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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

In tiefster Bekümmerniß über Käthens Erkrankung trank er sein Bier aus und kehrte wieder heim, um sich abermals zu erkundigen, wie es mit Käthe stehe. Dann saß er den ganzen Tag in seinem Zimmer, schrieb, verbrannte Papiere und machte unzähligemale den Weg die Stufen empor, und jedesmal kam er kraftloser zurück, denn Käthe war in der That sehr krank geworden.

Auch Ernst Schönberg kam. Er sprach ebenfalls nur Helene. „Sagen Sie mir um Gottes willen, Fräulein Helene,“ bat er, indem er seinem Bedauern Ausdruck gab, „hat Käthe irgendwie dem Lieutenant von Wegstedt einen Beweis von besonderem Wohlwollen erzeigt?“

„Aber Doktor, Sie sind wirklich grundlos eifersüchtig,“ antwortete die Schwester mit Thränen in den Augen, „sie hat sich geneckt mit ihm wie mit einem Bruder.“

„Sicher?“

„Schämen Sie sich, Schönberg; sie kann sich jetzt nicht selbst vertheidigen das arme Ding!“

Er ging wieder. Es war ja auch absolut nichts zu wollen, wie die Sachen lagen; selbst wenn Käthe gesund wäre, wenn man Wegstedt, der unfehlbar bis über die Ohren in Käthe verliebt war, die Verlobungsanzeige heute noch hätte schwarz auf weiß zeigen können, das Duell war ja doch nicht zu vermeiden.

Am Abend wußte es ganz Westenberg, Käthe von Tollen sei schwer erkrankt. Tante Melitta saß in der Wohnstube von Tollens wie die unheimlichste der Parzen selbst und schüttelte den Kopf über das neue Unglück, das in das Haus gekommen. Die Majorin war am Bette der Tochter; es herrachte das geschäftige lautlose Treiben, wie es sich in der Nähe von Schwerkranken zu entwickeln pflegt. In ihrem kleinen Stübchen empfing Helene die Frau Pastorin und ein paar Minuten später Gusti.

„Was wird es sein?“ sprach Frau Schönberg, „sie hat sich beim Reiten allzusehr erhitzt. Warum muß sie denn auch auf das Pferd hinauf wie ein Junge!“

Gusti zog eine schnippische Miene. „Wenn etwas der Gesundheit zuträglich ist, so ist es das Reiten,“ entgegnete sie und empfahl sich sehr bald mit dem Versprechen, morgen früh wieder zu kommen, um nachzufragen.

Auch die Pastorin trat mit besorgter Miene den Rückzug an, unter ihrem riesigen Regendach, das sich einst über ein paar glückselige Menschenkinder gespannt hatte. Was war seitdem alles geschehen!

Die alte Frau hatte eine sonderbare Unruhe. „Es droht etwas, es droht etwas!“ sagte sie vor sich hin „Mir hat schlecht geträumt, ich hab so viel Wasser gesehen, lauter schlammiges gelbes Wasser –.“

Ihrem Sohn begegnete sie unterwegs. Sie blieben stehen voreinander und sprachen ein paar Worte. „Gehirnentzündung! sagt der Doktor,“ berichtete die Mutter. „Es sieht sich schlecht an, min oll leiw Jung – na, Kopf hoch!“

Er nickte ernsthaft und ging weiter.

Die alte Frau sah ihm nach, wie er so rasch und sicher dahinschritt. Liebe Zeit, sie war nicht hochmüthig, aber was recht ist, muß recht bleiben, er war der hübscheste Mensch in ganz Westenberg, war ihr ganzes Glück, ihr Stolz, ihr Alles. Gott mochte ihn vor Leid bewahren!

Und derweil ging ein Soldat an ihr vorüber, der trug in elegantem Kasten ein Paar Pistolen, die hatte sich der Sekundant Wegstedts von einem Rittmeister geborgt für den andern Morgen.

Und die alte Frau ahnte gar nicht, was dieser Soldat mit dem Kasten für sie bedeute; sie war nur ärgerlich, daß der große Kerl mit seinem breiten Rücken ihr die Aussicht auf den Sohn einen Augenblick verdeckte.

Und während sie weiter trippelte über die nasse Straße in ihrem schwarzen Hut, dessen weiße, duftige Tüllrüsche das alte liebe Gesicht umschloß, mit dem schwarzen, dreizipfligen Umschlagetuch, das sie trug, seitdem ihr Mann gestorben, und dem Regenschirm, auf dem lustig der Regen trommelte, da ging ihr ein altes Gebet durch den Sinn, das sie oftmals, am Krankenbette sitzend, den dörflichen Patienten vorgesprochen, als ihr Mann schon kränklich war und die Leute baten, „wenn de Herr Pastor nich Tid hätt, sall de Fru kamen!“ –

„In Noth und Leid und viel Unruh,
Der beste Arzt, o Herr, bist du,“

schloß sie, just als sie vor ihrer Hausthür stand.




