchen Fällen kennt der Jäger nur die Todesstrafe, die aber nur zu oft durch ungeschickte Exekution zur unfreiwilligen Begnadigung wird. – Freund Weinberger führt uns heute in den Frühlingswald – im März. Der Schnee ist gewichen, laue Südwinde tragen die Wandervögel aus ihren fernen Winterquartieren in die nordische Heimath, welche die kleinen lieben Sänger mit ihren schönsten Liedern jubelnd begrüßen. Abends aber, wenn der Dämmerung Schatten über das Thal hinzieht, streicht, sich ein Liebchen suchend, der vom Jäger langersehnte Frühlingsbote, die Schnepfe, balzend über Bruch und Heide, und hat sie’s gefunden, dann treibt das Pärchen, in allerlei Flugwindungen über die Büsche gaukelnd, in steilem Fall bis dicht zur Erde stechend oder in Schlangen- und Wellenlinien weiter strebend, sein Liebesspiel. An einen Birkenstamm gedrückt, schaut Reineke mit lüsternen Blicken dem Brauttanze zu – aber die Trauben hängen ihm zu hoch! – Wie sieht der Bursche heute ruppig aus! Er ist im Begriff, seinen behäbigen, eleganten Winterpelz mit dem knapp anschließenden Sommerjackett zu vertauschen, und schon zeigen sich rundliche, weißverfärbte Flecken in dem noch dichten Pelzwerk. Hast du Glück und schießest den Fuchs und willst den Balg verhandeln, dann heißt es: „Was thu ich damit? ich mache Schaden, Herr Förster! er hat schon Märzflecken – schlechte Ware, – ’ne Schwarte – ich ziehe ab 2 Mark!“

Karl Brandt.

Deutsche Humanität im Kriege. In zahlreichen Geschichtswerken über den letzten deutsch-französischen Krieg hat eine Reihe von kleineren Leistungen, von stillen Heldenthaten einzelner Krieger sorgfältige Aufzeichnung gefunden. Ungern vermisse ich darunter eine kleine Episode aus den ersten Tagen der Belagerung von Metz, welche es wohl verdient, als edler Zug deutscher Humanität im Kriege auch in weiteren Kreisen bekannt gemacht und der Vergessenheit entrissen zu werden.

Es war in der Morgenfrühe des 26. August 1870, als im Dorfe Fleury vor Metz der Oberstabsarzt des Rheinischen Kürassierregiments Nr. 8, der leider allzufrüh verstorbene Medizinalrath Dr. Wittichen in Aurich, früher Kreisphysikus in Gummersbach, von einem dortigen Einwohner ersucht wurde, doch um Gottes willen seiner armen Frau zu helfen, die bereits seit zwei Tagen in schweren Kindesnöthen sehr gefährdet daniederliege. Sofort ging derselbe mit und erkannte alsbald, daß nur durch schleunigen operativen Eingriff die Wöchnerin zu retten sei. Aber woher jetzt das nöthige Instrument schnell herbeischaffen? Im kriegschirurgischen Instrumentarium war es nicht, auch französische Aerzte, die solches besitzen konnten, waren in weiter Umgebung nicht vorhanden. Da wurde, kurz entschlossen, der damalige Unterarzt desselben Regimentes, Dr. Breyesser, kommandiert, dasselbe aus dem belagerten Metz zu holen. Ausgerüstet mit einem Begleitschreiben des Generals von Mirus und des Ortspfarrers und begleitet vom Lazarethgehilfen Wolf, machte er sich alsbald auf den Weg und ritt in scharfem Trabe gerade auf das Fort Queuleu zu. Ein solcher Ritt war sehr gefährlich, weil die Franzosen auf jede verdächtige Gestalt, die sich ihnen näherte, zu schießen pflegten.

Aber die beiden Reiter gelangten unbehelligt über verschiedene Schanzgräben hinweg bis fast dicht unter die Wälle des Forts, ohne daß eine Rothhose sich blicken ließ. Endlich wurde eine Schildwache auf das wiederholte Schwenken der Genfer Flagge aufmerksam und fragte, sich nähernd, die beiden Parlamentäre nach ihrem Begehr.

Mit einem Laissez passer des Fortkommandanten versehen, wurden die vorgezeigten Briefe rasch wieder zurückgestellt; nun aber wurden den beiden Deutschen die Augen fest verbunden und sechs Franzosen mit scharf geladenen Gewehren geleiteten sie durch die Weinberge abwärts über Magny hinaus zu einer größeren Feldwache, welche an der Stelle lag, wo die Chaussee, Eisenbahn und die Seille sich kreuzen.

Hier mußte gewartet werden, bis das gewünschte Instrument durch eine französische Ordonnanz aus der Maternité zu Metz herbeigeschafft worden war. Inzwischen wurde von den zahlreich herbeigekommenen feindlichen Offizieren den muthigen preußischen Reitern mit Apfeltörtchen, Champagner und Cigaretten aufgewartet. Nach einer langen Stunde war endlich das Gewünschte zur Stelle, und nun erst wurde den Deutschen die Binde von den Augen genommen, damit der Rückweg um so schneller zurückgelegt werden konnte, denn die Chaussee war vielfach durch gefällte Pappeln und Verhaue gesperrt.

Bald waren die feindlichen Vorpostenlinien passirt. Nur einmal wurden die beiden Reiter durch das Pfeifen von Gewehrkugeln über ihren Köpfen erschreckt, als eine französische Patrouille von der Eisenbahn her auf dieselben mehrere Schüsse abgab. Nachdem Pouilly langsam durchritten war, gings dann in flotteres Tempo über. Bald zeigten sich die auf Vorposten stehenden Kürassiere und wunderten sich nicht wenig, den wohlbekannten Doktorschimmel – den einzigen des Regiments – von Metz her kommen zu sehen. Kurz vor Mittag wurde Fleury wieder erreicht.

