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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Somit war ich im Begriff, gerade als Sie kamen, den verschiedenen Mitgliedern derselben den Todesfall nur kurz anzuzeigen.“

Nun entschloß Alfred sich doch, aufzustehen.

„Wenn Sie hier am Ort einen weiblichen Anhalt wünschen, die Gelegenheit, mit einer mitfühlenden, edlen Frau sich auszusprechen,“ sagte Alfred, während ein helles Roth seine Stirn überdeckte, „so möchte ich Sie einer Frau vorstellen …“

Sie hatte verstanden „meiner Frau“ und unterbrach ihn lebhaft, fast freudig.

„Sie sind verheirathet?“

„Nein, noch nicht,“ antwortete er, auch einen heiteren Ton anschlagend, „aber vielleicht bald. Man muß sehen, was der Sommer noch bringt. Die Frau, welcher ich Sie zuführen möchte, ist ein edles, großgesinntes, welterfahrenes Weib. Vielleicht befreunden Sie sich gar mit der Baronin Gerda von Offingen, obgleich Sie sehr verschieden von ihr sind. Alles an ihr ist Temperament und Leben, sie kann über keine Sache sprechen, ohne sich heftig für oder gegen dieselbe zu ereifern. Sie aber sind von einer seltenen Ruhe des Wesens.“

„Ich bin wohl nur unbedeutend,“ meinte sie mit einem wehmüthigen Ton, „und das Bedeutende mit dem Unbedeutenden flüchtig und äußerlich verglichen, bringt oft den Schein als Resultat, als sei das eine die Unrast und das andere die Ruhe.“

Diese Aeußerung kam gewiß nicht aus einem leeren oder unreifen Kopf, und Alfred würde sich für geschmacklos gehalten haben, wenn er hierauf mit einem Kompliment geantwortet hätte.

„Sie werden sich ja kennen lernen,“ sprach er, ihr die Hand zum Abschied reichend, „für heute leben Sie wohl! Sagen Sie mir nur noch die Stunde, wann wir morgen früh Ihrer theuren Mutter die letzte Ehre erweisen können.“

„Um acht Uhr früh.“

Er hielt noch immer ihre Hand fest.

„Und wie heißen Sie, mein Fräulein? Von jemand, den ein eigenthümliches Verhängniß einem plötzlich so nah gebracht, mag man doch mehr wissen als den Familiennamen.“

„Germaine,“ sagte sie, und als er betroffen aufblickte, fügte sie hinzu. „Sie hören, nach Ihrem Vater, und in meinem Taufzeugniß steht Germain von Haumond als mein Pathe aufgeführt.“

„Germaine,“ wiederholte er, als wollte er den Klang dieser Silben auf ihren Wohllaut prüfen.

Und „Germaine“ wiederholte er sich noch draußen auf der sonnigen Straße, nachdenklich über jedes Wort und jede Geste der Namensträgerin sinnend. Wie Gerda wohl über das Mädchen urtheilen würde?

Und kaum fiel ihm Gerda ein, als ihn auch sogleich eine unsinnige Sehnsucht nach ihr ergriff. Es kam ihm vor, als habe er sie eine Ewigkeit lang nicht gesehen. Er hatte auch zugleich den Wunsch, ihr zu zeigen, daß er unterwegs ihrer in voller Leidenschaft gedacht. Da er sich gerade vor den sogenannten Kolonnaden am Konversationshause befand, ging er an der Doppelreihe der Magazine entlang. Alle Gegenstände, die er sah, erschienen ihm zu ärmlich oder zu geschmacklos, oder für die Gelegenheit zu unpassend. Vor dem großen Juwelengeschäft an der Ecke stand er lange still. Ihm fiel bei den Ringen und Armspangen ein, daß Gerda und er noch nicht einmal daran gedacht hatten, das äußere Zeichen ihres Bundes, den Ringwechsel, auszuführen. Sofort trat er in den Laden und erstand einen kostbaren Ring mit den schönsten Brillanten.

Es war inzwischen hohe Mittagszeit und unerträglich heiß geworden. Als Alfred im offnen Wagen nun langsam bergan fuhr, freute er sich auf kühl verschattete Zimmer und das Waldesdunkel hinter seinem Hause.

Zu seinem Schreck fand er Sascha barhäuptig in vollem Sonnenschein an der Gartenpforte stehen.

„Um Gottes willen,“ rief er aus, während er hastig den Kutscher ablohnte, und das Kind sich mit allen Zeichen der Müdigkeit an ihn schmiegte, „wie darfst Du so in der Sonne stehen?“

„Ich wartete auf Dich. Du bist so schrecklich lange fortgewesen,“ klagte das Kind.

Alfred nahm den Jungen auf den Arm und trug ihn dem Hause zu. Ueber die Veranda zu der einige Stufen emporführten, kam man in das Wohnzimmer. Hier war es sehr heiß, und die Sonne schien durch die ungeschützten Fenster, während die Hitze in die offene Thür hineinströmte.

