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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Gut,“ erwiderte er gelassen, „ich dachte nur, weil Mittwoch ist.“

„Ja, ich weiß.“

„Und weil uns dieser Tag gehört, meiner Mutter und mir, wie der Sonntag Dir.“

„Ach, es ist recht thöricht, sich an bestimmte Zeiten zu binden,“ antwortete Käthe.

„Wie Du darüber denkst, Käthe. – So lassen wir die Verabredung fallen.“

Sie sah ihn einen Augenblick an mit großen, erschreckten Augen. Aber er blickte an ihr vorüber nach der Thür, der sich eben Schritte näherten.

Frau von Tollen kam herein. Sie sah ärgerlich aus, schloß aber den schon zum Sprechen geöffneten Mund wieder, als sie den heimlich Verlobten ihrer jüngsten Tochter erblickte, dem sie jetzt schweigend die Hand reichte.

Er begann über einige gleichgültige Sachen zu sprechen, ließ sich mit den herzlichsten Grüßen für die Frau Mutter beladen und verabschiedete sich dann.

Käthe gab ihm das Geleite bis auf den Flur. Hier bot sie ihm lächelnd den Mund zu einem flüchtigen Kuß, dann legte sie den Finger auf die Lippen und deutete nach unten. Von dort scholl eine Stimme herauf.

„Du Kamel, Du, wenn Du mir noch ein einziges Mal die Kisten so ungeschickt aufmachst, so giebt’s Arrest, verstanden? Zu nachmittag die zweite Ulanka, und die Favorite um zweieinhalb Uhr vor der ‚Krone‘!“

Der Doktor stieg langsam die Treppe hinunter. Just als er in den Flur trat, flog die Thür des Tollenschen Salons, der jetzt an den Herrn Lieutenant von Wegstedt vermiethet war, mit einem riesigen Krach zu, und ein hübscher Ulan in blauer Stallschürze suchte mit verlegenem Gesicht die Fragmente einer kleinen Gipsstatuette auf dem Boden zusammen und warf sie in die Kiste zurück, der er sie eben entnommen.

Ernst Schönberg hätte, wenn ihm überhaupt nach Lachen zu Muthe gewesen wäre, lächeln mögen über das Aussehen des Gescholtenen, so dumm betrachtete dieser eben den zierlich geformten Arm einer Ariadne nach Dannecker.

Er fühlte sich müde, müde von dem ewigen Kampf, den er mit sich selbst führte. Die Füße, die ihn zum Hause seiner Braut getragen an dem Tage nach dem Verlobungsabend, waren schwer wie Blei gewesen, und als er bei der Mutter sein Anliegen vorgebracht mit leiser Stimme, hatte er förmlich aufgeathmet, als ihm ein bedingungsloses Ja! nicht zu theil wurde. Käthe sei noch so jung, und es wäre besser, sie prüfe erst ihr Herz; er möge kommen, so oft er wolle, einem Besseren könne sie ja das Schicksal ihres Kindes nicht anvertrauen, wirklich nicht, und mit Freuden werde sie ja sagen, wenn zu Ende des Jahres noch beide Theile so dächten wie heute. Also bis dahin Geduld! So hatte sie gesprochen, und nachdem er ihr wunderlich gerührt die Hand dafür geküßt, war er gegangen, ohne Käthe gesehen zu haben.

Am Abend desselben Tages aber war Käthe zu seiner Mutter gekommen. Sie hatte ihn immer angesehen mit tränenschwerer Miene, bange Fragen in den großen Augen, und als er ihr beim Abschied draußen in dem Hausflur so ruhig und stillfreundlich, wie es die Natur seines Verhältnisses mit sich brachte, über das Haar strich und die kleine Hand schier väterlich drückte, da warf sie ungestüm die Arme um seinen Hals und rief außer sich, sie betrachte sich seit gestern als seine Braut und werde dies immer thun, und wenn Mama es tausendmal nicht wolle, und Mama habe kein Recht, ihr zu verbieten, ihn zu küssen, und nichts lasse sie sich befehlen, nun gerade nicht!

Er blieb stehen auf der Straße und nahm den Hut von der brennenden Stirn, es war ihm schwül zu Muthe.

„Eine unerträgliche Hitze,“ murmelte er und bog in eine schattige Nebengasse ein. Und während er hier, den Hut in der Hand, langsam weiter ging auf dem schmalen Bürgersteige, drängten sich die letzten Wochen vor seinem Geist vorüber.

Es hatte sich da im Hause der künftigen Schwiegermutter viel verändert. Unten wohnte der kleine blonde Lieutenant von Wegstedt; der Doktor war sich selbst nicht klar, ob ihn das ärgerte oder ihn gleichgültig ließ. Es war ein durchaus bescheidenes Wesen, der junge Offizier, gar nicht dazu angethan, nach irgend einer Richtung hin hervorzustechen. Er hatte nur einen Vorzug, allerdings einen gewaltigen heutzutage, er war der einzige Sohn reicher vornehmer Eltern und besaß als solcher die Anwartschaft auf eines der feudalsten und gesegnetsten Rittergüter in der Mark Brandenburg. Er war der Sohn von Frau von Tollens intimster Jugendfreundin, und diese hatte, als sie die Versetzung des Regiments nach Westenberg erfuhr, ihrer theuren Marie den „Einzigen“, ihren guten wilden Hans, gleichsam ans Herz gelegt.

