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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

noch mehr betroffen als von den Schlüssen, die er aus den eben gewechselten Reden gezogen. Er kannte seinen Freund und wußte, daß das Glück, welches dieser einem Weibe zu geben vermochte, nur ein unruhvolles sein könnte.

Jetzt hörte man die Flurglocke und mehrere Stimmen, die draußen lachten und sprachen.

„Heute kommen noch Menschen?“ fragte Alfred heftig.

„Das weißt Du doch, es ist mein Dienstag!“ sagte Gerda; „auch ich bin wenig gestimmt, jetzt Gäste zu haben.“

„Du hättest absagen können oder mir erst morgen unser Glück durch Sascha verkünden lassen sollen,“ antwortete er, während zwischen seinen Brauen eine tiefe Falte erschien.

„Mein Gott, ich wußte doch heute morgen noch nicht, daß … daß Du mir jene Zeilen senden würdest! Du schreibst mir: ‚Ich ertrage diesen Zustand nicht mehr!‘ Und ich ende ihn, ohne zu bedenken, was die nächste Stunde uns für Zwang auferlegt. Willst Du mir deshalb grollen?“ fragte sie. Es war kein Vorwurf, aber eine stolze Abwehr in ihrem Ton.

Er ging hastig auf und ab.

„Wer kommt denn?“

„Nur vier oder fünf Menschen. Die Gräfin Mollin, die nie ausbleibt, dann Doktor Bendel, den ich gebeten habe, um ihn mit unserem kleinen Prasch bekannt zu machen. Du weißt doch, daß Prasch sein Buch in diesen Tagen herausgiebt. Und außerdem noch die Mara und Direktor Damberg.“

Alfred biß sich auf die Lippen.

„Diesen Menschen, vor dem ich Dich gewarnt habe!“ sagte er mit mühsam unterdrücktem Zorn.

„Bitte,“ schmeichelte Gerda mit bestrickender Liebenswürdigkeit, indem sie ihm die Wange streichelte, als wäre er ein Kind, „nicht gleich böse sein! Meine arme kleine Mara wird immer von Damberg so herunter gemacht, dem guten Ding schnürt’s schon die Kehle zu, wenn sie weiß, er sitzt im Parkett, und da habe ich ihn mir eingeladen, Du kannst Dir wohl denken, weshalb. Du wirst sehen, bei Maras nächster Rolle wird er sie für eine große Sängerin erklären.“

„Du bist für alle zart besorgt, nur nicht für mich,“ sagte er noch. Dann erschien von den besprochenen Gästen die Gräfin Mollin mit der Sängerin und Herrn von Prasch zusammen. Gerda begrüßte sie mit einer vollkommen heiteren Stirn, stellte Doktor Marbod Steinweber vor und lachte und plauderte so unbefangen, als wenn keineswegs vor wenigen Minuten die heftigsten Erregungen durch ihre Seele gezogen wären.

Alfred, den man um sein blasses Aussehen befragte, sagte, daß er Kopfweh habe, und zog sich mit Sascha in eine Zimmerecke zurück. Da saßen sie auf einem kleinen Sofa; der Knabe hatte sich aus einer Vase eine Handvoll Wasserrosen genommen und bog nun mit seinen Fingerchen die dunklen Hülsen von den wachsweißen, halberschlossenen Blüthen. Dabei hatte er sein dunkles Haupt gegen Alfreds ihn umschlingenden Arm gelegt. Sie plauderten leise zusammen. Eine Fächerpalme, die ihre Blätter von hinten herüberstreckte, warf einen Schatten auf Alfreds Gesicht.

Die Gräfin Mollin besah sich die Gruppe durch ihre langstielige Lorgnette und sagte zu Mara:

„Wie für einen Maler posirt. Wenn Gerda und Haumond sich wirklich vermählen sollten, das Kind dürfte kein Glückshinderniß werden. Diese Liebe ist wahrhaft rührend.“

Die Mara schüttelte das schwarzhaarige Haupt, und über ihr braunes, unregelmäßiges und temperamentvolles Gesicht, in dem zwei schwarzbraune Augen brannten, ging ein spöttisches Lächeln.

„Die – sich heirathen?“ sagte sie, die zarten Schultern zuckend, „nie im Leben! Einen Haumond sich zu erhalten, dazu gehört mehr Selbstüberwindung, als Gerda besitzt.“

Die Gräfin Mollin, eine übermäßig üppige Dame, deren kluges Gesicht und knabenhaft kurz abgeschnittenes Haar ihr, der Vierzigjährigen, ein fast keckes Aeußere gaben, sah, immer durch ihre langstielige Lorgnette, der Mara gerade ins Gesicht.

„Sie trauten sich diese Selbstüberwindung zu?“ fragte sie.

Es war in Gerdas Salon ein offenes Geheimniß, daß Alfred von Haumond, ehe er Gerda gekannt, die Mara stark ausgezeichnet habe und daß diese ihn noch liebe.