Es war die höchste Zeit. Dank dem glücklich beschafften Instrumente gelang es nunmehr, die Französin vom sicheren Tode zu erretten.

Dr. D. in L.

Gelbe Fahrpläne. Eine schon seit Jahren bestehende, vielen Reisenden noch unbekannte einheitliche Anordnung der deutschen Eisenbahnverwaltungen besteht darin, daß eine jede auf ihren Bahnhöfen den Plakatfahrplan der eigenen Bahnen auf gelbem Papier gedruckt zum Aushange bringt, während alle anderen aushängenden deutschen Fahrpläne weißen Untergrund haben. Der Vortheil dieser Einrichtung liegt klar; man mag auf irgend welchen deutschen Bahnhof kommen, so genügt ein Blick in die Vorhalle, um unter den oft in großer Anzahl aushängenden Fahrplänen den gelben zu finden, welcher unfehlbar über den Zugverkehr der betreffenden Station Auskunft giebt.

Auflösung des Bilderräthsels[WS 1] auf S. 200:

Kein Frühling weiß so traut und wohl zu klingen,
Als wenn zum Herzen Freundesworte dringen,
So tönt kein Lied in kummervollen Stunden,
Wie wenn der Freund das rechte Wort gefunden.




Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

Lehrer K. in H. Angeregt durch unsere Artikel „Der Lehrer als Wächter der Gesundheit“, möchten Sie sich ein kurzes, gemeinverständlich geschriebenes Handbuch der Schulhygiene anschaffen und bitten uns um Titelangabe. Wir können Ihnen das Buch „Schulgesundheitspflege. Zum Gebrauche für Schulvorstände, Lehrer und Eltern“ von Dr. Ernst Engelhorn (Verlag von Karl Krabbe. Stuttgart) empfehlen. Dasselbe zerfällt in zwei Theile; der erste enthält Belehrungen über den gesunden und kranken Organismus des Schulkindes, der zweite erörtert die Einrichtungen der Schule und des Unterrichts nach den Regeln der Gesundheitslehre. Die Darstellung ist allgemein verständlich und knapp, gerade so wie sie für den praktischen Gebrauch des Lehrers sich am geeignetsten erweist.

Margarethe E. in T. Ihr und Ihrer Freundinnen Schwanken über die Bedeutung des „Mädchens aus der Fremde“ in Schillers schönem Gedichte ist verzeihlich. Haben doch Frühling und Poesie so viele gemeinsame Züge, daß man sie oft unter einem Bilde zusammenfassen kann. Indessen ist es doch zweifellos, daß Schiller unter seinem „Mädchen, schön und wunderbar“ die Poesie verstanden hat. – Was Ihre weitere Frage betrifft, so haben Sie das Richtige getroffen. „Zoe“ ist ein weiblicher Name, von den Griechen stammend, in deren Sprache das Wort „Leben“ bedeutet.

E. B. in Antwerpen. Wenden Sie sich gefl. direkt an den Erfinder des von uns besprochenen Motors, Herrn Ingenieur Daimler in Cannstatt b. Stuttgart.

N. B. in Berlin. Wir stimmen Ihnen völlig bei in Beurtheilung des „sozialen Trinkgeldes“ an der Hausthür als einer drückenden Steuer für ärmere Junggesellen, als einer Verhöhnung der Gastfreundschaft überhaupt. Denn kann es eine beschämendere Empfindung für die Wirthe geben als das Bewußtsein: jetzt bezahlen unten meine Gäste das Genossene? Jeder fühlt das Widerwärtige dieser kleinstädtische Sitte, aus falscher Scham aber wagt niemand, sich dagegen aufzulehnen. Und doch wäre es hohe Zeit, daß die Hausfrauen sich untereinander verabredeten und ihre Gäste einfach um Unterlassung bäten. Gut bezahlte und gut gewöhnte Dienstboten haben die Verpflichtung, die Gesellschaft ihrer Dienstherren zu bedienen, die vielen Trinkgelder verbessern weder ihre Pflichttreue noch ihre Sparsamkeit, sondern werden meistens zu unnützen Luxusausgaben angewandt. Durch ein energisches Zusammengehen der besseren Familien wäre dem häßlichen Uebelstand leicht abzuhelfen, ihre Sache ist es dann selbstverständlich, die Dienstboten so zu bezahlen und zu halten, daß sie auch ohne Gesellschaftstrinkgeld zufrieden sein können.


Inhalt: Nicht im Geleise. Roman von Ida Boy-Ed. S. 22l. – Theater-Rothwelsch. Von Max Grube. S. 227. – Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 231. – Schwere Wahl. Illustration. S. 233. – War Maria Stuart schön? Von R. Artaria. S. 236. Mit Illustrationen S. 236, 237 und 238. – Wie Zeugnisse für Geheimmittel fabriziert werden. S. 239. – Blätter und Blüthen: Gute und böse Geister. S. 239. Mit Illustrationen S. 224. 225 und 229. – Ein alter Schwerenöther. Von Karl Brandt. S. 240. Mit Abbildung S. 221. – Deutsche Humanität im Kriege. S. 240. – Gelbe Fahrpläne. S. 240. – Auflösung des Bilderräthsels auf S. 200. S. 240. – Kleiner Briefkasten. S. 240.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bilderräthels
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_240.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)