So kam es, daß er da unten wohnte, und daß mit ihm in das kleine Haus ein Hauch von dem alten frischen, fröhlichen Soldatenleben gezogen war, „das ja“, wie Frau von Tollen lächelnd sagte, „eigentlich unser aller Lebensluft ist“.

„Tantchen Tollen“ nannte der junge Offizier die Majorin. – Tantchen Tollen! Es klang so treuherzig, liebenswürdig, sie mußten alle lachen, die alte Dame, die stille Helene, die heimgekommen war, um ihre kleine Ausstattung zu fertigen, weil sie endlich, endlich zur Königszulage herangekommen waren und heirathen konnten zum Herbst – und Käthe –.

In das magere Speisekämmerchen des Haushaltes flogen jetzt seltene Gäste, Spargel und Geflügel aller Art vom freiherrlichen Gutshof, und zuweilen saß der „gute wilde Hans“ mit den Damen am gedeckten Tisch unter der Linde, die Dogge und den gelben Teckel je auf einer Seite, und aß heimathlichen Schinken und Radieschen, die er eigenhändig aus den Gemüsebeeten der Majorin gezogen, und erzählte Schnurren, daß das glockenhelle Lachen Käthes dem eintretenden Doktor bis in den Hausflur entgegen scholl.

Sie lachte nie in seiner Gegenwart, wie sollte sie auch? Er war der ernsthafteste, der stillste, der nüchternste Bräutigam von der Welt, als sei ihm ein Schloß vor die Lippen gelegt in ihrer Gegenwart. Arme kleine Käthe! Sie hatte ihn so lieb, so leidenschaftlich lieb; – und er wollte sie glücklich machen, sicher, so glücklich, wie ein ehrlicher Wille und ein braves Herz es imstande sind. Und was in diesem Herzen noch immer nicht der Kleinen gehörte, das wollte er bekämpfen, immer wieder zurückreißen von dem verbotenen Wege, denn sie allein hatte Anspruch auf seine Dankbarkeit, auf seine Nachsicht, auf alles.

Er nickte flüchtig zu dem Fenster der Mutter hinüber. In seinem verdüsterten Gesicht blitzte bei dem Anblick des alten Frauenkopfes nicht ein freundlicher Zug auf. Sie erwartete es wohl auch nicht mehr; sie ließ einen Moment das Strickzeug ruhen und horchte nach den Schritten, die jetzt auf dem Flur erklangen. Als sie an ihrer Thür vorüber gingen nickte sie seufzend vor sich hin, als wollte sie sagen: ich weiß schon, und laut fügte sie hinzu: „Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich!“

„Kommt Käthe?“ fragte sie eine Stunde später ihren Sohn, als sie bei Tisache saßen.

„Vielleicht,“ war die Antwort.

„Warum vielleicht?“

„Ich habe keine Ahnung, Mutter.“

„Ich kann es mir denken,“ sagte die Pastorin, „sie fährt wahrscheinlich spazieren mit dem Wildfang von Kommandeurs. Gott im Himmel, das ist die Richtige! Ueber acht Tage raucht Käthe womöglich auch Cigaretten, über vierzehn Tage kutschirt sie schon hoch vom Bock, und über drei Wochen ist sie verrückt geworden.“ –

„Laß sie doch, wenn’s ihr Spaß macht, Mutter!“

„Ei, sie könnte ja meinetwegen Kunstreiterin werden, wenn Du sie nicht zufällig heirathen wolltest“ – die alte Frau war in hellem Zorn.

„Wenn ich sie geheirathet habe, so –“ Er brach ab. Das Dienstmädchen trat ein mit einem Briefe; ein kleiner Junge habe ihn abgegeben und warte auf Antwort.

Er nahm das zierliche Billet und las. Dann legte er die Serviette auf den Tisch, stieg nach oben und schrieb Antwort.

Die Mutter ergriff das Blatt und las ebenfalls.

„Mein Schatz! Ich soll mit Lechbergs nach Buchenhagen fahren. Es ist so herrliches Wetter. Darf ich? Wenn Du es aber nicht willst, so sag’s. Dann komme ich. Tausend Küsse.
  Deine Käthe.“

Er trat wieder ein und sagte zu seiner Mutter. „Ich habe Käthe gebeten, daß sie komme. Willst Du nicht ein wenig Sandkuchen holen lassen? Sie ißt ihn so gern zum Kaffee.“

„Kann ich ja,“ erwiderte sie laut, „wird schwerlich ein Ersatz sein für die Spazierfahrt,“ setzte sie für sich hinzu. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_271.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)