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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


6.

„Baden-Baden den 18. August 1885.

Mein Freund! Ich habe Dir das Aeußerste zu sagen: Gerda und ich sind getrennt. Fast vierzehn Tage sind seit jener unseligen Stunde vergangen, wo wir einander wieder in den Waffen der Meinungsverschiedenheit gegenüberstanden. Aber diesmal hat sie ein Wort gesprochen, das uns trennen mußte, wenn sie es nicht zurücknahm und bekannte, es nur in Zorneshitze gesprochen zu haben. Mit fieberndem Herzen habe ich darauf gewartet. Umsonst! Und so muß ich wohl glauben, daß ihr Verstand nachträglich billigt, was ihre schnellen Lippen gesprochen haben. Ich verließ an jenem unseligen Abend mein Haus, aber nicht Baden, denn ich will nicht fliehen vor ihrer Nähe. Sie soll es begreifen, daß ich der Möglichkeit trotze, ihr zu begegnen.

Am Tage nach meiner fluchtartigen Entfernung von meinem eigenen Grund und Boden ließ ich Gerda durch einen Advokaten schreiben, daß sie ruhig dort wohnen bleiben möge, bis das Haus verkauft sei, denn ich gedenke, es nicht mehr zu betreten. Sie solle nur gestatten, daß ich außer dem Bilde meines Vaters einige Gegenstände, die ich namhaft machte, abholen lasse; im übrigen solle der Hausrath mit dem Hause verkauft werden. Die erbetenen Gegenstände trafen noch am selben Tag in der Wohnung ein, die ich mir gemiethet. Aber keine Zeile von ihrer Hand dabei.

Seltsamerweise meldete sich bei meinem Advokaten schon andern Tags ein Käufer, der anonym blieb und durch einen Agenten vertreten war. Du begreifst, daß ich noch zu sinnlos verwirrt von dem Entsetzlichen war, um über irgend etwas nachdenken zu können, sonst hätte ich mir gleich sagen müssen, daß Gerda der Käufer sei. Und so ist sie nun Herrin meines Hauses – aber wie anders, als wir gedacht! Ich aber bin heimathlos und elend.

Und doch nicht ganz von allem Trost verlassen. Hier lebt ein Mädchen – die Tochter jener Frau, die ich im Gedächtniß an meinen Vater aufsuchen sollte und die am Tage meiner Ankunft starb. Wenn ich Dir doch sagen könnte, was mir dies Mädchen ist! Ruhelos sind meine Tage und Nächte, und die verzehrende Sehnsucht nach dem Weibe, das ich ewig lieben werde, versengt und vertrocknet mir das Blut in den Adern. Nur wenn ich dann bei ihr einkehre, kommt ein lösender Friede über mich. Sie, die jung und ohne Lebensfreuden ist, sehe ich schweren Kummer muthvoll tragen, und mir ist, als erstarke ich an ihrem Wesen. Und doch liebe ich sie nicht, ich werde sie auch nie lieben in jenem Sinne – so wie ich Gerda liebe – so – bis zum Haß. Aber weißt Du – heirathen könnte ich sie, gleich, gerade jetzt, nur um für immer diese sanftfeste Gefährtin neben mir zu haben.

Du siehst, ich bin fast toll. Du siehst, die Stunde ist da, wo Du mir beistehen mußt, Du Treuer, Oftbewährter. Ich flehe Dich an, nimm Urlaub, komm!

Dann sollst Du mir auch sagen, ob ein Mann sich nicht seiner Männlichkeit begiebt, wenn er dem Weib – und liebe er es noch so unsinnig – gestattet, tadelnd und bevormundend an seine Individualität zu rühren. Und das wollte sie.

Marbod, begreifst Du es, daß ich ohne sie leben soll? Ich kann es nicht. Aber ich weiß es, sie kann es auch nicht. Wir werden beide elend werden.

Eins muß ich Dir noch sagen, was sehr seltsam ist: ich sitze jetzt täglich meine fünf bis sechs Stunden am Schreibtisch. Ich habe, wie Du Dich erinnern wirst, schon oft beklagt, daß wir keine Uebersetzung von Spencers ‚Principles of psychology‘ haben. Niemals hätte ich daran gedacht, daß ich selbst einmal diese Riesenarbeit thun würde. Aber eine Wuth überkam mich – eine Wuth – nur arbeiten, nur etwas recht Mühseliges – und da ich die Principles zufällig bei mir hatte, fing ich an. Bei der Arbeit vergesse ich dann viel … nur gerade das eine nicht! Und will mein unruhvoller Körper widerspenstig das Sitzen nicht mehr vertragen, so höre ich immer das böse Wort und harre aus.

Ich weiß ja, sie würde diese Arbeit nur wieder eine Beschäftigung nennen. Aber vorerst fühle ich doch, ich leiste etwas, wenn auch nur als Vermittler.

Komm zu mir! Ich flehe Dich an. Ich muß wenigstens von ihr sprechen können.

Und Du begreifst, daß ich das mit meiner neuen, lieben und geduldigen Freundin doch nicht kann.
  Dein Alfred.“


„Berlin, den 20. Aug. 1885.

