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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

sich gedemüthigt! Ihr leidenschaftliches Herz hatte sie getrieben, ihm am frühen Morgen, an sein Bett, wie sie seinen sonstigen Gewohnheiten nach glauben mußte, den Liebling mit den beredtesten Blumen zu senden. Und er hatte den Gruß ihrer heißen Liebe verschmäht!“

„Was – was sagte er?“ fragte sie fast lallend. Der Knabe erzählte, daß er von Fritz abgewiesen worden und daß Fritz überhaupt gar nicht erst zu ihm hinein gegangen sei.

In Gerdas Herzen kehrte augenblicklich ein jubelnder Muth zurück. Sie lachte, während in ihren Wimpern noch die Thräne des Schmerzes hing.

„So geh’ noch einmal! Sage dem Fritz, daß ich unten warte und daß er sich Unannehmlichkeiten aussetze, wenn er Dich nicht einlasse. Ihm aber sagst Du nichts davon, daß ich hier bin. Wenn Du in zehn Minuten nicht wiederkommst, bin ich um elf Uhr mit Tantchen im Wagen vor der Thür. Hast Du das verstanden?“

„Ja, Mama – so lange darf ich dann bei ihm bleiben,“ jubelte das Kind und kletterte schon wieder hurtig die Treppe empor.

Oben zuckte Monsieur Fritz mit philosophischem Gleichmuth die Achseln, als das Kind zum zweiten Male vor ihm stand. Die Drohungen des Knaben, daß Mama böse werde, wenn man ihn nicht einließe, berührten ihn nicht im mindesten. Er schob den Kleinen vor sich her bis an die Stubenthür, öffnete diese und zeigte ihm mit einer nachdrücklichen Handbewegung, daß er nur da hinein gehen möge.

Alfred hatte seinen schmerzenden Kopf gegen die Rückwand des Sofas gelegt und die Augen mit der Hand bedeckt. Jede Erregung schmerzlicher Art wirkte körperlich auf ihn zurück. Das Geräusch an der Thür schreckte ihn auf, unwillig erhob er das Haupt.

Da sah er das Kind der Geliebten auf sich zueilen. „Junge!“ schrie er entzückt auf. Schon knieete er vor dem Knaben nieder und umschlang ihn innig mit beiden Armen, während dieser den Strauß vorsichtig und stets in ausgestreckter Hand hielt.

„Mama schickt Dich?“ fragte Alfred, das zarte Gesichtchen wieder und wieder küssend.

„Ja, und bis Elf soll ich bei Dir bleiben, dann wird Mama mit Tantchen im Wagen unten warten,“ sagte Sascha, sich loslösend. Seine Augen gingen im Zimmer umher.

Während Alfred in dankbar seligen Gedanken schwelgte, fragte das lebhafte Kind:

„Wer ist der Mann mit den vielen Ordenssternen? Dein Papa? Der ist auch todt, nicht wahr, wie meiner? Aber ich habe nun wieder einen. Und wer ist die weiße Frau ohne Arme? Und die in der andern Ecke mit der Schale und der Kanne? Ist das Dein Schreibtisch? O, da ist ja meine Mama, einmal, zweimal, dreimal, Mama im Winterhut und Mama im Ballkleid und Mama in ihrem Hauskleid. Den Plüschsessel kenne ich, den hat Mama gestickt. Und was ist in der Schachtel?“

„Du Schlingel,“ sagte Alfred zärtlich, „die Schachtel hast Du zuerst gesehen und fragst zuletzt danach. Lauf hin und öffne sie. Ich hätte sie Dir heute mitgebracht.“

Das Kind fragte vergnügt:

„Rothe Husaren?“

Eine Schachtel voll solcher hatte er sich vorgestern gewünscht. Alfred nickte.

Sascha trug die Schachtel vom Schreibtisch an den Frühstückstisch und begann auszupacken. Ihm gegenüber saß Alfred und bereitete ihm ein Schinkenbrötchen. Dabei sprachen sie immerfort zusammen.

In das Herz des Mannes war Sonnenhelle eingezogen. Künftig sollte es keine einsamen Stunden voll selbstquälerischer Zweifelsgedanken mehr für ihn geben. Dieses schöne, heitere, lernbegierige Kind sollte immer in seiner Nähe weilen und dazu das Weib, das über alles geliebte Weib. Seine zweck- und ziellosen Tage hatten einen Inhalt: er konnte diese junge Seele zum Verständniß des Lebens führen. Das Glücksgefühl in seiner Brust ward so mächtig, daß sich seine Augen feuchteten.

„Du Papa – ich sage schon immer Papa, nicht wahr?“

Alfred mußte sich gewaltsam fassen, um seine Rührung zu bemeistern. „Also was wolltest Du den Papa fragen?“ sagte er lächelnd.

„Warum Du alle die Briefe auf dem Tisch noch nicht gelesen hast. Ich möchte gern die Freimarken haben.“

„Es sind ja lauter gewöhnliche,“ meinte Alfred, die Briefe zusammensuchend.