Es war am folgenden Abend, da saß sie an des Sohnes Bett, aber jetzt war sie nicht fähig zum Beten.

Die alte Frau begriff noch immer nicht, wie es gekommen, daß ihr „Jung“, der gestern noch so stolz und aufrecht ging, hier lag wie ein Baum, den jählings der Blitz gefällt.

So gegen acht Uhr heute früh hatte man ihn aus der Kutsche gehoben, die wie ein Gespenst vor der Gartenthür erschienen war, und ihn hier heraufgetragen. Ein „Duell“, hatte man ihr gesagt. Was wußte sie von einem Duell – und das, was sie dunkel von der Bedeutung des Zweikampfes gehört, hatte sie immer mit Verachtung und Abscheu erfüllt. „Gotteslästerlich“ war es ihr erschienen. Und nun ihr einziger Sohn! Warum? Gott mochte es wissen. Sie hatte fast verständnißlos dagestanden und zugeschaut, wie zwei Aerzte, der alte Kreisphysikus und der junge Militärarzt, den Kranken untersuchten und verbanden. Sie hatte auch Wasser gebracht und Leinwand herzugeholt mit zitternden Händen, aber sprechen konnte sie nicht. Nur als der Physikus sich an sie wandte und ihr Anweisungen gab wegen der Pflege, murmelte sie. „Muß er sterben?“

„Nein, nein, Frau Pastorin. I bewahre!“ war die Antwort gewesen; aber sie kannte den alten Herrn, er war roth geworden bei der Lüge.

„Nun weiß ich all!“ antwortete sie halb plattdeutsch und setzte sich an das Bett, darin er bewußtlos lag, bleich wie das Linnen der Kissen.

„O die Tollens – die Tollens!“ murmelte er.

„Ja ja,“ nickte sie; und sie sah ihn immerfort an, „das wird’s wohl sein, aber Du hast nicht hören wollen, Du armer Jung, Du hast Din oll Mutter immer ausgelacht.“

Und so starr und still that sie alles, was zur Pflege nöthig war. Der Kranke ward am späten Abend unruhig; sie rief das Dienstmädchen und befahl, den Arzt noch einmal zu holen.

Die frische Dirne blieb an der Thür stehen mit rothgeweinten Augen. „Ach, Fru Pastorn, weeten’s, wer unsern jungen Herrn dat than hadd?“

„Is ja gleich,“ war die Antwort.

„De Leutnant Wegstedt is’t wesen; er hat aber auch was abgekriegt, und bein Koopmann vertellten se, he sei all rut ut Westenberg. Und Fru Pastorn, unser Frölen Käthe – de Lüd seggen ja, sei möt starven.“

„Geh doch, Deern und hol den Doktor!“ sagte die alte Frau. –

Die Sekundanten hatten, als die Betheiligten auf dem Platz angekommen waren, noch einmal nach der üblichen Vorschrift versucht, die Parteien zu versöhnen, und selbstverständlich war von beiden ein kurzes Ablehnen erfolgt.

Sie waren beide hinaus gefahren, ohne daß ihnen eine Ahnung von der Wahrheit der Dinge aufgedämmert war; keiner von ihnen suchte die Schuld bei der, die ein jeder von ihnen seine Braut nannte. Der Doktor war in der langen, schlaflosen Nacht, die diesem Morgen voranging, des düstern Gefühls nicht Herr geworden, daß es doch am besten sei für Käthe, wenn eine mitleidige Kugel sie vor dem Zusammenleben mit ihm bewahre, der mit allen Fasern seines Herzens einer andern gehörte, und daß es noch das Beste für ihn sei, wenn er nicht verurtheilt werde, der, die ihn so herzlich liebte, Komödie vorspielen zu müssen ein ganzes langes Leben hindurch.

Er blieb ruhig, als er auf dem Rendezvousplatz anlangte; die Vorbereitungen nahmen nur wenig Zeit in Anspruch. Ein einziger Blick des Doktors hatte das kalkweiße Gesicht des kleinen Offiziers gestreift, dessen helle Augen heute wie schwarz erschienen; dann hatte er immer in das Laub des alten Eichbaumes hinaufsehen müssen, das sich so köstlich frisch von dem lichten Morgenhimmel abhob; und auch den Gesang unzähliger Lerchen droben im Blau hatte er gehört, aber denken konnte er nicht mehr. Man hatte ihm eine der Waffen übergeben, die Distanz war abgeschritten, und nun wurden die Gegner mit dem Rücken gegeneinander gestellt, der Unparteiische begann zu zählen – „eins“ scholl es – „zwei“ – „drei“ –.

Beide wandten sich, und im selben Moment fielen zwei Schüsse.

Der Doktor sank sofort zu Boden. Wegstedt stand, nur der linke Arm hing merkwürdig schlaff herab. Sein Sekundant trat zu ihm, während der Arzt nach der andern Seite eilte.

Noch hatte Schönberg Besinnung. Er machte ein Zeichen, daß Wegstedt näher kommen solle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_303.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)