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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 19.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Gerda und Alfred saßen zusammen auf der Veranda, ein trüber Regenschleier umzog Berg und Thal, und die leise niederstäubenden Tropfen hatten Sascha aus seinem Tannenhäuschen vertrieben. Er war hineingegangen, um dem Tantchen, das sich beim Witterungswechsel sofort, in Wolle verpackt, zu Bett gelegt hätte, haarklein zu beschreiben, wo sein Haus stehe, wie es aussehe und wie er es mit „Papa“ gebaut habe. Hauptsächlich aber dachte er von Tantchen einen kleinen Ausstattungsbeitrag zu erlangen und hatte seine Wünsche auf ein altes weißes Angorafell gerichtet, von dem Tantchen gestern gesagt, es sei zu schmutzig, als daß sie es noch über ihre Füße decken könne. –

„Du wolltest mit mir darüber sprechen, daß Du immer hier zu leben wünschtest?“

Dabei klang Alfreds Stimme doch etwas bedeckt von der inneren Erregung, die für ihn unausbleiblich war, wenn er mit Gerda über etwas anderes als ihre Liebe sprach.

Sie wickelte sich fröstelnd in das weiße Tuch, das sie des Regens wegen um die Schultern geschlagen hatte.

„Mir scheint, es handelt sich hier nicht um einen Wunsch, sondern um eine gegebene Sachlage. Aber ich bin froh, daß meine innerste Neigung mit den Verhältnissen zusammenstimmt,“ sagte sie, seinen Blick vermeidend.

„Bitte, willst Du nicht deutlicher werden?“ bat er.

„Mein Gott, das ist doch so einfach! Hier hast Du Deinen Besitz, hier müssen wir leben!“

„Das ist nicht genau, was Du meinst,“ sagte er zitternd, „weshalb sollten wir nicht, wie ich bisher gethan, nach unserer Laune einige Monate in Berlin, einige hier verleben?“

Gerda sah in die graue Ferne hinaus.

„Man kann doch nicht,“ sprach sie langsam, vorsichtig, wie jemand, der sich mit tastendem Fuß auf unsicherer Eisdecke vorwagt, „man kann doch nicht immerdar nach einer ‚Laune‘ leben. Ein Mann muß seinem Dasein doch Inhalt geben durch – durch einen Beruf.“

Alfred war ganz blaß geworden. Er hatte gewußt, gefühlt, daß es darauf hinaus sollte. Er faßte sich mit Gewalt. Er fühlte plötzlich, daß dies Gespräch die Entscheidung zwischen ihm und Gerda sei.

„Mein Leben hat den köstlichsten Inhalt bekommen,“ sagte er mit fast klangloser Stimme, „ich fühle mein Dasein vollkommen ausgefüllt durch die Liebe zu Dir und die Aufgabe, Deinen – unseren Sohn zu erziehen.“

„Das ist, wie mir scheinen will, nicht genug der Aufgabe für eine volle Manneskraft. Um den Knaben zu erziehen, bin ich auch noch da, und denjenigen Theil von Aufsicht und fördernder Antheilnahme, den ein Vater seinen Söhnen widmet, kann er ihnen noch reichlich in den Mußestunden zuwenden, die sein sonstiger Beruf ihm läßt,“ antwortete Gerda, immer an Alfreds Augen vorbeisehend, die flammend auf ihr ruhten.

„Und, wenn ich fragen darf, was für einen ‚Beruf‘ hast Du denn für mich erkoren?“ fragte er. „Da ich das Recht der Selbstbestimmung verloren zu haben scheine, wirst Du mir doch wenigstens einige Neugier gestatten auf das, was Du für mich gewählt.“


Das Grillparzer-Denkmal von Prof. Kundmann in Wien.
Nach einer Photographie von M. Frankenstein u. Komp. in Wien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_309.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)