„Das schadet nichts. Mama hat mir gezeigt, wie man aus Zehn- und Fünfpfennigmarken schöne Sterne kleben kann.“

Dem Liebling zu Gefallen öffnete Alfred einen Brief nach dem andern. Er sah jeder Handschrift den Absender und wahrscheinlichen Inhalt an und fühlte keine Neigung zum Lesen. Aber das Unbekannte übt immer auf die Neugier einen Reiz. Er sah da eine fremde Schrift von weiblicher Hand und allerlei Postbemerkungen auf dem Couvert, welche bekundeten, daß der Brief nach Baden-Baden gerichtet gewesen war und ihm nach Berlin nachgegangen sei.

Ihn überkam immer ein Unbehagen bei Zuschriften von unbekannter Seite. Wie erstaunte er aber, als er, das Briefblatt aus dem Couvert ziehend, demselben beigefügt, auf vergilbtem Papier, einige Zeilen von der Hand seines Vaters vorfand!

Sein Unbehagen stieg zur zitternden Erregung. Das Geheimnißvolle, was ihm da entgegentrat, war ihm entsetzlich. Er haßte alles, was nach theatermäßiger Verwicklung aussah, und wenn man seine Antheilnahme verscherzen wollte, brauchte man nur mit dramatisch gefärbtem Vortrag zu reden. Je mehr er selbst die Beute der widersprechendsten und entgegengesetztesten Erregungen sein konnte, um so mehr liebte er bei andern einfache Gefaßtheit.

Seine Aufmerksamkeit erwecken zu wollen, für welche Angelegenheit auch immer, durch ein altes geschriebenes Wort seines vor vier Jahren verstorbenen Vaters, däuchte ihn überspannt, wenn nicht gar verdächtig. Daher las er auch ziemlich ungerührt das Folgende: „Wenn Du, meine theure Freundin, eines Tages eines männlichen Rathes bedürfen solltest, wende Dich an meinen Sohn. Er wird Dir und Deiner Tochter beistehen, wenn Du ihn in meinem Namen um etwas bittest. Sage ihm dann, daß ich Dich geliebt habe, aber daß unüberwindliche Hindernisse zwischen uns standen, aber sage ihm nicht …“

Hier brach das Blatt, welches offenbar von einer Briefseite abgeschnitten war, ab, und Alfred fühlte übrigens auch nicht die mindeste Neugier, weder auf das, was ihm nicht gesagt werden sollte, noch auf das, was die Briefschreiberin von ihm wollte.

Seine Seele war so stark und ausschließlich mit sich und Gerda beschäftigt, daß er jede Angelegenheit, die sich herandrängte, als unbescheidene Störung empfand. Indeß las er seines Vaters Zeilen noch einige Male durch und seine heiße Liebe für Gerda gab ihm doch zuletzt ein immer wachsendes Verständniß für den Roman, den sein Vater offenbar erlebt hatte.

Alfreds Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Daß sein Vater sich nicht wieder vermählt hatte, war für ihn eine Thatsache, über die er eigentlich nicht viel nachgedacht; zuweilen, wenn seine Gedanken durch die Frage irgend eines Dritten doch darauf gedrängt wurden, hatte er einfach mit der Pietät des Sohnes für die Frau, die ihn geboren, angenommen, daß sein Vater die früh verlorene Gattin lebenslänglich betrauert habe.

Und nun erfuhr er, daß sein Vater doch wieder geliebt und gewünscht hatte, aber hoffnungslos. O, er wußte, wie die Hoffnungslosigkeit wehthut! In all den Monaten des bitteren Kampfes, da er oft daran verzweifelte, sich jemals mit der geliebten Frau verständigen zu können, da hatte er sie kennen gelernt, diese Todestraurigkeit. Er erinnerte sich nun auch, daß sein Vater oft sorgenvoll und eigentlich immer freudlos erschienen war. Eine unglückliche Liebe hatte also die ganze zweite Lebenshälfte des Verstorbenen verschattet!

Für erwachsene Menschen, welche selbst schon die Leidenschaft kennen, hat es etwas ungemein Peinvolles, ihren Eltern, welche für ihre Vorstellung immer auf dem hohen Ufer der unberührten Tugend zu stehen schienen, im Strome der ungeregelten Herzenswünsche zu begegnen. Sein Vater hatte eine Frau geliebt, die an einen andern vermählt war, und diese Frau wandte sich nun an ihn, an Alfred, um Rath, vielleicht gar um Hilfe.

Mit finsterem Gesicht nahm er nun endlich auch ihre Zeilen in die Hand und seine Stirn entrunzelte sich keineswegs, als er las:

„Hochverehrter Herr! Die beifolgenden Worte von Ihres Vaters Hand führen mich bei Ihnen beredter ein, als alle meine Erzählungen von Leid und Noth vermöchten. Mein Gatte, welcher zur Zeit, da Ihr theurer Vater starb, noch lebte, hat meine Tochter und mich vollkommen mittellos in der Welt zurückgelassen. Seine Familie hat, aus der Erkenntniß heraus, daß er durch frevelhafte Wirthschaft mein großes Vermögen aufrieb, bis jetzt für mich und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_247.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)