Gerade kam Gerda durch die gegenüberliegende Thür aus dem Innern des Hauses herein, und anstatt der freudigen Begrüßung, nach welcher Alfred sich noch vor wenigen Minuten gesehnt hatte, fragte er jetzt gleich unwillig:

„Wie konntest Du den Knaben draußen in der Sonne auf mich warten lassen? Und wie kommt es, daß man hier die Persiennen nicht herabließ?“

„Sascha ist ungehorsam gewesen; ich habe es ihm verboten, in die Sonne zu gehen und glaubte ihn in Deinem Zimmer, wo er mit Deinem alten Spielzeug spielen wollte. Du mußt nicht schelten, wir haben das alles auf dem Boden gefunden und heruntergebracht,“ sagte Gerda, mit jedem Blick zärtlich um Vergebung flehend für eine Sache, die sie nicht verschuldet.

„Und die Persiennen?“ fragte er sanfter.

„Das begreife ich nicht. Ich habe Fritz den ausdrücklichen Befehl gegeben, an der ganzen Vorderseite des Hauses die Fenster zu verhängen. Natürlich habe ich ihn für so zuverlässig gehalten, daß man ihn nicht zu kontrolliren brauche.“

Der „logische“ Fritz hatte den Befehl angehört und ihn auch keineswegs vergessen. Doch befand er sich ja nicht im Dienst der Baronin, sondern in demjenigen des Herrn von Haumond und wurde nur für die diesem gewidmeten Leistungen bezahlt. Also dachte er nicht daran, die Persiennen herunterzulassen, wenn sein Herr es ihm nicht sage.

Alfred lächelte ein wenig, als Gerda so sprach, und dachte wohl, daß irgend etwas bei dem Befehl seinem Fritz gegen die Prinzipien gegangen wäre; er nahm sich vor, dem Menschen zu sagen, daß er der Baronin ebenso wie ihm – Alfred – zu gehorchen habe.

Wenn somit dieser unerquickende Eintritt in das Haus schnell überwunden schien, so war doch der Zauber davon gestreift, und es bedurfte vieler Stunden bis Alfred die hingegebene Stimmung wiederfand, die ihn unterwegs erfaßt hatte. Gerda erlaubte sich nicht, nach den näheren Umständen zu fragen, unter denen er das fremde Mädchen gefunden. Sie begnügte sich mit der kurzen Erzählung von dem Tode der Frau Thomas und bejahte ohne weiteres Alfreds Bitte, ihn morgen früh auf den Kirchhof zu geleiten.

Als Alfred mit dem Kinde gegen Abend von einem Streifzug an der Berglehne entlang heimkehrte, fand er Gerda auf der Veranda, die nun im Schatten der Waldeswand lag. Gerda band einen Kranz, zu dem sie die feinen Koniferenzweige einem Korbe entnahm, der neben ihr auf einem Stuhl stand.

„Du bist ein Engel,“ sagte Alfred dankbar, „Du zerstichst Deine feinen weißen Finger, um für die fremde Frau Todtenkränze zu winden.“

Dabei griff er nach der weißen Hand, die gerade suchend zwischen dem dunklen Grün war, und küßte sie voll Inbrunst.

„Wo ist Tantchen?“ fragte Sascha, „ich habe ihr eine ganze Menge Kamillen gepflückt und Arnikablumen. Papa hat sie mir gezeigt und gesagt, daß Tantchen sie für ihre Apotheke brauchen kann.“

„Geh zu ihr! Sie ist hinter dem Hause und geht die tausend Schritte, die sie täglich macht. Vergiß aber nicht, sie zu fragen, ob sie beim Mittagsschläfchen gut geruht hat.“ Und als Sascha davon lief, fügte sie hinzu:

„Nicht wahr, Du thust mir den Gefallen, Tantchen jeden Morgen nach ihrem Befinden zu fragen? Sie ist den ganzen Tag verstimmt, wenn ein Hausbewohner es vergißt. Du weißt, die Arme hat nichts zu leben, nichts zu lieben, nichts zu ernähren wie ihre Krankheit. Diese ist ihr der ganze Inhalt des Daseins, und wenn Tantchen gesund würde – ich glaube, sie stürbe daran, denn sie hätte nichts mehr zu thun und über nichts mehr zu sprechen.“

Alfred lachte. „Du kluge, gütige, boshafte Frau!“ sagte er.

Zu Gerdas Füßen stand ein Holzschemel, den sie bisher benutzt hatte, um ihre Kniee zum Halt für den Kranz recht hoch zu haben. Auf diesen setzte sich Alfred.

„Gieb mir Deine Hände!“

„Es sind harzige Flecke vom Tannengrün daran.“

„Die will ich mit meinem Tuch abreiben. Denn Deine Hände muß ich haben, wenn ich all die Sünden beichten soll, die ich begangen und die ich gutgemacht.“

Gerda sah innig zu ihm nieder, und während er mit seinem Batisttuch von ihren Fingern die Spuren des harzigen Grünes abrieb, sprach er, dazwischen zuweilen den einen oder anderen Finger küssend:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_295.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)