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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 15.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Marbod hatte erwartet, eine schöne Frau zu sehen. In dem Glanze des Glücks, der jetzt auf ihren Zügen lag, erschien die Baronin Offingen ihm mehr als das. Ihr Haar, ihre Augen, ja selbst die Farben und Züge des Gesichtes glichen denselben Einzelheiten bei ihrem Knaben. Ihr lächelnder Mund war von berückender Schönheit. Temperament und Güte sprachen aus den charakteristischen Linien, mit denen frühe Lebenserfahrungen ihr Antlitz gezeichnet hatten.

Wie sie und Alfred so nebeneinander standen, schien es, als müsse die Natur sie von jeher für einander bestimmt haben.

Marbod war ein wenig befangen und wußte nicht, ob er das erste Wort zu sprechen oder zu erwarten habe. Doch jetzt ging Gerda geradeswegs auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte:

„Ich kenne Sie. Ich bin sehr glücklich, daß Sie gerade jetzt an Alfreds Seite sind. Versuchen Sie, auch mich kennen zu lernen und liebzugewinnen.“

Noch mehr als die herzliche Klangfärbung in ihren Worten nahm ihm der edle Freimuth ihres Blickes das Gefühl, als sei er hier nicht am Platze.

„Dazu bedürfte es nicht erst des Versuches,“ sprach er ebenso herzlich, „Sie sind mir von dieser Stunde an eins mit Alfred, und ihn liebe ich, wie man nur einen Freund lieben kann.“

„Und nicht wahr, Kinder,“ fragte das alte Fräulein aus ihrer Sofaecke heraus, während ihre magern Fingerchen ein Flacon mit Riechsalz zu ihrer Nase führten, „jetzt ist Euer Entschluß ein fester und endgültiger? Ich bin wirklich den fortwährenden Aufregungen nicht gewachsen. Ihr werdet nicht morgen wieder sagen, daß es doch nicht geht?“

Auf Gerdas Angesicht erschien eine flammende Gluth. Sie streckte Alfred beide Hände hin und rief:

„Nein, tausendmal nein! Wie könnten wir ohne einander leben! Wir werden mit heißem Bemühen versuchen, uns ineinander zu fügen.“

Und sie sahen sich an, fest, gewaltig, das ganze Leben ihrer Seelen in verheißende Blicke zusammengefaßt.

„So war es ein hartes Ringen, ehe Ihr Euch einander ergabt?“ fragte Marbod.

Gerda schloß die Augen. Ein Schatten unaussprechlicher Qual verdunkelte plötzlich alle Glücksstrahlen auf ihrem Gesicht.

Sie neigte nur bejahend das Haupt.

Alfred zog sie tröstend an sich.

„Warst Du allein der gequälte Mensch?“ fragte er heiß. Sie schienen die Anwesenden zu vergessen.

Die Tante winkte Marbod zu sich heran und flüsterte:

„Nicht alle Menschen, die nicht ohne einander leben können, verstehen es, mit einander zu leben.“

Von dieser Aeußerung fühlte Marbod sich fast


Ein Ostergeheimniß.      Nach einer Zeichnung von Th. Brauer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_241.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)