Unterdessen setzte Herr von Prasch, ein kleiner, sehr zierlich gewachsener Mann mit einem niedlichen Gesicht, in dem, wie vom Friseur angeklebt, ein dunkles Schnurr- und ein Kinnbärtchen saß, während er sein Haar wie ein preußischer Lieutenant trug – unterdessen setzte Herr von Prasch Gerda und Marbod den Inhalt seines Buches auseinander. Es handelte sich um eine psychologische Zergliederung Wagnerscher Frauengestalten.

Jetzt erschienen auch Doktor Bendel, ein schöner und eleganter Mann semitischer Abstammung, die seine Züge auch nicht verleugneten, und Direktor Damberg, ein ältlicher, rundlicher Herr, in dessen röthliches Gesicht graue Haarsträhne fielen und dessen helle Augen über Brillengläser hinweg, suchend halb und halb zerstreut, fortsahen. Seine Bewegungen waren hastig und unsicher, während Doktor Bendel sich mit vollkommener Sicherheit, die an Gleichgültigkeit streifte, benahm.

Bendel kannte den Namen Marbod Steinweber, freute sich, einen so talentvollen Kollegen jetzt hier zu haben, und erbat sich sogleich die Mitarbeiterschaft für sein Blatt. Damberg flüsterte darauf Prasch zu, daß dies eine Höflichkeitslüge sei, denn Bendel, dies wisse jedermann, erkenne nur einen Schriftsteller an, nämlich den Moritz Bendel.

Herr von Prasch sagte zu Bendel, daß er sich freue, dem berühmten und eminenten Kenner Wagners vorgestellt zu sein, und kam sogleich auf sein Buch. Bendel versprach etwas zurückhaltend, es zu besprechen, wenn es ihm gefiele, und zu schweigen, wenn es ihm nicht gefiele, und auch dies Schweigen sei eigentlich ein unerlaubtes Zugeständniß an den Schützling der Baronin Offingen. Prasch war gewiß, daß Bendel entzückt sein werde, und sprach viel und mit Enthusiasmus vom „Meister“.

Hierüber sagte Bendel nachher zur Gräfin: „Ein kleines Gefäß für eine so große Begeisterung!“

Gerda machte mittlerweile zwischen der Mara und Damberg die Diplomatin. Sie sprach bevormundend und eindringlich für die Freundin.

„Mara ist zu klug, um nicht den Nutzen der abfälligen Bemerkungen einzusehen, die sie andrerseits natürlich schmerzen. Wir sind uns seit langem einig, daß sie nur noch von Ihnen das lernen kann, was ihr fehlt. Deshalb bitte ich Sie: Mara soll die Carmen übernehmen, studieren Sie sie ihr ein.“

„Aber meine Damen, meine Zeit ist so durch meine Musikschule und meine Berichterstatterpflichten ausgefüllt, daß ich kaum weiß …“ sagte Damberg nachdenklich.

„Seien wir doch ungenirt! In Geschästssachen liebe ich das. Und Stunden geben ist doch einmal Ihr Beruf, lieber Direktor. Mara verlangt ja keine Gefälligkeit von Ihnen, sondern eine Leistung, die man bezahlt. Wir wissen, Sie nehmen zwanzig Mark für die Stunde. Mit Vergnügen wird Mara zehn oder fünfzehn Stunden nehmen. Sie schlagen ein?“

„Es ist freilich verlockend, mein Fräulein, Ihrem eminenten Talent die letzte Feile zu geben und Ihnen weiter zu helfen auf der Bahn des Ruhms, wo Ihrer das höchste Ziel harrt. Also ja denn!“ sagte der dicke Mann, indem er behaglich nachrechnete, daß es sich doch gelohnt habe, herzukommen.

Gerda und die Mara sahen sich an. Ein Blick, mit dem sie sich darüber verständigten, daß die Sängerin ein oder zweimal der Form halber hingehen, aber gewiß nicht seine Unterweisungen, die als stimmmörderisch bekannt waren, befolgen werde.

Damberg bat die Mara jetzt, etwas zu singen, er werde sich ein Vergnügen daraus machen, sie zu begleiten. Darauf begaben sie sich an den Flügel, der inmitten des letzten Zimmers aufgestellt war, und die Sängerin begann das Lied Mignons von Thomas: „Kennst Du das Land?“

Marbod fühlte sich von dem raschen Durcheinander von verschiedenen Gesprächsstoffen, deren keiner gründlich erörtert, sondern nur gestreift wurde, wie betäubt. Er ging in das erste Zimmer und setzte sich dort auf einen Stuhl am Fenster, den Ellbogen auf das Fensterbrett, den Kopf in die Hand gestützt. Er fühlte den brennenden Wunsch, sich mit der Frau auszusprechen, die sich heute seinem Freunde anverlobt hatte, und wußte, daß sie, die ihm noch ganz fremd war, ihm doch mehr Aufschlüsse über sich, Alfred und ihre Liebe geben werde, als er von ihm zu erwarten hatte.

Als hätte sie sein Verlangen getheilt, kam sie mit leisen, leichten Schritten gegangen und stand vor ihm an den dunklen Falten der Fenstervorhänge. An ihrem weißen Wollkleide trug

sie einen Strauß dunkler, ananasduftiger Kalykanthusblüthen, ihr Haar war schmucklos; er sah jetzt noch mehr als vorhin, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_242.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)