Lieber Alfred! Schon ehe ich Deine Briefbogen entfaltet hatte, wußte ich, daß Dir ein Unglück zugestoßen sei, denn Du hast mir, außer bei dem Tod Deines Vaters, nie andere Lebenszeichen gegeben, als Karten und Depeschen. Daß ich tiefbesorgt um Dich und die edle Frau bin, die gewiß ebenso leidet wie Du, weißt Du wohl. Ich ging deshalb auch sofort zu meinem Direktor und bat ihn um Urlaub, doch antwortete er mir, und zwar mit vollkommener Berechtigung, daß ein Urlaub, nachdem ich erst vor drei Wochen in meine Stellung getreten, eine Unmöglichkeit wäre. Der Wunsch in mir, zur Klärung Deiner Lage beizutragen, die mir unwahr und haltlos scheint, ward so lebhaft in mir, daß ich einen Schritt unternahm, den Du vielleicht mißbilligst. Ich schrieb an Gerda, die Zeilen gehen mit diesen zugleich nach Baden.

Derselbe Zug, der sie mitnimmt, führt noch andere Gäste hin, die Dir sicherlich unwillkommen sind. Ravenswann hat dem merkwürdigen Drängen seiner Frau nachgegeben und anstatt der beabsichtigt gewesenen Schweizerreise einen Aufenthalt in Baden zur Erholung gewählt. Ihre unzertrennlichen Freunde, Doktor Schneiders, begleiten sie, denn Du weißt, beide Ehepaare gehören zu den Menschen, die sich auch an dem schönsten Erdenwinkelchen nicht behaglich fühlen, wenn sie nicht die Atmosphäre ihrer heimischen Alltagsgespräche um sich haben.

Du wirst ihnen und ihren Fragen nicht ausweichen können, und damit Du Dich aufs Antworten vorbereitest, theile ich Dir ihre Ankunft mit. Sie werden Dir auch von mir erzählen, denn ich bin trotz ihrer umständlichsten Reisevorbereitungen noch dreimal dort gewesen, um mit Ravenswann und Schneider Skat zu spielen. Auch Frau Marie, Frau Schneider und eine ältliche Jungfrau, die man dazu geladen, haben dann Skat gespielt, eine Liebhaberei der Frau Assessorin, welche die Charakteristik zu ergänzen scheint, die Du einmal von ihr gabst.

Außer mit diesen bin ich zuweilen mit Doktor Bendel zusammengekommen, der mir recht gefällt und trotz seines in der That vorhandenen Größenwahns mir sehr anregend ist durch seine beißende Schärfe, mit welcher er die Mängel an anderer Werken beleuchtet. Auch mich nimmt er herbe mit. Und diese Offenheit hebt ihn vortheilhaft von den andern ab, die mich ins Gesicht loben und innerlich meine Mittelmäßigkeit bedauern. Herrn von Prasch und die Mollin habe ich zweimal im Café gesehen; aber beide waren stets so sehr in Zeitungen vergraben, daß sie meinen Gruß kaum bemerkten.

In meiner Berufsthätigkeit habe ich keine Ueberlast von Geschäften. Das ist mir im Hinblick auf das Schauspiel, an dem ich fleißig arbeite, doch sehr angenehm.

Für jetzt sei’s genug der nüchternen Berichterstattung! Du weißt, warum ich sie Dir mache. Besinne Dich, daß es außer Deinem vulkanischen Liebesgähren noch andere Dinge und Menschen in der Welt giebt. Auf Deine Reden von der Heirath, die Du mit jenem Mädchen einzugehen imstande seiest, erwidere ich nichts. Das war natürlich nur eine aufwallende Idee, geboren von der Bitterkeit. Zum Schluß erinnere ich Dich an das schöne Wort von Carlyle: ‚work and despair not.‘

Wenn Gerda antwortet, sende ich Dir ihren Brief.
 Dein Marbod Steinweber.“


„Berlin den 20. Aug. 1885.

Meine gnädigste Frau! Sie kennen mich nur wenig, und doch weiß ich, daß Sie meine Zeilen nicht als Unbescheidenheit auffassen. Denn es ist Ihnen bekannt, welche innige Freundschaft mich seit vielen Jahren mit Alfred von Haumond verbindet, und daß ich nur in meinem Freundesrecht handle, wenn ich, getrieben von Sorge und Mitleid, Sie frage: ist es denn so ganz unmöglich, daß Sie beide wieder den Weg zueinander zurückfinden? Fielen denn in dem Zwist, der Sie trennt, so harte Worte, daß sie nicht zu vergessen sind? Was Sie ihm gesagt haben, ich weiß es nicht – aber was es auch war, kann es nicht zurückgenommen werden? Die seltsame, unfriedliche Leidenschaft, die Sie zugleich verbindet und trennt, wird sich in der Trennung nur schmerzlich vergrößern, und – er hat es mir oft genug und überzeugend genug gesagt – Sie können ohne einander doch nicht leben.

Er weiß, daß ich Ihnen schreibe, aber er erfährt es erst, wenn es zu spät ist, es mir zu verbieten. Vielleicht mißbilligt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_311.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)